... betitelte Martin Meyer in der »Neuen Zürcher Zeitung« am vergangenen Wochenende einen lesenswerten Artikel. Wenngleich die Blauäugigkeit — oder vielleicht bloß eine der Redaktionslinie geschuldete Floskel? —, mit der die durchaus zweifelhafte Täterschaft der »Boston-Marathon-Bomber« als bereits »gegessen« gesetzt wird, etwas eigenartig anmutet (auch der Schlenkerer zu den in London auftretenden »mutigen Frauen« wirkt wie ein Pflichtkotau vor irgendwelchen Redaktionsemanzen): die Analyse, die Meyer vorlegt, ist durchaus fundiert — eine Passage gegen Schluß als Kostprobe:
Terror gründet in den Köpfen, und die Köpfe wollen ein Dogma. Nachahmung ist ein Motiv, doch auch sie bedarf der Weisung. Vor solcher Innenspannung ist es nur folgerichtig, dass sich rasch nach den Attentaten ein paar fanatische Imame die Hände rieben. Sie erklärten frank und frei, die Anleitung zum Fanal sei ihr Werk gewesen. Christliche Mitleidsethik müsste nun selbst Allah bedauern: genauer, dass der Berufung auf ihn so viel Wahnsinn entnommen werden kann.(Hier der ganze Artikel)
Religion – in ihrer militantesten Verschärfung – ist jedoch, wie immer man es drehen und wenden mag, die Zornfabrik für solche «Kriege». Sie saugt das Gewissen an und immunisiert es zugleich. Sie hat dabei den gefährlichen Vorteil, dass sie gegen die Widerstände des Realitätsprinzips unbelangbar und unbeirrbar bleibt. Totalitär-terroristische Bewegungen und Revolutionen säkularer Façon, die sich seit unserer dynamischen Moderne auf die Geschichte beriefen, kapitulierten schliesslich vor ebendieser Geschichte: Sie gingen unter oder liefen aus. Reiche des Himmels sind bekanntlich gegen solche Gegenkräfte resistent. Dies ist es, was den Islamismus für jene, die – aus welchen Gründen immer – am nackten Diesseits kranken, so attraktiv macht. Sie wandeln, zumal als Krieger letzter Gefechte, in anderen Sphären. Der ultraradikale Salafistenlehrer Murgan Salim al-Guhari, der sich rühmt, bei der Sprengung der Buddha-Statuen von Afghanistan dabei gewesen zu sein, stellt inzwischen auch die Forderung, die «Symbole der Gotteslästerung», will sagen: die Pyramiden, die Sphinx, die Tempel am Nil, zu schleifen. Er ist damit nicht allein.
Über allem soll nicht vergessen gehen, dass die Verwerfungen unserer Zeit nicht nur Aporien produzieren. In der Türkei wird heftig demonstriert, und die Wut gilt zwar primär dem selbstherrlich gewordenen Ministerpräsidenten, aber zwischen den Zeilen zugleich den zunehmenden Massnahmen zur Islamisierung des Alltags. Anderseits dürfte der Fundamentalismus mitsamt terroristischen Attacken noch lange Konjunktur haben.
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