Mittwoch, 23. Juli 2014

Hundert notwendige Gedichte XIV — Wilhelm Raabe

Raabe ist allgemein wohl als Erzähler bekannt (oder, heutzutage, eher unbekannt!) — daß er in seinen vielen Romanen auch einige poetische Perlen versteckte, das wissen freilich nur die wenigsten! So z.B. auch ein auf diesem Blog in einem Gedenkartikel für Kurt Guggenheim kurz »anzitiertes« Gedicht, das m.E. wie wenige andere einen Blick hinter die Fassaden unserer — vermeintlichen — Lebensrealität werfen läßt. Ein Gedicht von sanft-herber Schönheit, schimmernd von leiser Wehmut des Abendrots...


E
s zechen die Götter im hohen Olymp,
Wir sitzen auf grünendem Hügel;
In der Mitte zumal,
Zwischen Äther und Tal,
   Da wachsen dem Herzen wohl Flügel.

Nun drücket den blühenden Kranz auf das Haupt,
   Und jauchzet: es lebe das Leben!
Und den Göttern sei Heil,
Die so wonniglich Teil
   An Himmel und Erd’ uns gegeben.

Hemm’ keiner den pochenden Herzschlag der Brust,
   Wir sitzen in heiliger Runde;
Blickt nicht vor, nicht zurück,
Denn das flüchtige Glück,
   Es haftet ja nur an der Stunde.

Und so hebet die Becher ins Abendrot,
   Gold haltet dem Golde entgegen;
Schlürft die selige Stund’,
Doch mit lästerndem Mund
   Nicht reizet das Schicksal verwegen.

Und so klinget die vollen Pokale an;
   Doch weckt nicht die Götter vermessen;
Denn ihr Neid hat beim Mahl
Im olympischen Saal
   Nur minutenlang uns vergessen.



Da steht er vor uns, in seinem Todesjahr 1910, der alte Herr mit dem wehmütig-versponnenen Schalk in den Augen, der über seine Werke die resignativen Sätze schrieb: »Ostern 1854 ging ich nach einem Jahr ernstlicher Vorbereitung nach Berlin, um mir auch ‚auf Universitäten‘ noch etwas mehr Ordnung in der Welt Dinge und Angelegenheiten, soweit sie ein so junger Mensch übersehen kann, zu bringen. Im November desselben Jahres begann ich dort in der Spreegasse die ‚Chronik der Sperlingsgasse‘ zu schreiben und vollendete sie im folgenden Frühling. Ende September 1856 erblickte das Buch durch den Druck das Tageslicht und hilft mir heute noch neben dem ‚Hungerpastor‘ im Erdenhaushalt am meisten mit zum Leben. Denn für die Schriften meiner ersten Schaffensperiode, die bis zu letzterwähntem Buche reicht, habe ich ‚Leser‘ gefunden, für den Rest nur ‚Liebhaber‘, aber mit denen, wie ich meine, freilich das allervornehmste Publikum, das das deutsche Volk gegenwärtig aufzuweisen hat.«






1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Seinen "Stopfkuchen" - große Literatur um Recht, Wahrheit und bürgerliche Lügenhaftigkeit! - habe ich genossen und mir das Motto der Hauptfigur vorgemerkt: "Raus aus dem Kasten!" ...

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