Samstag, 30. Juni 2018

Horst Wolfram Geißler


Wie so oft, kam es zu meiner ersten Begegnung mit diesem Schriftsteller im Wühlkasten meines »Haus- und Hofantiquariats«, bei dem ein kleines Büchlein meine oberflächliche Aufmerksamkeit erregte: »Der Prinz und sein Schatten«. Zu Hause nahm ich es einige Tage später zur Hand — und war nach wenigen Seiten völlig gefesselt: ein Menschenschicksal, das durch Zufälle an das Geschick eines Prinzen gekettet war, erstand vor dem inneren Auge mit einer Plastizität und Detailgetreue, wie sie eben nur große Schriftsteller hervorzubringen vermögen. Der Prinz — Eugen von Savoyen. Und dieser hier: sein Schatten — und doch viel mehr. Ein ganzer Mensch mit allen Facetten fing in den Zeilen zu leben an, ein faszinierend-aufregendes, und zugleich zutiefst tragisches Leben ...

Horst Wolfram Geißler war der Autor: der Name sagte mir nichts, doch machte ich mich aufgrund dieses Leseerlebnisses auf die Suche nach weiteren Büchern — und wurde schnell in Antiquariaten fündig: »Der liebe Augustin«, »Die Glasharmonika«, »Der ewige Hochzeiter«, »Königinnen sind so selten« und noch viele mehr, die inzwischen in meiner Bibliothek ihren Platz gefunden haben.

Es gibt nicht viele Autoren, die mich bei Lektüre vieler Werke mit keinem einzigen »enttäuscht« haben — und Geißler gehört zu ihnen. Sicher: sein Schaffen überschreitet nicht einen gewissen Radius der Empfindungen und Ausdrucksweisen, sondern variiert sie quasi nur, aber mit welcher Vielfalt und welchem Abwechslungsreichtum! Es ist auch nicht zutreffend, wie der Wikipedia-Artikel uns glauben machen will, daß er »das Leben meistens von seiner heiteren Seite« zeigt — denn diese scheinbare »Heiterkeit« ist eigentlich immer auch mit der dunklen Folie heimlicher Tragik unterlegt und schafft so vielschichtige Charaktere, die den Leser überzeugen können.

Obwohl er zur Zeit der Abfassung seiner Literaturgeschichte nur das frühe Werk des Schriftstellers kennen konnte, hat ihn der große Literaturkundige, Prof. Dr. Anselm Salzer, in seiner treffenden Art zu charakterisieren gewußt:
Wilhelm Raabes grotesker Humor vermählt sich mit Paul Kellers herbsüßer Romantik zu einem gut deutschen Zusammenklang in Horst Wolfram Geißler, dem Sohne des Max Geißler. Er erzählt in einer oft bestrickend schönen Sprache und verfügt über die sichere Kunst des Dichters, eine vergangene Zeit lebendig zu machen. Sonderlinge sind seine Lieblingshelden.
» ... zu einem gut deutschen Zusammenklang« — vielleicht, nein: vermutlich liegt hier der Schlüssel für das Schweigen, das die neuere Literaturgeschichtsschreibung über den Autor breiten will. Alles, bloß nicht »gut deutsch« darf sein.

So ist Geißler zwar bis zu seinem Tode, der sich heuer zum 35. Male jährte, ein »Erfolgsautor« bei seinen Lesern geblieben, doch die akademische und mediale Literaturgeschichte und -kritik hat ihn weitgehend ignoriert. Wer jedoch der Meinung ist, daß Literatur nicht nur »ad usum antifanti« zu bewerten sei, sondern ihren inneren Wert aus der Überzeugungskraft ihrer Darstellungen bezieht, der wird den Autor zu würdigen wissen — und zu lieben lernen!

Ob es die heitere Figur eines Augustin Sumser ist, die den Leser noch in seinem tragischen Tod zu bezwingen vermag, oder die faszinierende Darstellung der Umbrüche der französischen Revolution und des Zeitalters Napoleons in Geißlers meisterlichen Roman »Königinnen sind so selten«, oder eben die Figur eines Prinzen Eugen und seines Schattens — all diese Werke machen in der Tat »eine vergangene Zeit lebendig«: so lebendig, wie's eben nur der schöpferische Atem eines echten Dichters vermag ...


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