Montag, 2. Januar 2012

»Europäertum«?

Zum Jahreswechsel wieder einmal bei der Lektüre von August Winnig: »Aus zwanzig Jahren«. Welch ein bemerkenswerter Mann, der es vom einfachen Maurer bis zum deutschen Gesandten im Baltikum, Oberpräsidenten von Ostpreußen und vielgelesenen Schriftsteller brachte! Ein Leben — der Artikel auf Wikipedia, den ich für die Eckdaten seines Lebens der Einfachheit halber verlinke, wird ihm nicht wirklich gerecht — voller Brüche auch, voller Rückschläge, Gefahren und Schieflagen. Ein Leben eben, wie es für seine (und die folgenden) Generationen, die in die Nazi-Zeit hineingerieten (ob sie wollten oder nicht), und sich mit ihr auseinandersetzen mußten (ob sie wollten oder nicht), durchaus typisch war. Oder, bessergesagt: typisch hätte sein könnte. Denn die Kraft seiner Gesinnung und die tadellose Haltung, die Winnig trotz mancher Fehleinschätzungen stets auszeichnete, war eben leider zu selten, um »typisch« genannt zu werden.

In seinem autobiographischen Buch »Aus zwanzig Jahren. 1925 bis 1945«, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde, schildert Winnig ein Gespräch unter Freunden etwa ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung, in dem die Perspektivenlosigkeit der NS-Ideologie bereits weitblickend erkannt, und nach künftig möglichen Geisteshaltungen in einer Zeit nach dem Nationalismus, der im Paroxismus (welche treffende Diagnose!) Hitlers seinem Ende zugehe, gefragt wurde. Hier nun meldet sich Winnig zu Wort — mit einem Begriff: »Europäertum«. Und wird sofort unterbrochen: »Weltbürgertum? Das haben wir schon einmal gehabt.«

Aber August Winnig meinte nicht ein Weltbürgertum, sondern dachte »an die Völkerfamilie germanisch-romanischer Herkunft, die, vom Christentum geeint, einem gemeinsamem Schicksale untersteht.« Ach, wie »unmodern« doch solche Begriffe sind — und doch wie wahr! Natürlich ist es weitaus cooler, über einen »Europäischen Stabilitätsmechanismus« hochtönende Wortblasen in die Medien zu sprudeln — aber ist es wahr? Und Winnig setzt auf Nachfragen noch eine, nein: die richtige Definition von »Europa« vor unsere staunenden Augen und Ohren, die nach dem gutmenschlich-leisetreterischen Gesülze der letzten Jahrzehnte nicht mehr gewohnt sind, klare und einfache Fakten und Worte zu erfassen:

»Die Grenzen [Anm.: Europas] lassen sich sehr wohl bezeichnen. Wo zu annähernd gleicher Zeit im gleichen Stil gebaut wurde, wo wir in dieser Reihenfolge Romanik, Gotik, Renaissance und Barock sehen, da ist zweifelsfrei Europa. Es gibt auch noch andere Merkmale: wo wir, wieder in dieser Abfolge, Scholastik und Mystik, Refomation und Gegenreformation, Aufklärung und Atheismus finden, dort ist wieder zweifelloses Europa. In der Musik und Malerei gibt es Entsprechungen. Europa ist Einheit durch das gleiche geistige Schicksal.« (op.cit. S 95 f.)
In einer Zeit, in der Europa längst zum »Projekt« skrupelloser Profitjäger in Politik wie Konzernen wurde, in der ein einziges, hinter politkorrekten Phrasen nur notdürftig verhülltes »Enrichissez-vous!« unserer »Eliten« das Leitmotiv aller Aktionen bildet — in so einer Zeit täte es gut, einmal zurückzutreten, um zu erkennen, daß »Europa« nicht mit dem Euro, dem Schengen-Raum, der kommenden Fiskalunion, oder den »Vier Freiheiten« gemeint und erschöpft ist! Daß vielmehr all diese »Projekte« nur (sic!) dann einen mehr als ephemeren Bestand haben werden, wenn die dahinterstehende Idee Europas verstanden und geteilt wird.

Und nein: der Islam gehört demnach ebensowenig zu Europa, wie die platte Imitation des american way of life, oder fernöstlicher Ameisenstaaten (was offenbar das Fernziel unserer Eurokraten sein dürfte). Wer die gute und richtige Idee eines »Europas der Vaterländer« in einer friedlichen Wirtschaftsgemeinschaft zugunsten eines uns bombastisch als »Idee« verkauften Projektes eines omnipotenten Monsterstaates »EU« aufgeben will, mag (aber auch nur auf kurze Sicht!) sein Geschäft verstehen. Denn big government zieht eben auch stets ein big business nach sich, dessen Profitabilität für den Lobbyisten und Manager ebenso unzweifelhaft ist, wie sein Nutzen für die Gemeinschaft mehr als fraglich.

Aber es hat mit dem Geist Europas nicht mehr gemeinsam, als ein Silvesterbesäufnis mit Platons Symposion ...

2 Kommentare:

Arminius hat gesagt…

Ich muß Dir leider widersprechen:

Selbstverständlich gehört der Islam zu Europa. So wie die Pest zum Mittelalter.

FDominicus hat gesagt…

"Denn big government zieht eben auch stets ein big business nach sich, dessen Profitabilität für den Lobbyisten und Manager ebenso unzweifelhaft ist, wie sein Nutzen für die Gemeinschaft mehr als fraglich."

Fraglich understatement des Jahrzehnts und definitiv von 2012 ;-)