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Freitag, 14. Februar 2020

Man ist ...

kein Revisionist, wenn man sich erinnert. 
Man ist ein Lügner, wenn man sagt, daß Dresden eine Stadt voller Nazis war. 
Man ist ein Verbrecher, wenn man Geschichte fälscht. 
Und man ist dumm, wenn man es glaubt.


Diese Worte schrieb ein mir unbekannter Kommentarposter unter einen vor Jahren erschienenen (die Empörung über die Greueltaten bisweilen hinter ironischer Süffisanz verbergenden) Artikel über das vermutlich größte, singuläre Kriegsverbrechen aller Zeiten: den alliierten Bombenterror gegen das mit Flüchtlingen (echten Flüchtlingen vor Brandschatzern und Vergewaltigern der sowjetischen Roten Armee!) und Verwundeten überfüllte, militärisch nicht verteidigte Dresden vor 75 Jahren, vom 13. bis 15. Februar 1945.

Jeder Leser mag nach den aktuellen Wortspenden*) des deutschen Bundespräsidenten für sich selbst entscheiden, ob er ihn eher für einen Lügner, einen Verbrecher oder einen Dummkopf hält.

Eines ist jedenfalls sicher: Revisionist ist er keiner.


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*) Hier im Originaltext
bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/02/200213-Dresden-Gedenken-Bombardierung.html 
nachlesbar. Bitte mit copy+paste selbst im Browser eingeben: auf derlei heuchlerischles Geschwurbel verlinke ich nicht. Sorry for the inconvenience ...

Dienstag, 13. Februar 2018

Wie liegt die Stadt so wüst ...


»Von 22:13 bis 22:28 Uhr fielen die ersten Bomben. 244 britische Lancaster-Bomber der No. 5 Bomber Group zerstörten die Gebäude mit 529 Luftminen und 1800 Spreng- und Brandbomben mit insgesamt 900 Tonnen Gewicht. Sie gingen südwestlich des Zielpunktes in einem 45-Grad-Fächer zwischen der großen Elbschleife im Westen der Stadt, dem industriell bebauten „Ostragehege“ (heute Messegelände) und dem etwa 2,5 km Luftlinie entfernten Hauptbahnhof nieder.

In diesen 15 Minuten wurden drei Viertel der Dresdner Altstadt in Brand gesetzt. Gezielte Treffer einzelner Gebäude waren bei diesen Nachtangriffen der RAF weder beabsichtigt noch möglich. Vielmehr sollte ein Bombenteppich die gesamte Innenstadt großflächig zerstören. Die Flammen der brennenden Innenstadt nach der ersten Angriffswelle waren im weiten Umkreis am Himmel zu sehen. Manche Brände loderten noch vier Tage lang.« (Quelle)


Ja, und bekanntlich: »Durch sie starben nach neuesten historischen Untersuchungen entgegen oft behaupteten sechsstelligen Opferzahlen zwischen 22.700 und 25.000 Menschen.« (ebend.)

In einigen Jahren wird man sich vermutlich schon ziemlich sicher sein, daß der ganze Luftangriff überhaupt bloß eine Propagandaerfindung von Goebbels war, um die edlen, uneigennützigen Befreier Deutschlands zu diskreditieren.

Man sieht: staatlich angestellte Historiker können offenbar keinen Deut weniger Meinungshuren des jeweils herrschenden Regimes sein, als die Presstituierten, von denen wir das ja gewohnt sind ...

Samstag, 13. Mai 2017

Heute vor dreihundert Jahren

... wurde die Erzherzogin Maria Theresia Walburga Amalia Christina von Österreich zu Wien geboren. Da außer einem im Säuglingsalter verstorbenen älteren Bruder ihre Eltern nur drei Töchter hatten, trat sie nach den Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion nach dem Tode ihres Vaters Karl VI 1740 die Erbfolge in den österreichischen Erblanden, sowie den Königreichen Böhmen, Ungarn und Kroatien und der damit verbundenen Nebenländer an. „Kaiserin“ war sie nur als Gemahlin von Herzog Franz Stehpan von Lothringen, als dieser (nach dem Tod des glücklosen Wittelsbacher-Kaisers Karl VII) 1745 zum Römisch-Deutschen Kaiser gewählt worden war.


Angesichts der heute in allen (wenigstens österreichischen, wohl auch überhaupt deutschsprachigen) Medien zuhauf erscheinenden Gedenkartikel erübrigt sich auf diesem Blog ein detaillierter Abriß über ihr Leben und Wirken. Bis heute jedenfalls ist ihr Bild — wie wohl nur jenes ihres viel späteren Nachfolgers, des Kaisers Franz Joseph — im Gedächtnis des österreichischen Volkes fest verankert, wobei freilich im gesprochenen Wort „der Kaiser“ stets Franz Joseph meint (und vielleicht noch häufiger als dessen Vornamen verwendet werden), bei „Maria Theresia“ aber ihre beiden ersten Vornahmen als typischerweise verwendete Personenkennzeichnung dienen.

Wie um alle bedeutenden historischen Persönlichkeiten ranken sich unzählige Anekdoten um die vier Jahrzehnte regierende Herrscherin. Eine recht typische für ihre im großen und ganzen heitere Gemütsart und ihren praktischen Sinn sei zitiert: Auf eine Beschwerde des bedeutenden Gelehrten Joseph von Sonnenfels gegen die Willkür der Wiener Zensur, vergab sie ihm etwaige Angriffe gegen sie selbst (falls er sich solcher schuldig gemacht haben sollte), ebenso Angriffe gegen die Religion und die guten Sitten, da sie ihn solcher nicht für fähig hielt — es verblieben also noch dessen Angriffe gegen die Minister, und hier sah sie die Grenze ihrer Macht erreicht: „Ja, mein lieber Sonnenfels,“ rief sie aus, „da muß er sich selbst heraushauen, da kann ich ihm nicht helfen!“

Dienstag, 24. Januar 2017

Gary North on Trump's Inauguration Address

Donald Trump’s inaugural address is going to go down in history as one of the great ones.


I say this as a man with 59 years of public speaking experience and a Ph.D. in American history.

There have only been three inaugural addresses that have come down through the ages. The first was Lincoln’s second inaugural, with the phrase: “. . . with malice towards none, with charity for all.” The second was Franklin Roosevelt’s first inaugural: “We have nothing to fear but fear itself.” The third was John Kennedy’s: “Ask not what your country can do for you. Ask what you can do for your country.” These are legendary phrases.


But Trump’s speech was different from any previous inaugural address. He spoke directly to his political base. He did not try to pull the country together in some kind of vague, pie-in-the-sky, common-ground political rhetoric. He threw down the gauntlet from the very beginning. Standing in front of the Capitol building, surrounded by former Presidents and politicians, he said that everything they had done in the past has been a way to extract power from the American people and to feather their own nests. This, of course, is exactly what they have done. Nobody had ever said this before in an inaugural address.
Diese Einschätzung der Trump-Rede unterscheidet sich doch etwas von dem, was in unseren Landen von Systemmedien und Politruks darüber geschrieben wird.

Lesenswert!



Montag, 5. Dezember 2016

Am 5. Dezember 1791

... also heute vor 225 Jahren, starb eines der größten Musik-Genies aller Zeiten und Völker: Wolfgang Amadeus Mozart. Gegenüber dem absolut Großen (das außer ihm so vielleicht noch fünf, sechs, sieben andere Komponisten verkörpern: Palestrina, Bach und Beethoven fallen einem da spontan ein, bei weiteren scheiden sich schnell die Geister ...) muß jede weitere persönliche Würdigung prätentiös werden. Deshalb heute nur einige Musikstücke, die mir aus Mozarts so umfangreichem und vielseitigem Œuvre ganz besonders ans Herz gewachsen sind.

Fangen wir bei der Kammermusik an. Hier fällt es mir besonders schwer, unter all den großartigen Streichquaretten etc. eine Auslese der Lieblingswerke zu treffen, aber der Versuch sei gewagt: das Streichquartett Nr. 21 in D-Dur KV 575, die in einer meiner Lieblingsaufnahmen mit Alban Berg Quartett erklingt:


Ja, warum nicht das Dissonanzen-Quartett, das Jagd-Quartett? Bei der Menge an Meisterwerken ist jeder Auswahl irgendwie vergebliche Mühe ...

Bei den Streichquintetten fällt mir (die Anzahl ist auch deutlich kleiner) die Wahl leichter: hier landet wohl die Nr. 3 in g-moll, KV 516 in einer Aufnahme aus dem Jahr 1966, mit dem Amadeus-Quartett und Cecil Aronowitz (2. Viola), unangefochten an der Spitze:



Bei den Klavierquartetten ist es das, gleichfalls in g-moll stehende, KV 478, das in seiner wehmütigen Beschwingtheit einzigartig ist:


Bei der Klaviermusik stehen mir (trotz vieler Schönheiten!) die Klaviersonaten nicht so nahe wie die Fantasia in c-moll, KV 475, hier mit Friedrich Gulda in einer atmosphärisch dichten Live-Aufnahme:


Bleiben wir beim Klavier und bei Friedrich Gulda, der als Dirigent und Pianist das Klavierkonzert Nr. 26 in D-Dur, KV 537, das sogen. Krönungskonzert mit genau jener klaren Durchsichtigkeit (am Gefuchtel des Dirigenten Gulda darf man sich nicht stören, es erfüllt aber offensichtlich genau seinen Zweck!) entwickelt, die Mozarts Musik braucht, um zum Strahlen zu kommen:


(wird fortgesetzt)

Montag, 12. September 2016

333 Jahre ist es her

... daß am 12. September 1683 mit der Schlacht am Kahlenberg das Entsatzheer für das belagerte Wien unter der Führung des ponlischen Königs Johann III Sobieski der türkischen Belagerungsarmee unter Kara Mustafa eine entscheidende Niederlage zufügte.


Die Zweite Türkenbelagerung Wiens war damit überstanden.
Die dritte erleben wir gerade durch den Zuzug anatolischer Kültürbereicherer, deren Nachimport von Kopftuchbräuten und anschließender karnickelartiker Vermehrung ("Geburten-Dschihat") auf unsere Steuerzahlerkosten. Da kommt doch Freude auf ... ... Echte, nicht ironisch gemeinte Freude kommt hingegen auf, wenn man das Video mit dem "Triumphmarsch Johann Sobieskis" ansieht! Nicht nur die perfekte Aufführungsqualität, sondern auch die Vielzahl von Historiengemälden, welche uns das damalige Ereignis plastisch und farbenfroh vor Augen führen, begeistert:



Zuletzt noch die Gedenktafel, die am 12. September 1983, am dreihundertsten Jahrestag der Schlacht am Kahlenberg enthüllt wurde:


Kann man sich vorstellen, daß heute, in Zeiten von Papa Franz, Mutti & Consorten eine Gedenktafel mit diesem Text angefertigt, geschweige denn offiziell enthüllt würde? Die Frage zu stellen, heißt ...

Freitag, 6. Mai 2016

Im memoriam Adolph Freiherr von Knigge

Wem es darum zu tun ist, dauerhafte Achtung sich zu erwerben; wem daran liegt, daß seine Unterhaltung niemandem anstößig, keinem zur Last werde; der würze nicht ohne Unterlaß seine Gespräche mit Lästerungen, Spott, Tadelsucht und Satire, und gewöhne sich nicht an den auszischenden Ton der Spottsucht! Das kann wohl einigemal, und, bei einer gewissen Klasse von Menschen, auch öfter gefallen; aber man flieht und verachtet doch endlich den Mann, der immer auf anderer Leute Kosten oder auf Kosten der Wahrheit die Gesellschaft vergnügen will, und man hat Recht dazu; denn der gefühlvolle, verständige Mensch muß Nachsicht haben mit den Schwächen anderer.
(Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, Kap. 1, Nr. 28)
Diese kurzen Bemerkungen sammeln Kohlen auf LePenseurs Haupt (und wohl nicht nur auf seines …), und sind doch so wahr und unmittelbar einsichtig! »Über den Umgang mit Menschen«: ein Buch ebenso tiefer, wie praktischer Lebensweisheit, ein munter sprudelnder, erquickender Quell der Vernunft. Ohne Balthasar Gracians Handorakel, von dem ein Schopenhauer so angetan war, daß er es neu übersetzte, geringschätzen zu wollen — aber Knigges Werk ist von unvergleichlich größerer Vielseitigkeit und praktischem Wert. Es hat nicht die amoralische Unbedenklichkeit des Romanen, der (auch als Priester, der dieser Don Balthasar ja war!) so manche Klugheitserwägung über das setzt, was man auf gut Deutsch mit einem alten, kaum noch gebräuchlichen Wort »Anstand« nennt.

Man mißversteht den Freiherrn von Knigge (der übrigens heute vor 220 Jahren, am 6. Mai 1796, und viel zu früh, verstarb) völlig, wenn man von ihm ein »Benimmbuch« erhofft. Wie man Messer und Gabel hält, welches Glas benützt, oder wer nun wem (und wie) in Gesellschaft vorzustellen ist — all das wird, als selbstverständlich, stillschweigend vorausgesetzt! Doch davon, was erst einen Menschen von einer bloß pedantisch antrainierten »Benimm«-Kenntnis zu einem angenehmen, und damit zu einem wirklichen Gesellschafter macht, davon handelt das Buch mit seinen (je nach Ausgabe) rund 360 Seiten zur Genüge. Es wäre einer Verbesserung der heutigen Umgangsformen mehr als dienlich, wenn wenigstens die »besseren Kreise« (bloß übungshalber) ein Jahr lang an jedem Tag eine andere Seite, nur eine einzige, dieses wunderbaren Buches läsen — und beherzigten!

Genug des Lobes über ein Werk, einen Autor, die rechtens keines Lobes mehr bedürfen, denn die Geschichte hat längst ihr wertschätzendes Urteil gesprochen: welchem Autor wurde schon die Ehre zuteil, daß sein Name quasi zum Begriff einer ganzen Schriftengattung wurde (nun ja — vielleicht auch Baedeker, das sei konzediert …)!

»Leseempfehlung«, pflegt LePenseur in solchen Fällen zu schreiben. Doch das ist zu wenig: »Zur Nachahmung empfohlen!« — das wäre in diesem Fall der richtigere Wunsch …

Donnerstag, 5. Mai 2016

Hundert notwendige Gedichte — XXXII: Börries Freiherr von Münchhausen

Wieder mal ein Verfemter, weil »ein Nazi« ... ... ach ja, wirklich? Und Pablo Neruda wird der Nobelpreis posthum aberkannt, weil er Stalin verherrlicht hat, oder wie? Lassen wir's ... Die deutsche Wikipedia staunt ein bisserl:
Die Balladen Münchhausens fanden seit den 1960er-Jahren weniger Beachtung, aber Marcel Reich-Ranicki nahm 2005 trotzdem zwei Gedichte Münchhausens in seine Anthologie Der Kanon, Band 5 auf.
Hm, »trotzdem« ... ... Na, der traut sich was! Gut, man kann ihm ja schwer an, er war doch schließlich selber ... ... aber er hätt's ja auch lassen können, das mit diesem Börries von Münchhausen, nicht wahr?

Nun, das folgende Gedicht fand freilich keine Aufnahme in den Kanon von Literaturgroßinqusitors Gnaden, und ist nach meiner persönlichen (und natürlich ganz unmaßgeblichen) Ansicht trotzdem wert, gekannt zu sein:

Der goldene Ball

Was auch an Liebe mir vom Vater ward,
Ich habs ihm nicht vergolten, denn ich habe 
Als Kind noch nicht gekannt den Wert der Gabe 
Und ward als Mann dem Manne gleich und hart.

Nun wächst ein Sohn mir auf, so heiß geliebt 
Wie keiner, dran ein Vaterherz gehangen,
Und ich vergelte, was ich einst empfangen,
An dem, der mirs nicht gab noch wiedergibt.

Denn wenn er Mann ist und wie Männer denkt,
Wird er wie ich die eignen Wege gehen,
Sehnsüchtig werde ich, doch neidlos sehen,
Wenn er, was mir gebührt, dem Enkel schenkt.

Weithin im Saal der Zeiten sieht mein Blick 
Dem Spiel des Lebens zu, gefaßt und heiter,
Den goldnen Ball wirft jeder lächelnd weiter, –
Und keiner gab den goldnen Ball zurück!



Am 14. März 1945 ging der Dichter, den Untergang seiner Heimat durch den Vormarsch der Alliierten vor Augen, gebeugt durch den Tod seiner Frau zwei Monate zuvor, in den Tod. Den goldnen Ball sollte nicht eine Kugel, sondern eine Überdosis Schlaftabletten ersetzen. Dem Spiel des Lebens sah er da längst wohl denkmöglich nicht »gefaßt und heiter« zu ...

Kein Platz für Häme! Münchhausen hat einige Balladen (und manch andere Gedichte) geschrieben, die unauslöschlich im Gedächtnis bleiben — wenn man sie nur einmal kennengelernt hat; denn wovon man nie erfuhr, das kann man nicht missen.

Wie ein Artikel aus dem Jahr 2011 »enthüllt«, stand Börries von Münchhausen damals noch in der Liste der Ehrenbürger von Göttingen (»eine Ehrenbezeugung, die er ursprünglich mit Hitler und Frick teilte, die diesen jedoch nach dem Ende des NS-Regimes wieder aberkannt wurde«, wie der Verfasser sich gleich hinzuzusetzen beeilt). Wir können gewiß davon ausgehen, daß Göttingens Ehrenbürgerliste seitdem zeitgeistkonform expurgiert wurde. Seinen Rang als Dichter freilich vermag man nur durch konsequentes Totschweigen zu untergraben versuchen (ob das gelingt, wird die Geschichte weisen). Oder durch konsequente Umvolkung, bis niemand mehr seine Sprache spricht. Eine Lösung, ja geradezu eine Endlösung, die derzeit alternativlos unternommen wird ...






Sonntag, 1. Mai 2016

Vor drei Tagen

... also am 28. April 2016, schrieb Michael Klonovsky folgende Charakterisierung des Konservativen, die LePenseur so aus dem Herzen spricht, daß er sie in extenso zitieren möchte (und hofft, dadurch das Urheberrecht Klonovskys nicht zu dessen Unmut zu verletzen):
28. April 2016

Konservativ sein heißt, sich die permanenten Kulissenwechsel nicht als das eigentliche Stück aufschwatzen zu lassen. Der Konservative hält die Gesellschaft nicht per se für schlecht und dringend veränderungsbedürftig, sondern für ihn ist es zunächst einmal erstaunlich, dass überhaupt etwas funktioniert. Nach seiner Ansicht muss sich also keineswegs das Bestehende legimieren, sondern das sollen diejenigen tun, die es verändern wollen. Konservativ ist die Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Zukunfts-entwürfen – das besorgte Kopfschütteln über Menschen inclusive, die zu wissen behaupten, was für Millionen andere gut und richtig ist, aber oft mit ihrem eigenen Leben nicht klarkommen. Der Konservative beruft sich lieber auf die Tatsache, dass der Kaiser nackt ist, als auf den Diskurs darüber, dass Bekleidetsein ein soziales Konstrukt sei.

Zu den geistigen Beständen des Konservativen gehört ganz elementar die Anthropologie. Im Gegensatz zum Linken, der den Menschen als soziales und unendlich formbares Wesen betrachtet, hält der Konservative Homo sapiens zuallererst für ein existentielles Geschöpf mit einer nicht beliebig veränderbaren Conditio. Er glaubt nicht an die Gleich- heit der Menschen (außer vor Gott und vor dem Gesetz), deshalb ist er Antisozialist. Eine Regierung, die ihm sein Verhalten über das geltende Strafrecht hinaus vorschreiben will, ist sein natürlicher Feind. Der Konservative geht davon aus, dass viele Probleme der Gesellschaft aus der Förderung des Zusammenspiels von Beschränktheit und Wohl- meinen rühren, sprich: aus einem zu optimistischen Menschenbild. Er präferiert zwar die Selbstverantwortung und Selbsthilfe, aber auch die Entlastung des Menschen durch Institutionen.

Der Konservative hängt keineswegs bedingungslos am Althergebrachten, denn auch ihm ist es lieber, dass der Ultraschallbohrer beim Zahnarzt den mechanischen ersetzt, aber er weiß um das organische Gewachsensein allen Menschenwerks und hütet sich, die Ver- gangenheit im Namen irgendeiner Zukunft zu denunzieren. Vom Begriff „gesellschaft-licher Fortschritt“ macht er nur sparsamen Gebrauch, weil dieser Fortschritt entweder eine Ermessensfrage darstellt oder aber jede Art Verwesung einschließt, jedenfalls immer mit Verlusten verbunden ist.

PS: Der Konservative weiß übrigens, dass der Genus "der Konservative" auch den Sexus "die Konservative" liebevoll mit einschließt.
Goldene Worte, die genau das beschreiben, was LePenseur zum Konservativ-Sein bewegt — und eine Geisteshaltung, die mit libertären Gedanken eine durchaus unkonventionelle (man könnte ebenso gut »nonkonformistische« dazu sagen), aber desto geeignetere Legierung für ein höchst tragfähiges Gefäß einer Weltanschauung eingehen.

Chapeau, M. Klonovski! Touché!


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P.S.: Ihr Mut, sich von F*CKUS zu verabschieden, um (wie Sie süffisant schreiben) »danach nur noch umstritten« zu sein, ist bewundernswert. Nochmals: Chapeau!


P.P.S.: Die Formulierung »Der Konservative beruft sich lieber auf die Tatsache, dass der Kaiser nackt ist, als auf den Diskurs darüber, dass Bekleidetsein ein soziales Konstrukt sei« muß einem erst einmal einfallen! Und allein dieser Satz machte Sie zum zitierenswerten Autor (wobei ich das, cher M. Klonovsky, mit dem Augenzwinkern eines kleinen Insider-Scherzes vermerken möchte ...)

Dienstag, 8. Dezember 2015

Einer der »Götter« meiner Jugend

... erblickte heute vor hundertfünfzig Jahren, am 8. Dezember 1865, das Licht (bzw. im hoch nördlich gelegenen Geburtort, Hämeenlinna, wohl eher: das Dunkel) der Welt:

JOHAN JULIUS CHRISTIAN, genannt JEAN SIBELIUS

(rechts sieht man das eher unauffällige Geburtshaus des wohl größten Sohnes dieser mittelfinnischen Stadt).

Jean Sibelius wurde 1865 in Hämeenlinna als Sohn von Christian Gustaf Sibelius und dessen Frau Maria Charlotte, geborene Borg, in eine schwedischsprachige Familie geboren. Janne, wie der Junge zuhause und in der Schule gerufen wurde, wuchs ab 1868, als der Vater starb, als Halbwaise auf. Den Rufnamen hatte Sibelius indirekt seinem Onkel zu verdanken. Der Schiffskapitän Johan Sibelius war 1864 auf einer Atlantikfahrt an Gelbfieber gestorben und war innerhalb der Familie eine legendäre Gestalt. Der junge Komponist fand später im Nachlass seines Onkels einen „Packen Visitenkarten, auf denen sein Vorname nach damaliger, unter Handelsschiffern übli- cher Sitte auf französisch geschrieben war: Jean Sibelius. Diese Visitenkarten nahm zwei Jahrzehnte später sein Neffe in Gebrauch, als er dabei war, seine Künstlerlauf- bahn anzutreten.“
berichtet Wikipedia in ihrem — angesichts der ostentativen Geringschätzung, die wegen Theodor W. Adornos hämisch-polemischer Abqualifizierung des finnischen Nationalkomponisten in Deutschland bis heute nachwirkt — erstaunlich objektiv gehaltenen Artikel, dem auch die näheren biographischen Details entnommen werden mögen.

Lesenswert ist auch ein in der »Wiener Zeitung« in der jüngsten Wochenend-Beilage erschienener Artikel über den Studienaufenthalt, den der junge Kompositions-Student Sibelius 1890/91 in Wien absolvierte (ein Gedenktafel auf der Wieden, dem 4. Wiener Gemeindebezirk, erinnert an das Haus, indem er wohnte), wo er u.a. bei Robert Fuchs (der mit einer der seinerzeit so beliebten Serenaden bereits auf diesem Blog zitiert worden ist) Unterricht nahm.

Meine »persönliche« Begegnung mit dem finnischen Meister fand auf Empfehlung meines Bruders beim Hören einer Schallplattenaufnahme eines seiner populärsten Werke statt: der Karelia-Suite op. 11. Es war m.W. eine Aufnahme mit Hans Rosbaud (dieses großen, und leider fast vergessenen Dirigenten wurde auf diesem Blog bereits gedacht) — oder mit Kurt Sanderling (einem ebenso fast vergessenen »Großen der zweiten Reihe«, leider ...)? Die Rosbaud-Aufnahme läßt sich (vermutlich aus Copyright-Gründen) für mich nicht auf Youtube abspielen — aber hier der Link für erfolgreichere Bemühungen anderer. Diese Interpretation, die ich in meinem Gedächtnis bewahre, ist recht ähnlich der folgenden:


Nun ist die Karelia-Suite, ebenso wie die anderen »Standardstücke«, die als ein bisserl »exotische« Garnierung allzu brav geratener Abonnementkonzerte eingeschoben werden — also: der »Schwan von Tuonela«, »Finlandia« oder »Valse triste« —, zweifellos ein angenehm zu hörendes Werk, aber nichts, was den Weltruhm eines Komponisten rechtfertigen könnte! Und doch verdankt Sibelius seine — v.a. im angelsächsischen Raum ungebrochene — Popularität und weite Verbreitung insbesondere diesen Stücken.

Sicher, auch seine Symphonien nehmen in Amerika im Orchester-Repertoire weitgehend den Platz der (dort wiederum fast unbekannten) Bruckner-Symphonien ein, aber das sind trotzdem Werke, die zwar vom Konzertpublikum mit gewisser »Andacht« gehört werden, und dann doch irgendwie in einer akademisch kultivierten Weihe verbleiben, ohne wirklich ans Herz zu rühren. Eine Ausnahme macht vielleicht die romantisch-schwungvolle Symphonie Nr. 2 in D-Dur, op. 43:


Je später die Symphonie, desto unbekannter, ist man versucht zu sagen — dabei sind sie alle von tiefer Originalität und herber Schönheit, so. z.B. die Nr. 5 (hier in der zu recht gepriesenen Interpretation durch Karajan):


Aber auch in die anderen Symphonien sollte man wenigstens »hineingehört« haben! Hier eine kurze Auswahl an empfehlenswerten Interpretationen:
Nr. 1 (Bernstein) : https://www.youtube.com/watch?v=UJGWz...
Nr. 3 (Vänskä): https://www.youtube.com/watch?v=4kNtcbu6Veo
Nr. 4 (Karajan): https://www.youtube.com/watch?v=zl_q1...
Nr. 6 (Karajan): https://www.youtube.com/watch?v=FChg3...
Nr. 7 (Karajan): https://www.youtube.com/watch?v=XHHfv...

Sibelius verstummte vergleichsweise früh als Komponist — schon in den 1920er-Jahren, und lebte, als lebende Komponistenlegende mit einer Ehrenrente der finnischen Republik in seinem Landhaus noch jahrzehntelang, bis zu seinem Tod am 20. September 1957. Sein letztes großes veröffentliches Werk ist die Tondichtung »Tapiola«, op. 112 (1926), um die mythologische Figur des finnischen Waldgottes — welches seinem kompositiorischen Schaffen einen fürwahr krönenden Abschluß verlieh:


Wenn man dieses großartige Werk, das in so vieler Hinsicht die Quintessenz seines kompositorischen Genies darstellt, gehört hat, versteht man, warum Sibelius mit der Fertigstellung und Veröffentlichung seiner achten Symphonie jahre- und jahrzehntelang rang — und sie schließlich (ohne daß mehr als ein paar Skizzen überlebt hätten) vernichtete, weil er sie nicht für gut genug erachtete. Die tragische Geschichte der vom Komponisten unvollendet vernichteteten Symphonie kann man in der englischen Wikipedia nachlesen.


Wenige Tage vor seinem Tod sah Jean Sibelius einen Schwarm Kranich über sein Landhaus ziehen, wie um Abschied zu nehmen, und war beglückt, die »Vögel seiner Jugend« noch einmal gesehen zu haben. Der Kranich ist in der finnischen Mythologie aber auch der Künder des Todes — und Sibelius soll gegenüber seiner Familie geäußert haben: »Sie kamen, mich zu holen«.

Womit sich Jean Sibelius den abgrundtiefen Haß von Theodor W. Adorno zugezogen hat — dieser sicher spannenden Frage geht ein Artikel in der »Zeit«-Community nach:
Anlässlich des Berliner Sibelius Zyklus mit Simon Rattle war viel von der deutschen Sibelius Rezeption die Rede und geflissentlich tauchte natürlich in jedem Artikel der Verweis auf Adornos Glosse über Sibelius auf, eines selbst für Adorno sehr gehässigen Textes, in dem Adorno kein gutes Haar an Sibelius lässt und der in der Tat lange Zeit in Deutschland seine Spuren hinterließ.
Doch keiner fragt sich was es damit auf sich hat? Was ist dran an Adornos Invektiven und was haben sie uns zu sagen? Sehr oft offenbart gerade der Hass und Abscheu etwas fundamentales über sein Objekt, und natürlich auch über das Subjekt. Allem Apologetentum ist immer auch ein wenig Beschönigung beigemengt, der Hass dagegen ist gnadenlos offenbarend. Tolstois moralischer Abscheu vor Shakespeare rührt an Tiefstes und offenbart mehr über Shakespeare als das idealisierte Bild, das sich Goethe von Shakespeare machte.
Was ist also der Grund für Adornos Abneigung? Zunächst spielt sicher eine Portion Neid und Enttäuschung eine Rolle. Zwanzig Jahre waren seit dem Aufbruch in die Atonalität vergangen, doch statt der erträumten Vormacht der Neuen Musik der Schönberg Schule war alles mehr oder weniger beim alten geblieben Und statt Schönberg zählte Sibelius, vor allem in den angelsächsischen Ländern, zu den wenigen zeitgenössischen Komponisten, die sich im Konzertleben dauerhaft etabliert hatten. Das muss Adorno mächtig gegen den Strich gegangen sein.
Doch der Hass, den man bei Adorno spürt, hat noch wesentlich tiefere Ursachen. Was Adorno an Sibelius nicht ertragen konnte, war dessen antiaufklärerische, antimoderni-stische Haltung. Alles wofür Adorno stand und mit aller Macht seiner immensen rhetorischen Mittel kämpfte, nämlich den Fortschritt und die Vollendung der Auf- klärung, das alles spielte für Sibelius nicht nur keine Rolle, sondern wurde geradezu negiert. 
(Hier weiterlesen)
Aber war Sibelius denn wirklich so »anti-aufklärerisch«? Schließlich war er ein prominenter, und durchaus bewußter Freimaurer (der auch einige Musik zu ihren Ritualen beisteuerte) — und einem Freimaurer wird man »anti-aufklärerische« Haltung wohl schwer unterstellen können. Nein, es ging Adorno wohl nicht bloß um »Aufklärung«, sondern um gezielte, marxistisch konnotierte Gesellschafts-Veränderung, zu der er eben auch eine »neue Kultur«, inklusive einer »neuen Musik« postulierte. Pech für ihn, daß seine »neue Musik« einfach nicht angenommen wurde von den Leuten! Planwirtschaft ist auch auf kreativem Gebiet ein Rohrkrepierer. Sibelius hatte diese Frustration auszubaden (Strauss war ja schon tot, und »Nazi« in den wirren Anschauungen eines Salonmarxisten à la Adorno).

Doch wollen wir hoffen, daß die gehässige Kritik allmählich in den Orkus der Geschichte sinkt, und die Werke des finnischen Meisters den Kritikaster siegreich überleben. Vielleicht war es aber auch ein Bonmot, das den »bekennenden Linken« so auf die Palme brachte — mit dem ich diesen Artikel beschließen will. Sibelius merkte einmal — und sicherlich zwischen zwei Zügen aus seinen edlen Zigarren, die er zu rauchen liebte — süffisant an: »Über Musik unterhalte ich mir nur mit Bankiers! Künstler reden doch nur dauernd übers Geld!«

Montag, 7. Dezember 2015

Anmerkungen zu einem unterschätzten Staats- und Kirchenmann





BENEDICTUS XV.


Anders als in den letzten Tagen dieser Blogpause, als nur die Wappenbilder »für sich selbst« sprachen, möchte ich hier doch ein paar Worte zum Träger des obenstehenden Wappens schreiben. Wikipedia widmet ihm einen durchaus treffenden Artikel, dessen biographische Details zu lesen verlohnt:
Giacomo della Chiesa wurde in Genua, Italien, als Sohn einer markgräflichen Adelsfamilie geboren. Im Jahre 1875 erlangte er den staatlichen Doktorgrad der Rechtswissenschaften. Erst danach gestattete ihm sein Vater das Studium für das Priesteramt; hierzu wurde er Seminarist am Almo Collegio Capranica (Rom). Er schloss die Schule der vatikanischen Diplomatie 1880 mit einem Doktorat in Kirchenrecht ab. Am 21. Dezember 1878 empfing er das Sakrament der Priesterweihe. Den größten Teil seiner kirchlichen Laufbahn verbrachte er im Vatikan.
Er zählt wohl zu den meist-unterschätzten Päpsten des 20. Jahrhunderts — denn er war zeit seines Pontifikates nie wirklich »populär«, und sein Gedächnis nach dem Tod wurde sicherlich durch die autoritätsgeladene, energische Erscheinung des Nachfolgers, Pius XI, überschattet. Weder in Italien (das ihm seine Wertschätzung für die Aufrechterhaltung der Habsburger-Monarchie verübelte), noch auch in Österreich (dem er als Italiener seit dem treubrüchigen Verhalten des Dreibund-Verbündeten Italien irgendwie suspekt war), noch auch auf Seite der Entente-Mächte, denen seine ständigen Bemühungen um Frieden bloß die aufgeheizte Haßkampagne gegen »die Hunnen« zu stören drohten.

Der deutsche Diplomat und Schriftsteller Harry Graf Keßler, aus dessen höchst lesenswerten »Tagebüchern 1918-1937« in anderem Zusammenhang bereits zitiert wurde, findet dort in einigen Einträgen bemerkenswert treffende Einschätzungen über ihn — und manch eher »schräge« dazu, wie beispielsweise diese hier:
Berlin, 7. Februar 1919. Freitag
Wieland Herzfelde bei mir, Ich skizziere ihm meine Auffassung der Weltlage. Drei große Ideen und Machtkomplexe, die wirklich international sich in die Welt teilen und einander bekämpften: Klerikalismus, Kapitalismus und Bolschewismus; der Kapitalismus mit Einschluß seiner Ausgeburten Militarismus und Imperialismus. Die drei sybmbolischen Männer der Zeit: der Papst, Wilson und Lenin, jeder mit einer ungeheuren, elementar fundierten Gewalt und Völkermasse hinter sich.
(Kessler, Tagebücher, insel taschenbuch, S 121)
Zutreffender wohl seine Beschreibung des Verstorbenen (Harry Graf Keßler weilte damals gerade in Rom):
Rom, 22. Januar 1922. Sonntag
Der Papst ist heute früh um sechs gestorben. Er war keine große, aber eine hervor-ragend für seine Stellung passende Persönlichkeit: das genau richtige Rad in der gewaltigen Maschine der Kirche und der noch gewaltigeren der Welt. Eiskalt, klug, aber mit der nötigen Borniertheit begabt, ziemlich tempramentvoll und unter der Eiskruste des Weltmannes und Diplomaten sogar gütig. Ich sehe ihn noch als kleinen, weißen, hinkenden Landpfarrer hereinkommen, dann kurz und scharf sprechend, ein Männchen ohne jeden souveränen Glorienschein. Man bekam den Eindruck, daß er viel Ärger im Leben gehabt habe und daß etwas von diesem Ärger, wie Pulverdampf noch lange nach einer Schießerei, immer in seiner geistigen Atmosphäre mitschwebte. [...]

Rom, 23. Januar 1922. Montag
Öffentliche Aufbahrung und Ausstellung des Papstes in der Peterskirche. Man wurde in einer ungeheuren, nicht abbrechenden Menschenmenge zwischen Holzschranken und einem Spalier von italienischen Soldaten vorbeigepreßt. Der Papst lag vor dem Altar in einer Seitenkapelle auf einem etwa mannshohen, purpurbeschlagenen Gerüst zwischen Kerzen und unbeweglich stramm präsentierenden Nobelgarden im päpstlichen Ornat, roten Schuhen, roten Handschuhe schräg aufgerichtet da, das Gesicht im Tode von großer Schönheit und Hoheit, etwas angeschwollen und dadurch fast kindlich rein und faltenlos. Das Kindliche überwog und wirkte in dem umgebenden Pomp ergreifend hoheitsvoll. Um so unsäglich roher und empörender diese gaffende Menschenmenge, die völlig teilnahmslos, lachend, Witze machend sich vorbeischob. Ich sah nicht ein ergriffenes Gesicht. Der eisige Regentag, der die Kirche ganz mit einem trüben, ausdruckslosen Grau erfüllte, erhöhte den Eindruck der Gleichgültigkeit, der völligen Teilnahmslosigkeit der Welt an diesem Toten.
(a.a.O., S. 276 f.)
Nun — war er wirklich bloß zwar »keine große, aber eine hervorragend für seine Stellung passende Persönlichkeit«, wie Keßler meint? Das hängt davon ab, was man als Charakteristikum der »großen Persönlichkeit« ansieht. Wer beeindruckendes, oder auch alle Herzen gewinnendes Auftreten anführt, der wird im kühlen, diplomatisch geschliffenen Papst Benedikt XV in der Tat nur das richtige Rad in der gewaltigen Maschine erblicken können. Wer freilich vor allem geistige Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit als Kriterium sieht — der kann diesem Papst die Bewunderung für seine Größe nicht versagen! Denn von allem Anfang seines Pontifikats an hat Papst Benedikt XV — und damit ganz im Gegensatz zu den Staatsoberhäuptern und den meisten (!) Kirchenführern und -fürsten jener Tage, als der Krieg noch jung und die »patriotische« Begeisterung noch groß war! — stets diesen Krieg als Greueltat angeprangert. In seiner berühmten Exhortatio vom 28. Juli 1915, dem Jahrestag des Kriegsausbruches, »Allorché fummo chiamati« schreibt er ganz unverblümt: »Der Krieg ist eine grauenhafte Schlächterei!«
Als Wir ohne unser Verdienst auf den Apostolischen Stuhl berufen wurden zur Nachfolge des friedliebenden Papstes Pius X., dessen heiliges und segensreiches Leben durch den Schmerz über den in Europa entbrannten Bruderzwist verkürzt wurde, da fühlten auch Wir mit einem schaudernden Blick auf die blutbefleckten Kriegsschauplätze den herzzerreißenden Schmerz eines Vaters, dem ein rasender Orkan das Haus verheerte und verwüstete. Und Wir dachten mit unausdrückbarer Betrübnis an unsre jungen Söhne, die der Tod zu Tausenden dahinmähte, und Unser Herz, erfüllt von der Liebe Jesu Christi, öffnete sich den Martern der Mütter und der vor der Zeit verwitweten Frauen und dem untröstlichen Wimmern der Kinder, die zu früh des väterlichen Beistands beraubt waren. Unsre Seele nahm teil an der Herzensangst unzähliger Familien und war durchdrungen von den gebieterischen Pflichten jener erhabenen Friedens- und Liebesmission, die ihr in diesen unglückseligen Tagen anvertraut war. So faßten Wir alsbald den unerschütterlichen Entschluß, all Unsre Wirksamkeit und Autorität der Versöhnung der kriegführenden Völker zu weihen, und dies gelobten Wir feierlich dem göttlichen Erlöser, der sein Blut vergoß, auf daß alle Menschen Brüder würden.

Die ersten Worte, die Wir an die Völker und ihre Lenker richteten, waren Worte des Friedens und der Liebe. Aber Unser Mahnen, liebevoll und eindringlich wie das eines Vaters und Freundes, verhallte ungehört! Darob wuchs Unser Schmerz, aber Unser Vorsatz wurde nicht erschüttert. Wir ließen nicht ab, voll Zuversicht den Allmächtigen anzurufen, in dessen Händen Geist und Herzen der Untertanen und Könige liegen, und flehten ihn an, die fürchterliche Geißel des Krieges von der Erde zu nehmen. In Unser demütiges und inbrünstiges Gebet wollten Wir alle Gläubigen einschließen, und, um es wirksamer werden zu lassen, sorgten Wir dafür, daß es verbunden wurde mit Übungen christlicher Buße. Aber heute, da sich der Tag jährt, an dem dieser furchtbare Streit ausbrach, ist Unser Herzenswunsch noch glühender, diesen Krieg beendigt zu sehn; lauter erhebt sich Unser väterlicher Schrei nach Frieden. Möge dieser Schrei das schreckliche Getöse der Waffen übertönen und bis zu den kriegführenden Völkern und ihren Lenkern dringen, um die einen wie die andern mildern und ruhigern Entschlüssen geneigt zu machen.
(Hier weiterlesen)
Hätte Benedikt XV kein anderes Verdienst, als diesen Ruf nach Frieden ausgestoßen zu haben, man könnte ihm »Größe« wohl nicht absprechen — doch er hat noch viele andere: von der Fertigstellung der Neukodifikation des kanonischen Rechts (CIC 1917), über die Stabilisierung der Beziehungen zum laizistischen Frankreich, die Etablierung eines modus vivendi mit Italien, bis zur Eindämmung der innerkirchlichen Verketzerung mißliebiger Personen unter dem Deckmantel des Antimodernismus ...

Es gab gute Gründe, warum ein anderer, geistig bedeutender Papst durch die Wahl seines Namens auf diesen zu Unrecht fast vergessenen Vorgänger aufmerksam machte.

Montag, 16. November 2015

Rat vom Altkanzler





Montag, 26. Oktober 2015

Aus Anlaß des heutigen Nationalfeiertages

(für alle Leser dieses Blogs aus Muttistan bzw. sonstwo in der Welt, die das vielleicht nicht wissen bzw. kennen), in der bis 2011 gültigen Fassung die



Wie so oft in solchen Dingen — die tradierten Informationen sind mit etwas Vorsicht zu genießen. So ist es keineswegs sicher (sondern vielmehr eher zweifelhaft), daß die — fraglos schöne und edle — Melodie tatsächlich von W.A. Mozart komponiert wurde, sondern vermutlich von einem sonst ziemlich unbekannt gebliebenen Musiker- und Freimaurer-Kollegen Mozarts namens Johann Holzer.

Und auch die Textfassung, in der die Bundeshymne seit ihrer Einführung im Jahre 1947 bis zur dilettantischen Verstümmelung im Jahr 2011 vorlag, ist nicht die von Paula von Preradović ursprünglich gedichtete, wie man an der folgenden Gegenüberstellung sieht:


      (Ursprüngliche Fassung)
      
      Land der Berge. Land am Strome,
      Land der Äcker, Hämmer, Dome,
      Arbeitsam und liederreich.
      Großer Väter freie Söhne,
      Volk, begnadet für das Schöne,
      Vielgerühmtes Österreich.
     (Offizielle Fassung bis 2011)

     Land der Berge, Land am Strome,
     Land der Äcker, Land der Dome,
     Land der Hämmer, zukunftsreich!
     Heimat bist du großer Söhne,
     Volk, begnadet für das Schöne,
     Vielgerühmtes Österreich.

      Heiß umfehdet, wild umstritten
      Liegst dem Erdteil du inmitten,
      Einem starken Herzen gleich.
      Hast seit frühen Ahnentagen
      Hoher Sendung Last getragen,
      Vielgeprüftes Österreich.
     Heiß umfehdet, wild umstritten,
     Liegst dem Erdteil du inmitten
     Einem starken Herzen gleich.
     Hast seit frühen Ahnentagen
     Hoher Sendung Last getragen,
     Vielgeprüftes Österreich.

      Aber in die neuen Zeiten
      Sieh uns festen Glaubens schreiten,
      Stolzen Muts und hoffnungsreich.
      Laß in brüderlichen Chören,
      Vaterland, dir Treue schwören,
      Vielgeliebtes Österreich.
     Mutig in die neuen Zeiten,
     Frei und gläubig sieh uns schreiten,
     Arbeitsfroh und hoffnungsreich.
     Einig laß in Brüderchören,
     Vaterland, dir Treue schwören,
     Vielgeliebtes Österreich.

Im Unterschied zur Verstümmelung von 2011 wurden diese Änderungen aber von der Dichterin selbst vorgenommen (sicher, das sei konzediert, zum Teil nach entsprechenden Einwänden »politischer« Art) und daher auch von ihr autentifiziert. Und, vor allem: das von Preradovic gewählte Versmaß (also: vierhebige Trochäen) wurde nicht derart dilettantisch zerstört, wie jetzt durch die hineingeflickten »Töchter und Söhne«, für welche Untat die Namen der dies beschließenden Nationalratsabgeordneten von Rot, Schwarz und Grün (FPÖ und BZÖ verweigerten damals die Zustimmung) rechtens auf einen Gedenkstein an der Pißwand einer öffentlichen Toilette im Parlament gemeißelt werden sollten — zur ständigen Bepinkelung ad perpetuam rei memoriam.

Wer Gedichte aus lächerlichen Genderisierungsgründen verschandelt, hat wirklich nichts besseres verdient ...

Donnerstag, 13. August 2015

Unter all den feschen Blondinchen

... auf einmal an einen Gynäkologen und Hygieniker zu erinnern, erscheint fast deplaciert. Dennoch: Ignaz Semmelweis, der heut vor 150 Jahren, am 13. August 1865, unter nicht geklärten Umständen in der »Landesirrenanstalt Döbling« (damals bei, heute in Wien) starb, verdient eine Würdigung! 

Er war der erste, der mit aller Konsequenz die mangelnde Hygiene für das damals grassierende Kindbettfieber als Ursache ausmachte, und gegen die Ignoranz, ja teilweise offene Gehässigkeit seiner Berufskollegen eine Änderung, die tausenden seiner Patientinnen (und ihren Kindern) das Leben rettete, durchzusetzen bemüht war.

Wer die Biographie dieses »Pioniers der Antisepsis« liest, ist erschüttert, mit welcher Leichtfertigkeit seine prominenten Kollegen seine penibel nachgewiesenen Forschungsergebnisse ignorierten. Sein Tod nach (wahrscheinlich ungerechtfertigter) Internierung in einer Irrenanstalt erscheint wie ein groteskes Satyrnspiel nach einer menschlichen Tragödie der Veranwortungslosigkeit, bornierten Standesdünkels und Inkompetenz seiner mächtigen Gegner.

Nach seinem Tod wurden Spitäler und Universitätskliniken mit seinem Namen geschmückt — welch schale Wiedergutmachung des Unrechts, das seitens der medizinischen Autoritäten an ihm — und den unter mangelnder Hygiene leidenden und sterbenden Patienten! — begangen wurde ...

Donnerstag, 18. Juni 2015

Urlaubsunterbrechung XIX: Er selbst war zwar nicht dabei gewesen

... doch ein genialer Maler wie Adolph von Menzel konnte so eine Darstellung schon durchaus frei imaginieren:


Am 18. Juni 1815, kurz nach 21 Uhr, fand also dieser historische Händedruck statt, vor dem Gasthof von »Belle Alliance« bei Waterloo. Die Nacht, die der britische Herzog angesichts seiner vor Napoleon bereits wankenden Truppen herbeigesehnt hatte (Wellingtons Ausruf: »Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen!« ist verbürgt), konnte endlich herniedersinken, denn Fürst Blücher von Wahlstatt hatte gerade noch rechtzeitig in die für Wellington fast verlorene Schlacht eingreifen, und diese dadurch zu Gunsten der Allianz entscheiden können.

Wie sähe Europa heute aus, wäre Blücher damals bspw. durch ein heftiges Unwetter aufgehalten worden? Müßte LePenseur seine Überlegungen auf diesem Blog in französischer Sprache verfassen — weil ihn sonst keiner verstünde? Andererseits: gäbe es überhaupt ein »chaotisches« Internet in einer von einem zentralistischen Hegemonialstaat Frankreich beherrschten Welt? Fragen über Fragen ...

So, und hier »zum Drüberstreuen« noch etwas von einem, der zwar Zeitgenosse, aber doch selbst nicht dabei war — der Wiener (resp. Bonner) Ludwig van Beethoven:


Ebenderselbe, der einst seine Eroica dem »Ersten Konsul« Napoleon gewidmet hatte — und diese Widmung nach dessen Kaiserkrönung wutentbrannt austilgte. Nun: »Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria« (Okay, okay: die Schlacht bei Vittoria war nicht die bei Waterloo!) ist nicht wirklich eines seiner großen Meisterwerke — aber immerhin weiß LePenseur jetzt, wann die Geschichte der Wochenschau-Musik angefangen hat: hier beim guten alten Ludwig van ...!

Ein Kommentator zu diesem Youtube-Link zitiert allerdings den renommierten amerikanischen Musikwissenschaftler Lewis Lockwood:
»Although it is possible to see Wellingtons Sieg as a 'monument of trivialities' or as representing Beethoven as a 'pioneer of kitsch,' that is only part of the story.  By agreeing to devise the piece and then perform it at a major concert, Beethoven was obviously riding the euphoric wave that swept over Vienna after Napoleon's recent defeats and that seemed to promise a new era of political recovery after years of oppression and defeat...But to then go further and publish the work, moreover to give it an opus number and place it in the series of his important compositions, showed that his deep yearning for public recognition and financial security had gone beyond any earlier limits and that his need for public acclaim, not just in the world at large or in the future but then and there, in Vienna and in his lifetime, for once overrode his normal standards of self-criticism.«
(Lewis Lockwood, The Music and the Life, Beethoven)
Nun, auch dieses Urteil hat durchaus seine Berechtigung! Und schließlich die Musik (näherhin: eine Meßkomposition) eines, der den Tag von Waterloo nicht mehr erlebte, und daher höchstens auf der sprichwörtlichen »Wolke Sieben« zugesehen haben mag: Joseph Haydn — und zwar die einem anderen Sieger (freilich einem letztlich weniger glücklichen) über den Korsen gewidmete »Missa in angustiis« in d-moll, bekannter unter dem Namen »Nelson-Messe«:


Eine wunderbare Musik, deren Baß-Chorstimme LePenseur vermutlich heute noch halb auswendig mitsingen könnte (wenn er zuvor nicht zuviel Zigarren geraucht hat — denn dann hingen ihm die Stimmbänder nämlich schon spätestens nach dem Gloria — ab min. 4:39 — bei den Lippen 'raus ...), er hatte sie damals in seiner Studienzeit für eine Rundfunkaufnahme insgesamt gefühlte hundertmal gesungen, bis die Aufnahme endlich »im Kasten« war ... und hat aus Ulk bei den Proben manchmal das große Baß-Solo beim »Qui tollis peccata mundi, miserere nobis« markiert (bis der Chorgesang-Professor sich derartigen Frevel energisch verbat). Aber lassen wir's jetzt genug sein — die Gloria-Schlußfuge ist für einen Chor-Baß auch schon schlimm genug zu singen ...


Urlaubsunterbrechung XVIII: Heute vor 200 Jahren

... wurde in Europa endgültig das Gespenst einer französischen Vormacht auf dem Kontinent zu Grabe getragen:


In der letzten Schlacht Napoleons, bei Waterloo, wurde er von den verbündeten Armeen der Königreiche Großbritannien und Preußen unter ihren Feldherren, dem Herzog von Wellington und dem Fürsten Blücher von Wahlstatt, vernichtend geschlagen.

Freitag, 5. Juni 2015

Immer aktuell

Vor etwas über zwei Jahren wurde auf diesem Blog Kollege Karl Eduard zitiert. In den letzten zwei Jahren hat sich die Beantwortung (oder, vielmehr: Nicht-Beantwortung) dieser Frage um keinen Deut geändert.

Soviel zum Thema »Lernfähigkeit der Politik« (und der Wähler, die inzwischen Gelegenheit gehabt hätten, dieses Pack von Staatsverbrechern und Polit-Parasiten zum Teufel zu jagen ...

Montag, 27. April 2015

Heute vor hundert Jahren

... starb der russische Komponist und Pianist Alexander Skrjabin. Auch einer der »Götter« (wenn auch, zugegeben, nicht der größte — das war und blieb mit weitem Abstand Richard Strauss) meiner Jugend ...

Ein Komponist, der in verhältnismäßig kurzer Zeit eine ungeheure stilistische Entwicklung vollzog, von einem »Chopin hoch Liszt« (wie ihn einer meiner Professoren nicht ohne Berechtigung charakterisierte) zu einem der wagemutigsten Grenzgänger der Tonalität. Wer die Entwicklung quasi im Zeitraffer einer knappen halben Stunde mitmachen will, ist mit Richters Etüden-Aufnahme, die von op. 2 bis op. 65 reicht, ideal bedient:


Ein frühes Meisterwerk des — eigentlich erst als Pianist so recht etablierten — Skrjabin ist sein romantisches Konzert op. 20, das hier in einer m.E. schönsten Interpretationen durch Vladimir Ashkenazy und dem London Philharmonic unter Lorin Maazel gehört werden kann:


Drei Sätze von fast unfaßbarem Wohlklang (und darin ganz besonders der langsame zweite, Variationen über ein schlichtes und doch so vielfältig wandelbares Thema, ab min. 07:40) — wer das gehört hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie die Entwicklung des in diesem Konzert so elegant (und im Schlußsatz ab min. 16:15 höchst virtuos) »herüberkommenden« Komponisten noch verlaufen sollte!

Nur wenige Jahre, sechs oder sieben vielleicht, trennen das (einzige) Konzert Skrjabins von seiner Dritten Symphonie op. 43, »Le Divin Poème« (welches schon in seinem Namen die Brücke zu den symphonischen Spätwerken »Poème de l'Exstase« (op. 54) und »Prométhée, Poème du feu« (op. 60) schlägt, wenn auch noch weit »traditioneller« in spätromantischen Bahnen verlaufend:


Der Name ist bereits gefallen: »Le Poème de l'Exstase«, in dem er den für seinen späteren Stil so charakteristischen »mystischen Akkord« zu entwickeln beginnt ...


... der dann in seinem letzten, großen Orchesterwerk, dem »Prometheus«, poly- bis (fast) atonal wie eine Feuerlohe vor uns flackert, und den Traum des Komponisten nach einer um Farbeffekte ergänzten Musik verwirklichen sollte (und auch  zum Orchester das Klavier hinzufügt):


Einige Tage nach der Premiere des »Prometheus« (mit Lichteffekten) in New York erkrankte Skrjabin an einer Blutvergiftung, der er, erst 44-jährig, wenig später erlag.

Sonntag, 29. März 2015

Zwei etwas abgeschabte Bücher mit altersbraunen Seiten

... befinden sich in meiner Bibliothek: eine Taschenausgabe des »Zarathustra« von Nietzsche — und ein schmales Bändchen: »Auf den Marmorklippen«. Diese beiden Bücher begleiteten meinen Vater im Tornister durch seine Kriegsjahre an der Ostfront. Über den Zarathustra wird vielleicht bei Gelegenheit (z.B. am 25. August heuer, wenn ein »Halbrunder« ansteht, sonst eben in fünf Jahren, sub conditione Jacobæa) zu lesen sein — heute geht's um das andere Buch eines fürwahr »zeitlosen« Autors ...

Fast einhundertdrei Jahre sind es bei ihm geworden, und heute — lebte er noch — wäre er eben einhundertzwanzig Jahre alt. Ob der Bundesgauckler und die alternativlose frühere FDJ-Sekretärin aus diesem Anlaß auch kämen, ihn zu ehren? Vermutlich ja, denn die sind ja überall, wo sie Blitzlichtgewitter wittern. Weil wir schon beim Wittern sind — eine feingestimmte Nase hatte er zweifellos! Für Vergangenes ebenso wie für Künftiges.

Irgendwie steht er wie ein erratischer Block aus fremdem Gestein in der mittlerweile von Mollusken aller Sorten bewohnten Literatur-Schwemmlandschaft Deutschlands. Irgendwie ... ... französisch mutet er an mit seinem Stil, und seiner bisweilen preziösen Sprache. Dennoch: 999 von 1000 heutigen »Autoren«, die ihn selbstmurmelnd öffentlich verdammen, würden sich alle Finger abschlecken, wenn sie bloß einmal im Leben ein paar Sätze so gekonnt lapidar und einfühlsam hinschreiben könnten ... ... wie es sie auf fast jeder Seite von »Gärten und Straßen« gleich mehrere gibt.

Der Kenner der Literatur und dieses Blogs hat es längst erraten: die Rede ist von Ernst Jünger. Den — für die biographischen Detailinformationen — sonst obligaten Link auf die (deutsche) Wikipedia erspare ich mir (und meinen Lesern), denn abgesehen von »harten« biographischen Fakten, ist deren Artikel geradezu exemplarisch bloß eines: ideologischer Schrott (man vergleiche selbst den sicherlich nicht unvoreingenommenen Artikel auf Wikipédia damit, und man geniert sich für die deutsche Version ...)

Ernst Jüngers Lebenswerk (d.h.: 22 großformatige Bände inkl. der Supplemente) wirklich zu würdigen, ist auf einem Blog weder Zeit noch Platz — das erforderte wenigstens fünfzig Seiten (oder mehr). Deshalb nur einige wenige Andeutungen, was — zu dem obigen familiär-biographischen Grund — diesen Autor für mich so faszinierend macht.

Jünger ist der Prototyp eines »essayistischen« Autors (sein Erzählwerk ist bloß getarnte Essayistik!), und das ist in der deutschen Literatur so selten, wie in der französischen häufig. Er verbindet freilich französische Essay-Eleganz mit deutscher Gründlichkeit zu einem ebenso ungewöhnlichen, wie sprachlich faszinierenden Ganzen.

Freilich muß ich zugeben: meine Annäherung an Ernst Jünger erfolgte zunächst von der — wenigstens für mich — »falschen« Seite, nämlich über die Erzählwerke, nämlich über die »Marmorklippen« und »Heliopolis«. Denn wenn ich auch von der kühlen, stilisierten Sprache beeindruckt war, so war mir doch alles viel zu sehr »hinter Glas« gemalt, als daß ich mich dafür wirklich hätte begeistern können.

Erst die Lektüre von »Gärten und Straßen« änderte das mit einem Schlag. Aufgelesen in einem Antiquariat, mit etwas Neugier durchblättert, las ich mich daran bald fest, insbesondere, weil jene Landschaft Nordfrankreichs, die Jünger darin bescheibt, von mir einige Jahre vorher selbst bereist worden war, und Jüngers Gedanken und Eindrücke einen faszinierenden Kontrapunkt zu meinen Erinnerungen spielten.

Endgültig gewonnen hatte er mich allerdings mit seinen »Annäherungen«, obwohl doch diese Analyse von Drogen im Selbstversuch mir als notorisch »unberauschten« Menschen (es sei denn, man zählte eine gelegentliche Zigarre oder das Glas Wein zum Mittagessen schon zum Suchtverhalten) eigentlich fern liegen müßte. Dennoch (oder vielleicht: gerade deshalb) war die Lektüre, welche Rauschzustände durch welche der geschilderten Drogen und mit welchen Manifestationen eintreten, für mich so faszinierend.

Und so begann meine Reise durch Jüngers Tagebücher, angefangen bei den »Strahlungen« (deren erster Teil, »Gärten und Straßen«, bereits erwähnt wurde), bis hin zum vielbändigen Spätwerk »Siebzig verweht«.

Ernst Jüngers Stil kann leicht parodiert werden — die lakonische Apodiktik der Sätze eignet sich hervorragend dazu. Nur ist das ein Beweise für die Minderwertigkeit des Stils? Auch Rilke, Benn oder Hofmannsthal wurden (teilweise höchst gelungen) parodiert ...

Bis heute gilt Ernst Jünger als »umstritten«. Das wäre auch durchaus begrüßenswert, denn wer zu früh zum »Klassiker« stilisiert wird, pflegt dementsprechend bald ein »Archiv-Klassiker« zu werden, den man zwar in Lexika und Germanistikprüfungslisten mitschleppt, aber kaum freiwillig liest — »Wer wird nicht einen Klopstock loben ...« — nur ist »umstritten« ja in Wahrheit das Codewort für die faktische Zensur der Gutmenschen, die uns damit einen Wink mit dem Zaunpfahl gibt, was zulässigerweise in den Diskurs eingebracht werden darf, und was nicht. Und wer in diesen Kreisen Jünger zitiert, läuft schnell Gefahr, per Kontakt-Kontamination zum Unberührbaren abzusinken.

Jünger selbst hat das nicht mehr betroffen: sein durch Leserinteresse (auch aus dem Ausland, v.a. aus Frankreich) erfolgreiches literarisches Schaffen überstand den Versuch untergriffiger Schmähung und gezielten Totschweigens. Und irgendwann war Jünger einfach so unvorstellbar alt geworden, und seine unermüdlichen Gegner einfach weggestorben, daß sich jede Fehde erledigte. Die Nachkommen nahmen den erratischen Block in der Literaturlandschaft als naturgegeben hin, zumal auch  Jünger kaum von den Debatten und Zwistigkeiten des Literaturbetriebs Notiz nahm. Da klassifizierte er lieber Insekten oder Gräser — und wer die Eitelkeiten unserer Gegenwartsliteraten und ihrer Kritiker kennt, kann ihm nur rechtgeben ...


Freitag, 27. März 2015

Hundert notwendige Gedichte XXIV — Hölderlin


Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
   ..

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Fast geniert sich LePenseur, dieses doch heute so wohlbekannte Gedicht Friedrich Hölderlins zu bringen. Sollte diese Serie nicht dem ihm wichtigen, doch eher weithin unbekannten Gedicht hoher und höchster Qualität gewidmet sein? Sicher, das war die Intention der »Hundert notwendigen Gedichte« — nur: so bekannt Hölderlins obiges Gedicht heute ist (d.h.: soweit überhaupt Gedichte im Allgemeinen und Hölderlin im Besonderen heute »bekannt« genannt werden können!), so unbekannt war es durch mehr als ein Jahrhundert nach seiner Entstehung — selbst von Hölderlin-Bewunderern unter die Produkte seiner Geisteskrankheit gerechnet, in Werkausgaben entweder ganz unterschlagen, oder doch in den Annex verbannt.

Und doch ist es einer jener Gedichte, die LePenseur, wie man so sagt, schon beim ersten Lesen »ins Herz trafen«, obschon er damals noch weit von der »Hälfte des Lebens« — selbst wenn ihn noch heute, was er nicht hofft, die Stunde schlagen würde — entfernt war.

Natürlich kann man dieses Gedicht analysieren, klügelnd interpretieren, in Kategorien zwängen — und hält dann einen sezierten Schmetterling in den groben Händen, dem die feinen Farbplättchen abgestreift wurden, und der damit einer ordinären Motte ähnlicher ist als dem bezaubernden Gaukelding, das über die Wiese schwebte ...

Der Leser möge entscheiden, ob ihm dieses Gedicht wert ist — und sei darauf hingewiesen, daß ein ganz anderes Gedicht zur Lebensmitte (die LePenseur, leider auch statistisch betrachtet, längst hinter sich gelassen hat ...) als nächster Eintrag dieser Serie folgen wird. Bis bald, also ...