Raabe ist allgemein wohl als Erzähler bekannt (oder, heutzutage, eher unbekannt!) — daß er in seinen vielen Romanen auch einige poetische Perlen versteckte, das wissen freilich nur die wenigsten! So z.B. auch ein auf diesem Blog in einem Gedenkartikel für Kurt Guggenheim kurz »anzitiertes« Gedicht, das m.E. wie wenige andere einen Blick hinter die Fassaden unserer — vermeintlichen — Lebensrealität werfen läßt. Ein Gedicht von sanft-herber Schönheit, schimmernd von leiser Wehmut des Abendrots...
E
|
s
zechen die Götter im hohen Olymp,
Wir sitzen auf grünendem
Hügel;
In der Mitte zumal,
Zwischen Äther und Tal,
Da wachsen dem Herzen wohl Flügel.
Nun drücket den
blühenden Kranz auf das Haupt,
Und jauchzet: es lebe das Leben!
Und den Göttern sei
Heil,
Die so wonniglich Teil
An Himmel und Erd’ uns gegeben.
Hemm’ keiner den
pochenden Herzschlag der Brust,
Wir sitzen in heiliger Runde;
Blickt nicht vor, nicht
zurück,
Denn das flüchtige
Glück,
Es haftet ja nur an der Stunde.
Und so hebet die Becher
ins Abendrot,
Gold haltet dem Golde entgegen;
Schlürft die selige
Stund’,
Doch mit lästerndem Mund
Nicht reizet das Schicksal verwegen.
Und so klinget die
vollen Pokale an;
Doch weckt nicht die Götter vermessen;
Denn ihr Neid hat beim
Mahl
Im olympischen Saal
Nur minutenlang uns vergessen.
Da steht er vor uns, in seinem Todesjahr 1910, der alte Herr mit dem wehmütig-versponnenen Schalk in den Augen, der über seine Werke die resignativen Sätze schrieb: »Ostern 1854 ging ich nach einem Jahr ernstlicher Vorbereitung nach
Berlin, um mir auch ‚auf Universitäten‘ noch etwas mehr Ordnung in der
Welt Dinge und Angelegenheiten, soweit sie ein so junger Mensch
übersehen kann, zu bringen. Im November desselben Jahres begann ich dort
in der Spreegasse
die ‚Chronik der Sperlingsgasse‘ zu schreiben und vollendete sie im
folgenden Frühling. Ende September 1856 erblickte das Buch durch den
Druck das Tageslicht und hilft mir heute noch neben dem ‚Hungerpastor‘
im Erdenhaushalt am meisten mit zum Leben. Denn für die Schriften meiner
ersten Schaffensperiode, die bis zu letzterwähntem Buche reicht, habe
ich ‚Leser‘ gefunden, für den Rest nur ‚Liebhaber‘, aber mit denen, wie
ich meine, freilich das allervornehmste Publikum, das das deutsche Volk
gegenwärtig aufzuweisen hat.«
»Hundert notwendige Gedichte« (geordnet nach Autorennamen): Theodor Däubler – Richard Dehmel – Annette Droste von Hülshoff – Joseph von Eichendorff – Andreas Gryphius — Albrecht von Haller – Ricarda Huch – Li-Tai-Peh (übertragen von Egmont Colerus) – Conrad Ferdinand Meyer (1) | (2) – Anton Wildgans (1) | (2) – Stefan Zweig.
1 Kommentar:
Seinen "Stopfkuchen" - große Literatur um Recht, Wahrheit und bürgerliche Lügenhaftigkeit! - habe ich genossen und mir das Motto der Hauptfigur vorgemerkt: "Raus aus dem Kasten!" ...
Kreuzweis
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