Der alte Brunnen
Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache
Geplätscher nur vom alten Brunnen tönt.
Wer aber Gast war unter meinem Dache,
Hat sich stets bald an diesen Ton gewöhnt.
Zwar kann es einmal sein, wenn du schon mitten
Im Traume bist, daß Unruh geht ums Haus,
Der Kies beim Brunnen knirscht von harten Tritten,
Das helle Plätschern setzt auf einmal aus,
Und du erwachst – dann mußt du nicht erschrecken!
Die Sterne stehn vollzählig überm Land
Und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken,
Der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.
Er geht gleich weiter, und es rauscht wie immer.
O freue dich, du bleibst nicht einsam hier.
Viel Wandrer gehen fern im Sternenschimmer,
Und mancher noch ist auf dem Weg zu dir.
In über einem Jahr wird auf diesem Blog — sub conditione Jacobi: »So Gott will und wir leben« — aus Anlaß der sechzigsten Wiederkehr seines Todestages eine Würdigung dieses großen, und zugleich so bescheidenen (und daher heute fast vergessenen) Dichters stehen.
Heute daher nur ein paar Worte zu diesem Gedicht, welches er Hugo von Hofmannsthal zu dessen fünfzigstem Geburtstag als Geschenk widmete. »Es erzählt nämlich nicht von einer individuellen, sondern von einer menschentypischen Situation, es ist
nur lose an eine Landschaft und eine Epoche gebunden, es gestaltet Gastlichkeit und Gastfreundschaft als den Kern von Humanität, Anfechtung und Trost des Menschen durch den Menschen in dieser Welt und ist deshalb zeitlos verständlich«, schreibt Wolfgang Frühwald in »Hans Carossa (1878 bis 1956) – erzähltes Leben«.
»Hundert notwendige Gedichte« (geordnet nach Autorennamen): Bertolt Brecht – Matthias Claudius – Theodor Däubler – Richard Dehmel – Annette Droste von Hülshoff – Joseph von Eichendorff – Theodor Fontane – Louis Fürnberg – Andreas Gryphius — Albrecht von Haller – Hermann Hesse – Friedrich Hölderlin – Ricarda Huch – Karl Krolow – Li-Tai-Peh (übertragen von Egmont Colerus) – Conrad Ferdinand Meyer (1) | (2) | (3) – Agnes Miegel – Friedrich Nietzsche – Wilhelm Raabe (1) | (2) – Georg Trakl – Anton Wildgans (1) | (2) – Stefan Zweig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen