Sonntag, 25. März 2018

Ach ja — »umstritten« ...


DiePresse schreibt (von APA ab):
Die Stadt Graz hat vor knapp vier Jahren eine Expertenkommission eingesetzt, um die Grazer Straßen- und Platznamen historisch zu überprüfen. Der mehr als 1000 Seiten umfassende Abschlussbericht liegt nun vor und brachte 82 kritisch zu betrachtende Namen. 20 davon wurden von der Kommission gar als "höchst bedenklich" eingestuft – darunter etwa die Conrad-von-Hötzendorf-Straße. Der Feldmarschall der k.u.k. Armee ist u.a. wegen seiner Rolle beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs umstritten.
Ach, der Feldmarschall Conrad von Hötzendorf ist »höchst bedenklich«, weil er einen Krieg geführt hat. Seltsam genug — warum hat sowas keiner den Franzosen gesagt, die ihren Napoleon vergöttern (obwohl er zehnmal mehr Kriege geführt hat als Conrad von Hötzendorf), und die Engländer nennen unzählige Straßen und Plätze nach Wellington, der in Spanien ja auch ziemlich geholzt hat (und welchem es ohne Blüchers Mannen, die gegen Abend endlich kamen, bei Waterloo vermutlich an den Kragen gegangen wäre). Sollten die also nicht auch ...? Müßige Frage ...

Sorry: nur wegen der Lästerzunge von Karl Kraus braucht sich unsere Politik nicht als Marionette linker Traditionshassser zu betätigen! Und Karl Kraus hat Conrad eben gehaßt — weil er vielleicht die Ähnlichkeit im Typus schmerzhaft verspürte: ein vom Establishment abgelehnter Nonkonformist, der (es ist irgendwie fast tragisch!) einen ebensolchen Nonkonformisten lieber als hohle Karrieristen-Schablone karikierte, als ihn in seinem wirklichen, und fürwahr höchst ausgeprägten Charakter zu zeichnen. Der — wer will's bestreiten — nicht ohne Schwächen und Fehler war. Und doch ...

Vor einiger Zeit hat sich DiePresse an einem Artikel zu Feldmarschall Conrad*) versucht. »Operation gelungen, Patient tot«, ist man versucht zu kalauern; ihn als Leichenschändung zu bezeichnen, wäre vielleicht zu hart, aber es grenzt schon nahe daran. Jemanden im Titel als »Der Wiener Kriegstreiber« zu bezeichnen, und dann weiter unten seine Sichtweise wie folgt zu beschreiben:
Eigentlich sei das Schicksal der Monarchie schon entschieden, nichts habe man aus Solferino und Königgrätz gelernt, die Bestimmung von Land und Armee werde wohl sein, ruhmvoll unterzugehen. Das Attentat vom Juni 1914 war für ihn folgerichtig nicht die Tat eines fanatisierten Einzelgängers, sondern eine Kriegserklärung Serbiens. Conrad sah jetzt in seinem typischen Fatalismus alles richtig voraus: Russland werde als Beschützer Serbiens eingreifen, „es wird ein aussichtsloser Kampf werden, dennoch muss er geführt werden, da eine so alte Monarchie und eine so glorreiche Armee nicht ruhmlos untergehen können“.
... sorry, aber das ist einfach unseriös: »Kriegstreiber« sehen anders aus! Die Leserkommentare zum Artikel fallen dementsprechend eher harsch aus, wie z.B.:
witzlos correct

unabhaengig davon, was man von conrad halten will, da wird geschrieben, als waere die kuk armee von beginn des krieges weg unaufhaltsam zusammen-gebrochen. ist dies nun preussische oder sieger- oder sozialdemokratische propaganda?
fakt ist, dass - auch mit der hilfe der deutschen, denen man aber jahre den ruecken gegen die russische uebermacht frei gemacht hatte - zuerst italien an den rand der niederlage gedrueckt wurde und kuk truppen ukrainischen boden vor der revolution gewannen und danach in odessa einmarschierten. die alte entente war bereits friedensreif, der sieg wurde ausschliesslich durch amerikanische massive materielle unterstuetzung und millionen von frischen soldaten errungen. abwertende worte conrads kuk armee gegenueber sind einfach nur gedankenlos, gehaessig oder manipuliert, anderswo gab es auch keine perfektion.
sicher, die monarchie waere frueher oder spaeter auseinandergebrochen, da hatte conrad durchaus recht. kriegstreiber gab es aber viele, darunter massiv unsere angelsaechsischen freunde mit dem so verehrten (weil sieger?) churchill in nicht unwichtiger rolle.
uk war viel mehr an einem krieg interessiert als d, und hat diesen auch betrieben. uk kriegstreiber wie churchill werden aber (auch von unseren leuten) verherrlicht, waehrend das arme wuerstchen conrad verdammt wird. es wird zeit, dass wir unsere geschichte objektiv aufarbeiten, nicht im sinn von ausschliesslichen selbstvorwuerfen und eigenkastration.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Schnell noch ein Blick auf die andern »höchst bedenklichen« Straßennamen:
Alfred-Coßmann-Gasse, Ambrosigasse, Conrad-von-Hötzendorf-Straße, Dr.-Hans-Kloepfer-Straße, Dr.-Karl-Lueger-Straße, Dr.-Muck-Anlage, Dr.-Robert-Graf-Straße, Etrichgasse, Gustav-Hofer-Weg, Jahngasse, Jaritzweg, Kernstockgasse, Leo-Scheu-Gasse, Luigi-Kasimir-Gasse, Max-Mell-Allee, Nernstgasse, Pambergergasse, Pfitznergasse, Rudolf-List-Gasse und Walter-Semetkowski-Weg.
Aha. Teils lächerlich, teils infam, diese Totenehrungen als »höchst bedenklich« abzuqualifizieren! Etwa: 
Alfred Coßmann-Gasse: bedeutender Graphiker Grazer Herkunft. War vielleicht in tausendjährigen Zeiten Parteigenosse — so what? Schostakowitsch war auch KPdSU-Mitglied — macht das seine Symphonien schlechter? Hindert es jemand daran, nach ihm eine Straße zu benennen?
Ambrosigasse: bedeutender Bildhauer. Im Artikel auf LePenseur fehlen inzwischen schon zwei Bilder — die politkorrekte Zensur hat hier offenbar schon purifiziert ...
Dr. Hans Kloepfer-Gasse: selbst wenn seine Vers bloß Schott wären (was sie aber nicht sind!) — er war als Arzt ein nie erlahmender, echter Humanist, der sich im Dienst an den Kranken, insbesondere wenn sie arm waren, geradezu verzehrte. Und daß er 1938 NSDAP-Mitglied wurde: nochmals — so what? Nur deshalb soll es zu einer damnatio memoriæ eines der bedeutendsten Mundartdichter der Steiermark kommen? Obwohl der unermüdliche Arzt mehr Wohltäter seiner Mitmenschen war, als vermutlich alle, die in besagter Historikerkommission saßen und beratschlagten ...

Hören wir auf — es ist schlicht und einfach letztklassig, was da abläuft!


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P.S.: Ab heute nachmittag bin ich wieder einige Tage auf Ferien und hoffe, daß die anderen Autoren dieses Blogs die Karwoche nicht auch zum Urlauben nützen. Da ich diesmal nicht im Süden bin, kann die Katholiban-Fraktion unserer Leser ruhig schlafen: keine Bikinimädels diesmal, insbesondere angesichts der derzeitigen Temperaturen. Blondinen im Pullover können auch ganz reizend sein, habe ich mir sagen lassen ;-) ...


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*) entgegen weitverbreiteter Meinung ist das nicht der Vorname des Feldherrn (sein Taufname war Franz), sondern sein genuiner Familienname — »von Hötzendorf« war nur sein Adelsprädikat (er wurde 1910 zum Freiherrn erhoben und stand zuletzt im Rang eines Grafen).


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