Mittwoch, 20. November 2019

Einspruch!


Gestern erschien auf diesem Blog ein Artikel von Kollegen Fragolin, denn ich nicht unkommentiert so stehenlassen möchte:
Mimimi
von Fragolin

Da hat dieser kleine Wunderknabe also eine App gebastelt, über die man, jeglichem Datenschutz lachend ins Gesicht spuckend, Lehrer öffentlich bewerten und niederkommentieren kann, und den Lehrern ausgerichtet, sie mögen bitte nicht so dünnhäutig sein und negative Bewertungen eben wegstecken. Es würde eh nur objektiv bewertet (wer an Objektivität glaubt, glaubt auch an Regenbogen-Einhorn-Kittys…) und überhaupt sei eben jeder selbst schuld, wenn er keine Bestbewertung bekommt.

Gleich nach dem ersten Wochenende wurde die App wieder vom Netz genommen. Im App-Store wurde sie nämlich massiv negativ bewertet und kritisiert, dass es sich um eine Mobbing-App und Datenkrake handle und um offenen Verstoß gegen jeglichen Datenschutz und jegliche Persönlichkeitsrechte. Während Noten nicht mehr in der Klasse vorgelesen werden dürfen, würden Lehrer öffentlich an den Pranger gestellt. Und das ließ den Programmbastler weinend zusammenbrechen, weil er ja jetzt von „Hass“ verfolgt wird.
Nun kann ich ja die Süffisanz, mit der Kollege Fragolin das »Mimimi« des Programmbastler-Jüngels behandelt, durchaus verstehen und teile sie vollinhaltlich. Wer austeilen will, muß auch einstecken können, sage ich immer. Nur: warum diese App einen »offenen Verstoß gegen jeglichen Datenschutz und jegliche Persönlichkeitsrechte« darstellen soll, erschließt sich mir nicht ganz!

Sind Lehrer sakrosankte Lebewesen? Exakt, das, was mit Lehrern diese App bewerkstelligen sollte, das wird seit jeher mit einigen anderen Berufsgruppen gemacht. Theater-, Musik- und Filmkritik sind ja nicht erst mit den Smartphone-Apps erfunden worden, sondern existieren seit Jahrhunderten (okay, die Filmkritik erst seit ca. hundert Jahren). Und bspw. ein Anton Bruckner wußte ein Lied davon zu seufzen, was ihm die gehässige Kritik Hanslicks alles an Aufführungsmöglichkeiten und positiver Publikumsresonanz verhagelt hat.

Seit Jahrzehnten treiben »Gastrokritiker« ihr Unwesen — Zeitschriften wie Gault Millau, Falstaff & Co. loben und verreißen Restaurants seit Jahren — und über den noblen Zirkel der Haubenlokale hinaus: seit Jahren boomt auf Trip Advisor & Co. die Hotel- und Gasthausbewertung durch Besucher: hat hier je einer »Datenschutz« und »Persönlichkeitsrechte« moniert, wenn der Koch XY mit seiner neuesten Kreation zur Sau gemacht wurde?

Warum also nicht Lehrer bewerten, wenn dasselbe Schicksal auch Ärzte, Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, IT-Berater, Baumeister, Installateure (und überhaupt alle Wirtschaftstreibenden) trifft? Oder ist der erboste Patient, dem der Doktor nicht einfühlsam genug auf seine Wehwehchen eingehen wollte, für den Arzt nicht ebenso ein Problem, wie für einen Lehrer ein aufsässiger Schüler, der ihn wegen eines »Nichtgenügend« in Mathe angiftet?

Sicher: ich weiß schon, daß anonyme Kritik dazu verleitet, die Sau rauszulassen und hinterhältig Rache zu nehmen (genau das werfen diesem LePenseur-Blog ja gerne Poster vor, bei denen es mich immer amüsiert, daß sie diese Kritik natürlich als »Anonym« oder hinter einem Nickname versteckt vortragen ...) — und das unterscheidet die »Lehrer-App« (aber auch die Bewertungen auf »Google«, »Herold« oder »TripAdvisor« wohlgemerkt, denn auch die sind meist anonym!) von den Artikeln im Falstaff-Magazin oder der Theaterkritik in der Tageszeitung. Denn da steht ein Name drunter, und da kann man sich (meist aber nur theoretisch!) beschweren, wenn Unwahres behauptet wird.
Ja, keine Frage: solche Bewertungsplattformen sind nicht unproblematisch! Denn wenn nicht die Kompetenz, sondern die beleidigte Leberwurst das Sagen hat, und man einfach nicht feststellen kann, ob hier ein Kenner berechtigt kritisiert, oder vielleicht ein neidischer Konkurrent giftig anschwärzt — es ist problematisch. Aber es ist wohl kaum problematischer bei einer Lehrer-App als bei einer App für Restaurant-Bewertungen. Wobei die Konsequenzen bei der letzteren im Mißbrauchsfall noch weit dramatischer ausfallen dürften, als in der »geschützten Werkstatt« einer Schule.

Eine geschickt eingefädelte Kampagne gegen ein Restaurant kann dieses schnell in Konkurs treiben. Die Wahrscheinlichkeit, daß negative Bewertungen auf einer Schüler-Plattform einen Lehrer den Job kosten, halte ich dagegn für wohl weit geringer: zu gut organisiert ist dafür die Lehrergewerkschaft, als daß die sowas durchgehen ließen! Was für den »unorganisierten« Lehrer, der vielleicht noch Nonkonformist ist, vermutlich nicht gelten wird. 
Nur frage ich mich: was tut so jemand auf einer öffentlichen Schule? Und weiters: würde der nicht längst von seinen »lieben« Kollegen gemobbt werden, was das Zeug hält ...?


9 Kommentare:

Heinz hat gesagt…

Geschätzter LePenseur,
Ich würde ihre Sichtweise teilen, wenn ich Schüler als Kunden in einem Marktumfeld betrachtete. Das kann man, tu ich aber nicht.
Es gibt hier einen feinen Unterschied, vor allem im Falle öffentlicher Schulen, wegen der Leistungspflicht der Schüler, was in einem Restaurant z.B. nicht der Fall ist. Es würde darauf hinauslaufen, dass sich die Lehrer den Schülern andienen müssen, was die Schüler zu berieseln lassenden Konsumenten aufwerten würde.
Gegen schlechte Lehrer muss man anders vorgehen, nicht mit einer App.

Michael hat gesagt…

Sehr von mir geschätzter "Penseur"!

Kann man einen Einspruch beeinspruchen? Keine Ahnung, da ich kein Jurist bin. Wenn sie beispielsweise eine Praxis, Kanzlei oder Anderes haben, gibt's mittlerweile Firmen, die ihnen für einen bestimmten Betrag, positive Bewertungen ins Internet stellen. Sie wissen das wahrscheinlich. Bewertungen sind also mit größter Vorsicht zu geniessen. Diese Firmen würden wohl ein zusätzliches Einkommen mit Lehrern generieren können.

MfG Michael!

Le Penseur hat gesagt…

Cher Heinz, cher Michael,

danke für Ihr beherztes Dagegenhalten — aber: die Sache hat sich ohnehin erledigt, indem die App blitzartig vom Netz genommen wurde. Offenbar hat die Gewerkschaft da massiv Druck gemacht, weil sie ihre betragszahlenden Schäfchen ("Schafe" wäre bei Lehrern vielleicht angebrachter, übers Schäfchenalter sind sie wohl hinaus, und mental sowieso ;-) ...) keiner Unbill ausgesetzt sehen wollten.

Dennoch — mein Standpunkt: die Lehrer sollten sich was einfallen lassen. Nur sind halt die meisten in Wahrheit für ihren Job nicht gerade optimal geeignet (to put it mildly) und werden, selbst wenn sie's wären, von der "Organisation" unserer Schulen ebenso demotiviert wie mundtot gemacht.

Wenn Lehrern faktisch nahegelegt wird, jeden Trottel, der lästig werden könnte, durchzulassen, darf man sich nicht wundern, daß die Qualität des Unterrichts (auch ohne "andienen" an die Schüler immer schleißiger wird. Und ich kenne das aus meiner Berufspraxis vom Standpunkt des Dienstgebers, der diese "Schulprodukte" dann einstellen muß: eine Sekretärin mit einem "bloßen" Handelsschulabschluß (für Piefkes: "mittlere Reife"), die ich vor zwanzig Jahren einstellte, konnte doch noch ein bisserl was, und war intelligent und engagiert genug, sich das fehlende in kurzer Zeit anzueignen. Solche damaligen Mädels und heute Damen in den Dreißigern beschäftige ich noch immer gern: sie können was, sie tun was, und wichtiger noch: sie denken mit!

Was ich bei den heute 20+ Bewerbern leider nicht mehr sagen kann. Bei denen sich auch meinen vorerwähnten geschätzten Damen die sprichwörtlichen Zehennägel aufrollen! "Work-life-balance"-orientierte Schnarchnasen mit NULL Streßresistenz, ausgeprägter Verantwortungs-Aversität und ziemlichem (bis völligem) Desinteresse an der Arbeit und den Erwartungen meiner Klientel: so sieht leider die Realität bei unseren "Millenials" aus.

Da ich nicht annehme, daß der Gen-Pool meiner Nachfolgegenerationen so blitzartig nachläßt (ein ganzes Volk verblödet ja nicht quasi "über Nacht"!), nehme ich an, daß hier wohl die Schulen mit ihrem "Hauptsache-Spaß-am-Unterricht"-Credo und ihrem hochgestochen tuenden "Projektarbeit"-Getue die Hauptschuld tragen. Und wenn die Schüler dann aus der "geschützten Werkstatt" Schule dann in die Lebensrealität treten, fallen sie aus allen Wolken.

Parallel dazu die Tendenz, alles mit "Diplomen" und "Lehrgängen" aufzubrezeln (schon die Kindergartentante ist mittlerweile eine "Kindergartenpädagogin", am besten mit einem Master-Degree ...) und zu formalisieren, statt eine solide Grundausbildung zu vermitteln.

Mein Vater hatte in den 1960er-Jahren in "seiner" Bankfiliale einen Filialdirektor, der die Handelsschule besucht hatte und dann eine Banklehre absolvierte. Und dennoch höchst kompetent war. Inzwischen sitzt auf so einem Posten mindestens ein Magister der BWL. Der oft genug ein scheuklappenbewhrter Volltrottel ist. Und das sind keine Einzelfälle.

Ja, ich schieb ja in meinem "Einspruch": es ist problematisch, wenn Schüler anonym Lehrer "bewerten", wie eben jede anonyme Bewertung problematisch ist. Es wäre aber weitaus weniger problematisch, wenn unser Schulwesen statt auf Gleichmacherei auf Leistung getrimmt würde.

Und man komme mir nicht mit der Befürchtung, daß die armen Kinderleins dann durch "Gott Kupfer"-Typen geknickt in den Selbstmord getrieben würden. Bullshit! Ja, sicher: es wird vereinzelt vorkommen, wie eben alles vereinzelt vorkommt.

(Forts.)

Le Penseur hat gesagt…

(Forts.)

Aber auch ich war Schüler, und war aufgrund meines schon damals ausgeprägten Individualismus' wohl eher der Schrecken mancher Lehrer. Aber auch damals, als Noten faktisch nicht beeinspruchbar waren, habe ich es geschafft, durch das Gymnasium mit recht guten Noten zu kommen, und sogar unser Mathematiker, dessen "Genügend" mir den Vorzug bei der Matura verhaute, gratulierte mir kopfschüttelnd am Schluß bloß mit der Bemerkung: "Net einmal bei der Matura kannst du aufpassen und die Angabe vollständig lesen. So viel Blödheit gehört ja bestraft!" (ich hatte bei einem Beispiel übersehen, daß da noch eine zweite, noch dazu sehr simple Frage gestellt war — womit ein Beispiel eben nur als "halbrichtig" galt, und mir den eigentlich erwarteten "Dreier", mit dem ich in Mathe völlig zufrieden gewesen wäre, verhagelte) ...

Und es hat mich auch nicht daran gehindert, während meines Jus-Studiums mit so ziemlich allen Professoren in den Seminaren streitbar Diskussionen zu führen, und trotzdem "cum laude" zu promvieren.

Aber damals konnten Professoren unfähige Schüler eben noch durchfallen lassen. Und mußten sich nicht "anbiedern", so wie sie es längst schon faktisch müssen. auch ohne "Lehrer-App" ...

Anonym hat gesagt…

Ein beherzter besorgter Bürger hat einen Sohn des vormaligen deutschen (CDU-)Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker nicht nur gemessert, sondern erfolgreich abgestochen und dessen Dasein als Abkömmling eines in Populistenkreisen als "Volksverräter" verschrieenen Mannes beendet.

Bravo, Ihr rechten Helden! Interessant ist auch, dass Ihr zwar am lautesten gegen die Grünen hetzt und die natürlich auch mit euren Morddrohungen zumüllt, aber umsetzen tut ihr selbige bevorzugt bei CDU-Menschen. Wahrscheinlich, weil das die Partei von "IM Erika", also dem Teufel in Menschengestalt ist.

Fragolin hat gesagt…

Werter Denker,
leider fehlt mir die Zeit für ausführlichere Worte, daher nur: Wir sind uns näher, als Sie denken. Ich halte diese ganze Bewertungsseuche für überflüssig, kann sie (auch als Selbständiger) aber ein Stück weit verstehen. Was nicht heißt, dass ich nicht für ihre sofortige Abschaffung wäre. Wie hier schon angemerkt wurde, gibt es einen Unterschied zwischen unmündigen Überantworteten mit Leistungsverpflichtung und Konsumenten am Freien Markt.

Dass ich diese Bewerteritis auch für alle anderen Personen strikt ablehne, hätte ich wohl zusätzlich erwähnen sollen, denn mir stinken diese öffentlichen Pranger alle, auch über Dienstleister, Klempner, Ärzte oder Rechtsanwälte. Aber eben ganz besonders, wenn es wie bei den Lehrern nicht um eine freiwillige Kunden-Lieferanten-Beziehung geht sondern um eine Pflichtbeziehung mit Leistungsverpflichtung.

Der von Ihnen zurecht beklagte qualitätive Niedergang der Schulen wird garantiert eher beschleunigt, wenn man ausgerechnet die Kinder fragt, wie man ihnen denn den Unterricht bitteschön angenehm machen muss. Wenn überhaupt jemand bewerten kann, dann die Eltern, denn bis zur Volljährigkeit der Sprösslinge sind diese allein die Kunden der Schule. Und selbst das ist mit Vorsicht zu genießen, denn als Vater zweier Schulkinder erlebe ich nicht nur engstirnige pragmatisierte Altlehrkräfte sondern auch Helikoptereltern mit ausgeprägter Filiusfixierung auf ihre "hochbegabten" kleinen Blagen.

Dass das Bildungssystem stinkt und suppt an allen Ecken und Enden ist ein Thema für sich, und die Lehrer bekommen von mir gerne etwas Fett weg (und haben da auch schon einiges abbekommen), aber das Schulversagen jetzt über eine Pranger-App zu kompensieren halte ich für falsch. Und nebenbei glaube ich nicht an irgend eine Attitüde, etwas verbessern zu wollen, denn die Investoren wollen Geld damit machen, viel Geld, je mehr Geld desto besser - und sonst gar nichts. Mein geld mit den Händen anderer zu verdienen, dagegen habe ich nichts, aber auf dem Rücken anderer, das halte ich für ethisch mehr als bedenklich. Und das Persönlichkeitsrecht gilt meiner Meinung nach für alle Menschen, auch Lehrer. Nur wer bereits in der Öffentlichkeit steht, wie Politiker, Journalist oder Künstler, der muss das wegstecken, vor den Vorhang gezerrt zu werden. Jeder andere nicht, nicht in einem Rechtsstaat.
MfG Fragolin

gerd hat gesagt…

Die Leute sollten grundsätzlich lieber versuchen den Balken in ihrem eigenen Auge zu bewerten, als die Splitter in den Augen der anderen. Dann würden sich die Bewertungsorgien in den sog. neuen Medien von selber erledigen.

Le Penseur hat gesagt…

Cher "Anonym",

eigentlich sollte der Admin Ihr pseudosüffisantes off-topic-Posting überhaupt löschen. Was hat denn ein Mord an einem Arzt mit einer Lehrerbewertungs-app zu tun ...?

Aber außerdem sind Sie nicht am aktuellen Stand:

Laut Nachrichtenmagazin „Spiegel“ hatte der Tatverdächtige Hass auf ­Richard von Weizsäcker, den Vater des Getöteten, gehabt, weil dieser in den 60er-Jahren Geschäftsführer beim Chemiekonzern Boehringer gewesen sei. Dieses Unternehmen habe damals töd­liche Giftstoffe für den Vietnam-Krieg geliefert.

Also kein von Ihnen ironisch so genannter "beherzter besorgter Bürger", sondern ein Geistesgestörter, wie Sie hier nachlesen können. Und solche kommen auch unter Deutschen bisweilen vor, wie Sie sich vorstellen können. Oder sogar aus eigener Erfahrung wissen.

Adieu!

Anonym hat gesagt…

Anonym hat gesagt...
Ein beherzter besorgter Bürger usw.usw. ---

Ich bitte um Nachsicht wegen nicht eigentlich zur Sache: Zu dem Messermord an Daniel Hillig hatte ein Bimbestagsabgeordneter der "Linken" "getwittert": Sinngemäß - Der wäre wohl beim beim Ausländerklatschen an den Falschen geraten. Was ich von diesem ... halte, kann ich aus mehreren Gründen hier nicht äußern. Wenn die NUR primitiv wären - Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht - es wäre übel genug. Aber wie die sonst noch drauf sind, haben sie z.B. von 1975-79 in Kambodscha gezeigt. Und ihre Schlußfolgerungen, nicht nur da: Genossen, wir haben es an revolutionärer Wachsamkeit fehlen lassen ...