Dienstag, 21. April 2015

Ihm flicht auch die Nachwelt Kränze

Die dramatischen Umstände um seine Geburt, sein Schicksal als Kind und Jugendlicher, sowie die Anfänge seiner künstlerischen Karriere lesen sich auf Wikipedia wie ein reichlich dick aufgetragendes Drehbuch für einen Film über einen Ausnahmemenschen:
Vater Frank, dessen Vater in Irland geboren wurde, kämpfte in der Mexikanischen Revolution für Pancho Villa. Seine Mutter war eine 15-jährige Mexikanerin. Als der Vater als verschollen galt, reiste die Mutter mit dem kleinen Anthony illegal über die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ließ sich in der Nähe von Hollywood nieder. Hier trafen sie später wieder mit seinem Vater Frank zusammen, der damals als Kameramann in Hollywood arbeitete, bis er 1927 bei einem Autounfall ums Leben kam. Daraufhin musste der erst zwölfjährige Anthony zum Lebensunterhalt beitragen und arbeitete in den nächsten Jahren unter anderem als Zeitungsjunge, Schuhputzer, Wasserträger, Fensterputzer, Schlachthausarbeiter, Maurer, Straßenprediger, Boxer und Zuschneider in einer Textilfabrik.
Seine Künstlerkarriere begann er aber nicht als Schauspieler, sondern als Bildhauer. Bereits mit elf Jahren erhielt er einen Preis für eine Skulptur. Weiterhin war er ein begeisterter Saxophonspieler und gründete eine eigene Band. Später studierte er Architektur mit einem Stipendium bei Frank Lloyd Wright. Beide entwickelten ein persönliches Verhältnis zueinander, und Lloyd Wright bezahlte dem damals Siebzehnjährigen eine Operation an der Zunge, die einen Sprachfehler behob. Zusätzlich zur Operation erhielt er therapeutischen Sprachunterricht, der sein Interesse an der Schauspielerei weckte. Zwei Jahre später gab er sein Theaterdebüt neben Mae West in dem Schauspiel Clean Beds.
Die Rede ist — der eine oder andere wird es bereits erraten haben — von Anthony Quinn. Er wurde heute vor hundert Jahren, am 21. April 1915 in Chihuahua (so heißt nicht nur eine Hunderasse, sondern auch eine Stadt in Mexiko) geboren. Die Liste seiner Filrollen ist fast unüberschaubar lang — und sicherlich war die erfolgreichste Figur, die er spielte (nein: lebte!) die des Alexis Sorbas.

LePenseur muß gestehen, daß ihm dieser Film, bei all seinem Ruhm, nicht ans Herz rührt. Vielleicht ist er einfach zu steif (oder zu zynisch verbittert) um sich daran zu ergötzen, wie da einer seine Probleme wegtanzt ...

Ein anderer Film mit Anthony Quinn jedoch prägte sich dafür seinem Gedächtnis unauslöschlich ein. Vielleicht weniger wegen des Hauptdarstellers (obwohl Quinn darin vortrefflich spielte!), sondern wegen des fast unheimlich »prophetischen« Sinnes, den der ORF bei der Programmierung gerade dieses Films bewies. 

Im August 1978 war Papst Paul VI verstorben — bevor ein Nachfolger gewählt war, brachte der ORF neben verschiedenen Rückblicken aus das Leben des verstorbenen Papstes und den unvermeidbaren, radebrechenden Reportagen (recte: Kaffeesatzlesereien) aus dem Munde von Alfons Dalma knapp vor Beginn des Konklaves eine hochkarätig besetzte Fernsehproduktion des Dramas »Der Nachfolger« von Reinhard Raffalt. Das Stück spielt in einem fikitiven Konklave, die Kardinäle reden sich nach den Namen ihrer Bischofssitze bzw. Funktionen (»Eminenz Bologna«, »Kardinal Fide Propaganda« etc.) an (was nur am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig anmutet), und nach tiefen inneren Kämpfen und berührend dargestelltem Ringen der verschiedenen Ansichten, welche Art von Papst nun der richtige wäre, wird schließlich ein demütiger, bescheidener (und — das Stück stammt aus 1962 — natürlich italienischer!) Kardinal, an den vorher keiner gedacht hätte, überzeugt, das hohe Amt anzunehmen, und letztlich einmütig gewählt.

In der Realität wurde kurz darauf ein demütiger, bescheidener, italienischer Kardinal, an den vorher niemand gedacht hätte, der Patriarch von Venedig, zum Papst Johannes Paul I gewählt ...

Als dieser bald darauf überraschend starb, und nach wenigen Wochen schon wieder ein Konklave abzuhalten war, verlief das Prozedere des ORF ähnlich. Die Rückblicke auf den kaum gewählten Papst waren natürlich spärlicher (und redundanter) — aber wieder wurde unmittelbar vor dem Konklave im Hauptabendprogramm ein »Papstwahl«-Film angesetzt: »In den Schuhen des Fischers« — mit Anthony Quinn. Und in diesem Film geht es um einen Kardinal aus Osteuropa, einen slawischen Bischof, der als erster Nicht-Italiener in einem dramatischen Konklave zum Papst gewählt wird, und in kurzer Zeit durch seine Initiative die Welt (und ihre Sicht der Kirche) verändert.

In der Realität wurde kurz danach ein Kardinal aus Osteuropa, ein slawischer Bischof, als erster Nicht-Italiener zum Papst gewählt — »qui sibi nomen imposuit: Ioannes Paulus Secundus«, wie der ebenso beliebte wie beleibte Kardinal-Protodiakon Pericle Felici mit Stentorstimme von der Loggia des Petersdoms verkündete. 

LePenseur gesteht, daß auf ihn die gleich doppelt treffende Vorahnung der ORF-Programmdirektion bis heute einen tiefen Eindruck macht ...


3 Kommentare:

FDominicus hat gesagt…

Was ist mit der Alte Mann und das Meer?

Le Penseur hat gesagt…

Cher FDominicus,

Vermutlich eine beeindruckende schauspielerische Leistung (ich sah den Film nicht), die — für mich! — allerdings dadurch ins rein Theoretische gemindert wird, weil ich Hemingway sowas von nicht verknusen kann, daß ich mir freiwillig sicher keine Hemingway-Verfilmung ansehen werde.

Ungerecht? Idiosynkratisch? Mag sein — aber es gibt so viel gute Literatur zu lesen (und manch guten Film anzusehen), daß ich meine Hemingway-Abstinenz ebenso problemlos überstehe, wie meine Austernabstinenz, meine Seafood-Abstinenz oder meine seit vielen Jahren aufrechte Weigerung, die Grenzkontrollschikanen der USA auf mich zu nehmen. Ich muß ja, Gott sei Dank, nicht dorthin fahren ...

Ab einem bestimmten Alter merkt man ohnehin, daß man in der erwartbaren Restlebenszeit nicht mehr alles wird »dermachen« können, wozu man noch Lust hätte, also ist Selektion ohnedies angesagt. Und da selektiere ich lieber dort, wo mir's nicht wehtut. Also: lieber keine Austern, statt kein Wiener Schnitzel, lieber keine USA, statt kein Alpenvorland — und eben lieber kein Hemingway, statt kein Fontane ...

Anonym hat gesagt…

"LePenseur muß gestehen, daß ihm dieser Film, ..., nicht ans Herz rührt. ... wie da einer seine Probleme wegtanzt ..."

(... und natürlich auf Kosten anderer - wie zeitgemäß!)
Genauso geht es mir. Ich mag die Heroisierung kleiner, häßlicher, dummer, verantwortungsloser, verblendeter (etc.) Menschen prinzipiell nicht. Filme, die Sozialisten gefallen, gefallen mir zumeist nicht.

Und was Hemingway angeht: Muß ich einen ausgewiesenen Deutschenhasser und Kriegsverbrecher gut finden? Vielleicht bin ich nicht genügend gutdeutsch-masochistisch?