Freitag, 18. Juli 2014

In memoriam Ricarda Huch (Hundert notwendige Gedicht XIII)

Warum über Ricarda Huch ein Gedächtnis auf diesem Blog? Es gibt doch fürwahr mehr als genügend Würdigungen dieser Dichterin, selbst der Wikipedia-Artikel ist recht wohlgelungen und informativ — warum also ein Artikel ...?

Eigentlich nur aus drei Gründen: einerseits, um ein geringschätzig als qualitätsschwach, wenngleich gut verkauft, beurteiltes »Nebenwerk« in Erinnerung zu rufen — dann einer Anekdote wegen. Und schließlich wegen eines Gedichts ...

Das Nebenwerk ist der im München vor dem Ersten Weltkrieg spielende Kriminalroman »Der Fall Deruga«. Die Autorin selbst nannte ihn einen »Schundroman«, da konnte auch der Kritikergott der FAZ (nicht der, dessen morgen gedacht sei, sondern sein lispelnder Nachfolger) wenig daran ändern. Und dennoch: der Autorin muß in ihrem Urteil widersprochen werden! »Schundroman« ist es keiner — wohl leichtgewichtiger als die ernsten historischen Gemälde, die sie bspw. über den 30-jährigen Krieg entwarf. Aber das liegt in der Natur der Sache und tut den treffend modellierten Personen (und in der des Protagonisten, des Dr. Deruga, scheint sich zum Teil ihr erster Ehegatte, der italienische Zahnarzt Ceconi wiederzufinden) und spannenden Gerichtssaalschilderungen keinen Abbruch. Wer also in die »Belle Epoque« Münchens reisen möchte, kann es qualitätvoll auf unterhaltsame und spannende Weise mit diesem Roman.

Und nur zur Anekdote: als Ricarda Huch in München mit dem Dichterfürsten Stefan George bekannt gemacht wurde, fragten sie Freunde nach der Begegnung, wie Stefan George denn überhaupt so sei, wie er aussähe etc. ... Ricarda Huch antwortete etwas süffisant: »Er sieht aus wie eine alte Frau, die wie ein alter Mann aussieht«. Doch gemach, Frau Doktor! Hochmut kommt vor dem Fall — denn wenn man dieses Bild

 
... betrachtet, ist der Gedanken, daß Ricarda Huch ihrerseits aussah wie ein alter Mann, der wie eine alte Frau aussieht, kaum von der Hand zu weisen.

Und das Gedicht ...? Nun, eines ihrer Sonette ist zu einem meiner Lieblingsgedichte geworden über die Zeit – das man vielleicht erst zu würdigen weiß, wenn man dem Abend, der Nacht selbst entgegengeht:


U
ralter Worte kundig kommt die Nacht;
Sie löst den Dingen Rüstung ab und Bande,
Sie wechselt die Gestalten und Gewande
   Und hüllt den Streit in gleiche braune Tracht.

   Da rührt das steinerne Gebirg sich sacht
Und schwillt wie Meer hinüber in die Lande.
Der Abgrund kriecht verlangend bis zum Rande
   Und trinkt der Sterne hingebeugte Pracht.

Ich halte dich und bin von dir umschlossen,
   Erschöpfte Wandrer wiederum zu Haus;
So fühl ich dich in Fleisch und Blut gegossen,

Von deinem Leib und Leben meins umkleidet.
   Die Seele ruht von langer Sehnsucht aus,
Die eins vom andern nicht mehr unterscheidet. 


Uralter Worte kundig — das war Ricarda Huch, wie wenige vor und nach ihr ...





 

1 Kommentar:

Brettenbacher hat gesagt…

Und Theodor Heuss verehrte die Dame so sehr, daß er, als er als junger Mann zum ersten mal nach Berlin kam, sogleich sich in Behandlung dieses Dr. Ceconi begab, welcher schon längst von R.H. geschieden war.
(und mit welchem Behagen ein Manfred Rommel diese Anekdote zum Besten gab...)
Es gibt auch eine Ode von Karl Wolfskehl mit der wohlstgemeinten aber nicht durchaus galanten Schlusszeile - ungefähr -
"Unter tausend Memmen du der einz'ge Mann."
(wird bei Gelegenheit nachgeliefert)