Montag, 27. Oktober 2014

Ach, du lieber Schwan …

Wir wurden durch intensives »Covern« des Medienzirkus’ auf das Erscheinen einer »Sensation«, eines »Skandalbuches«, mental vorbereitet — und nun liegt es auf dem Tisch: 

VERMÄCHTNIS
DIE KOHL-PROTOKOLLE

So also soll ein »Vermächtnis« aussehen? Ich würd’s eher als Klatsch- & Tratschbuch bezeichnen. Von mir aus als »Psychogramm« — aber dann müßte der Titel eher »So tickt(e) Kohl«, oder so ähnlich lauten.

Denn ein (freilich nicht sehr überraschend neues) Psychogramm des früheren Bundeskanzlers bietet das Buch in der Tat. Nicht, daß man das alles nicht längst gewußt (oder doch wenigstens: mit Sicherheit vermutet) hätte; aber es ist immer hilfreich, sowas — genußfertig aufbereitet — in 250 Seiten auf den Tisch zu bekommen.

Wer sich an bissigen Sotisen und vernichtenden Charakterisierungen erfreut (ich gestehe, daß mir diese Ader nicht fremd ist, aber das werden die geneigten Leser dieses Blogs ohnehin schon vermutet haben …), der wird in dem Buch durchaus (wenn auch nicht überreichlich — selbst in dieser Beziehung hätte ich mir mehr erwartet!) bedient.

Wenn über die unsägliche Rita Süssmuth zu lesen ist, sie sei eine »Schreckschraube, die sich wegen günstiger Todesfälle in der Frauenunion hochhievte ins Kabinett«, dann erfreut das wohl vieler Herzen. Und auch Kohls Charakteristik Angela Merkels: »Diese Dame ist ja wenig vom Charakter heimgesucht« wird man amüsiert zustimmen können.

Insgesamt jedoch ist der Erkenntniswert für den Leser sehr »überschaubar«. Das Buch ist in seiner Konformität mit den Idiosynkrasien unserer verlogenen Mainstream-Medien wenig überraschend. So, wenn über Kohls »geharnischte Charakterstudie« seines Nachfolgers Schröder von Schwan & Jens ausgeführt wird:
… in seiner Prognose der Zukunft Schröders, der sich, kaum daß er abgewählt war, von Wladimir Putin in Sachen Gas teuer einkaufen ließ, war der alte Mann aus Oggersheim beklemmend genau. Man kann gegen Kohls System der Seilschaften sagen, was immer man will, aber mit einem brutalen Anführer wie dem gegenwärtigen Herrscher im Kreml hat er sich niemals näher eingelassen. (a.a.o. S 109)
Na klar, so nette Leute wie Reagan, der das winzigkleine Grenada plattwalzen ließ, weil ihm dessen (demokratisch gewählter) Premierminister zu links war, oder George Bush, der einen schmutzigen Krieg (mit noch schmutzigeren Propagandalügen garniert) gegen Saddam Hussein führte — das ist selbstmurmelnd ganz was anderes …

Wenn Kohls Meinung, der Untergang der DDR im Jahr 1989 und die Wiedervereinigung Deutschlands sei wohl v.a. der damals katastrophalen wirtschaftlichen Lage der UdSSR zuzuschreiben, und nicht irgendwelchen Mahnwachen und Friedensgebeten in Leipziger Kirchen, säuerlich hingenommen wird, dann sagt das durchaus viel über die Mentalität unserer Medienarbeiter, die sich (wenigstens innerlich) wohl nie werden eingestehen wollen, daß nicht der Sozialismus an sich gut, nur halt schlecht umgesetzt, sondern vielmehr an sich notwendigerweise katastrophal unfähig im Wirtschaften ist.

Erheiternd auch das politisch korrekte Entsetzen darüber, daß Kohl sich dem linken Gefasel über angeblich dräuenden »neonazistischen Terror« nicht vorbehaltlos anschließen will. Das liest sich so:
Auf dem rechten Auge gibt er sich aus Überzeugung blind. Dabei waren die Anzeichen für neonazistischen Terror auch in der Zeit seiner Kanzlerschaft alarmierend genug. Kohl aber spricht ins Mikrophon: »Warum wird denn jetzt dauernd die Gefahr von rechts beschworen? Irgendwelche Bänkelsänger rotten sich zusammen und machen ein Konzert gegen rechts. Es gibt keine Gefahr von rechts. Wo den?« Die Antwort ist schon in den neunziger Jahren nicht eben schwierig: mitten in der frisch vereinten Republik, in Hünxe, Solingen, Hoyerswerda. (a.a.o. S 193)
Fehlt gerade noch, daß Schwan & Jens noch die an Peinlichkeit unüberbietbare NSU-Schmiere als »Beweis« für die angebliche Gefahr von rechts heranziehen …

Kohls Psychogramm, das sich aus diesem Buch erschließt, ist nicht eben sympathisch. Wie sollte es auch — bei einem Berufspolitiker, der seit seiner Studienzeit damit beschäftigt war, in der Partei radzufahren, zu intrigieren, an Sesseln zu sägen, Gegner abzuschießen. Es ist das Psychogramm eines Rattenfängers und Fallenstellers, der sich in seiner Tätigkeit noch gut und wichtig vorkommt. Zugegeben: auch solche Leute braucht es bisweilen. Was sie freilich um nichts sympathischer macht.

Daß dieses Buch über die politische (und mediale!) »Elite« Deutschlands dem nachdenkenden Leser manchmal die Augen öffnet, ist wohl ein unbeabsichtigter Nebeneffekt. Die Autoren wirken nämlich nicht, als hätten sie es gerade darauf abgesehen …


----------------------------------------------------------------


P.S.: die in Anmerkung 18 (auf S. 240) Ernst Bloch zugeschriebene Formulierung »zur Kenntlichkeit entstellt«, stammt übrigens von Karl Kraus. Aber der war den Autoren vermutlich zu wenig links verortet.

Keine Kommentare: