Freitag, 31. Juli 2015

Hoffnungsschimmer oder Schönfärberei?

Olivier Roy über den Säkularismus
Religion auf dem Rückzug

In muslimischen Ländern scheinen religiöse Extremisten die Szene zunehmend zu dominieren. Der Islam-Experte Olivier Roy konstatiert dennoch auch dort eine Ausdifferenzierung der Glaubenslandschaft. 
von Olivier Roy | 27.7.2015, 05:30 Uhr



Auch in der islamischen Welt sieht Olivier Roy Potenzial für eine offenere und farbigere religiöse Landschaft.
Auch in der islamischen Welt sieht Olivier Roy Potenzial für eine offenere und farbigere religiöse Landschaft. (Bild: Adel Hana / AP)
Wir Europäer leben in säkularen – und nicht in prä- oder postsäkularen – Gesellschaften. Weltweit hat sich die Säkularisierung durchgesetzt, sogar in muslimischen Ländern. In einer Zeit, da wir vom Aufstieg des «Islamischen Staats» in Atem gehalten werden, mag diese Behauptung paradox klingen: Um sie zu erklären, muss der Wandel im Verhältnis zwischen Kultur und Religion und insbesondere die «Dekulturierung» der Religion beleuchtet werden.
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Ein interessanter Artikel in der NZZ. Nur: ist er bloß Ausdruck einer (westlichen) Selbsttäuschung, oder bietet er eine tragfähige Hoffnung, daß das theokratisch-totalitäre System dieser Polit-Religion »Islam« doch zu bröckeln beginnt? Aus kleinen Anzeichen kann man — ein prophetisches Geschick vorausgesetzt — u.U. sehr zukunftsträchtige Prognosen gewinnen ... ... oder aber fürchterlich danebenhauen. Wer Herman Kahns seinerzeitigen Bestseller »Ihr werdet es erleben« gelesen hat, der weiß, wie sehr Kahn bei Entwicklungen und Tendenzen oft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf traf (etwa mit einer Atommacht Pakistan, was mir damals völlig absurd vorkam!) — und ebenso, wie sehr er bisweilen danebenhauen mußte (weil die menschliche Gesellschaft sich eben unvorhersagbar eigensinnig verhielt — und sich wohl auch in Zukunft ebenso verhalten wird)!

Als Argument »pro Säkularisierung« auch im Islam läßt sich bspw. die Entwicklung der Römisch-Katholischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg anführen: wer nach 1945 bis in die 1950er-Jahre hinein die machtvolle Position der Kirche miterleben konnte, die quasi nach den perversen Irrungen des NS-Regimes und gegenüber den Drohungen des Stalinismus' wie ein Leuchtturm über der Brandung des politischen Geschehens aufzuragen schien — hätte der sich vorstellen können, wie brüchig dieser so unbezwingbar scheinende Turm offenbar im Inneren längst war? Wie sonst ließe sich der in wenigen Jahren — eigentlich waren es bloß die paar Jahre zwischen ca. 1960 und 1975 — erfolgte Rückzug der Römisch-Katholischen Kirche aus der Position einer gesellschaftsdominierenden Macht (von z.T. rücksichtsloser Brutalität) zu einer bloß spirituellen »Lebensgestaltungsvereinigung« (um es mal etwas provokant zu formulieren) erklären!

Als Argument »contra Säkularisierung« auch des Islam steht freilich die Beobachtung, daß diese Islam eben anders als christliche Kirchen immer als eine »antisäkulare« Kraft vestanden wurde: als Rechtssystem, das alles und jedes regelt — bis hin zur Be- (und Miß-!)handlung Andersdenkender. Auch der sogenannte »Laizismus« der Türkei war bloß ein »islamischer Josephinismus«, der die Religion unter Staatskuratel stellte, und die Religionsdiener quasi zu »Beamten mit Propaganda-Auftrag« umfunktionierte. Wenn nicht einmal so etwas, noch dazu über Jahrzehnte fortbetrieben, zu einem inneren Zusammenbruch des »antisäkularen« Islam führte — wie sollte man sich dann überhaupt noch Hoffnung in diese Richtung machen?

Nun: »Wir werden es erleben« lautet auch diesmal die Perspektive. Und die, die's überleben, dürfen sich glücklich schätzen. Oder vielleicht nicht einmal die ...