Sonntag, 16. Oktober 2022

Ein »Sandwich-Kind« der Musikgeschichte (Teil 1)

von LePenseur
 
 
Schon öfter habe ich mich auf diesem Blog um vergessene — bzw. ein Schattenleben in Musikarchiven und -lexika führende — Komponisten bemüht, auch jene bedauernswerten »Ein-Werk-Komponisten«, die zwar viele weitere Werke geschrieben haben, aber eben nur mit einem einzigen bis heute in Konzerten »überlebt« haben, gewürdigt. Diesmal beschäftige ich mich mit einem noch weitaus tragischeren Fall: was macht man, wenn man Schüler eines Giganten (und mehrerer Großer) ist, und selbst wieder einen Großen als Schüler hat — und wenn von all den vielen Werken, die man schrieb, eigentlich nur (seltsamerweise) jene bis heute gespielt werden, die jeder haßt und keiner spielen mag, weil er sie einst spielen mußte ...? Die Rede ist von

Carl Czerny

 
 
 
Schüler von Beethoven (dem »Giganten«), daneben auch von (den »Großen«) Muzio Clementi und Antonio Salieri — selbst Lehrer von Franz Liszt ...

Daß er nicht bloß der Komponist der von jedem Klavierschüler gefürchteten Etüden war, und daneben noch ein bißchen Virtuosen-Geklingel in Form von »Opern-Phantasien« und »Charakterstücken«  (und was dergleichen mehr in den Salons seiner Zeit beliebt war) geschrieben hat, ist weithin unbekannt. Es sind zwar schon zwei Artikel auf diesem Blog (hier und hier) über Czerny erschienen, aber heute und in zwei weiteren Artikeln möchte ich auf seine durchaus beeindruckenden Klaviersonaten, insgesamt elf an der Zahl, eingehen.

Schon seine erste Sonate, op. 7 in As-dur (wie auch die nächstfolgenden noch zu Lebzeiten Beethovens geschrieben) ist ein höchst beeindruckendes Werk, sodaß sie immerhin auch Franz Liszt regelmäßig in seinen Konzerten spielte — schwer genug ist sie jedenfalls, um auch Virtuosen leicht ins Schwitzen (und Nicht-Virtuosen auf Suizidgedanken) zu bringen:


Das fünfsätzige Werk (an das übliche Rondo-Finale ist als fünfter Satz noch eine Fuge angeschlossen, die zeigt, daß Czerny aus dieser zu seiner Zeit längst »überholten«, »akademischen« Form ganz neue Effekte herausholen kann, ohne die tradierten Gesetze des Kontrapunkts zu verletzen.

Auch Czernys Sonate No. 2 in a-moll, op. 13 (aus 1821) folgt dieser Satzanordnung: vier »normalen« Sätzen klassischer Ordnung folgt als fünfter eine (hier freilich deutlich kürzere) Fuge:


Die Sonate No. 3 in f-moll, op. 57 ist viersätzig und folgt damit spätklassischen Spuren, läßt jedoch schon deutlich frühromantische Einflüsse erkennen:


Die Sonate No. 4 in G-dur, op. 65 (vermutlich aus dem Jahr 1824) erinnert in manchen Zügen an die Klavierwerke von Franz Schubert, ohne die Beethoven-Schule zu verleugnen:


Auch die Sonate No. 5 in E-dur, op. 76 (vermutlich ebenfalls aus 1824) zeigt wieder die Grenzstellung des Komponisten zwischen Spätklassik und Frühromantik, wobei Czerny hier als fünften Satz eine Toccatina, also eine kleine Toccata, dem (Final-)Rondo folgen läßt:


Damit ist gewissermaßen das »Frühwerk« der Sonaten abgeschlossen — denn die monumentale No. 6 trägt schon die weit höhere Opuszahl 124 und unterscheidet sich von ihren Vorgängern grundlegend. Bis dahin also!

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo!

Ja, die deutschen Landen und ihre Komponisten. Es ist schon bemerkenswert, wie viele Schöpfer großer Musikwerke aus dem Gebiet des ehm. "Heiligen Römischen Reich deutscher nation" stammten: Haydn, Bach, Mozart, Beethoven, Lisz, R. Strauss (wie ich erfahren habe) - später dann Schönberg und, ich wage es, ihn aufzuführen: Hans Zimmer.

Hier ergeben sich dann interessante "musikalische Genealogien": Beethoven wurde z. B. von Mozart (formal, er soll wohl nicht viel gelernt haben ) und Haydn ausgebildet worden sein.
Ich finde sie nicht mehr, aber einer dieser Gruppe hatte wiederum eine Querverbindung zu einem der Schüler/Söhne von Bach. Damit hätten wir dann den Kreis geschlossen.

Auch jenseits der relativ klaren und unbestreitbaren Lehrer-Schüler-Beziehung gibt es unverkenntbar Einflüsse der Genies aufeinander.
Nicht, dass ich den Italienern und Franzosen die großartige Musik absprechen will. Ganz im Gegenteil.

Wer sich heute für dieser Art von Musik interessiert und schon alle Klassiker kennt, der sollte sich an moderne Interpretationen richten oder eben bei der Filmmusik und sowas nachschauen.

Gruß

"Nato-Troll".

Sandokan hat gesagt…

"Czernys Schule der Geläufigkeit" - wohl immer noch der Klassiker für angehende Pianisten.

@NATO-Troll
Afaik war Beethoven Schüler von Salieri...
Laut russischer Legende der Mörder von Mozart (so jedenfalls Pushkin).

https://www.youtube.com/watch?v=9jlQiHHMlkA

Franz Lechner hat gesagt…

Wie viele bedauernswerte Komponisten gibt es erst heute, die große Musik geschaffen haben, und von denen - nichts überleben wird, einfach weil dies angesichts der immensen Konkurrenz schlicht unmöglich wäre?