Dienstag, 15. Oktober 2024

Russisches Recht auf Selbstverteidigung?

von Franz Lechner
 
 
Das omnipräsente Gewäsch vom „völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg“ beruht auf einer (angesichts des Niveaus unserer medialen Kolportation nicht anders zu erwartenden) tautologischen Leerformel. 
In Wahrheit ist die Völkerrechtslage einigermaßen verzwickt, was angesichts des Umstandes, dass das Völkerrecht niemals die Interessenslage der Großmächte sozusagen mit Füßen treten durfte und entsprechend zahnlos ausgestaltet worden ist, niemanden überraschen wird. Russland hat für sich stets das Selbstverteidigungsrecht nach Art 51 der UN-Charta in Anspruch genommen, was seitens des Westens grundsätzlich nicht zur Kenntnis genommen bzw allenfalls höhnisch belächelt wird. Dass sich die enorme Aufrüstung der Ukraine (nicht nur) mit NATO-Mitteln allerdings ausschließlich gegen Russland richtete, dürfte allerdings außer Zweifel stehen. 
Die mittlerweile erfolgte russische Aggression scheint ja die zwingende Rechtfertigung dieser letztlich nicht ganz erfolgreich abgeschlossenen Bemühungen zu sein, wie gesagt oder wenigstens stillschweigend vorausgesetzt wird. Schon bei bloß flüchtiger Betrachtung erscheint diese Argumentation als blanker Unsinn, zumal sie nicht zu erklären vermag, warum Russland um alles Welt mit seinem Einmarsch so lange zugewartet hatte, bis es schon fast zu spät schien und enorme Verluste unvermeidlich waren. Russland führte als Rechtfertigung seines Vorgehens vor allem die Drangsalierung bis Terrorisierung der russischen Volksgruppe in der Ostukraine an, die zu einem Bürgerkrieg mit nach offiziellen Angaben 14.000 Toten führte. Wirklich entscheidend dürfte jedoch die ziemlich unverhohlene Absicht der Ukraine gewesen sein, derart aufgerüstet schlussendlich in der Krim einzumarschieren. Zumal an dieser Absicht wirklich nicht der geringste Zweifel bestehen kann und die Krim für Russland praktisch unverteidigbar gewesen wäre, könnte man die „spezielle Militäroperation“ tatsächlich als präventive Selbstverteidigung ansehen. 
Diese Sichtweise wird durch den Umstand erschwert, dass die Annexion der Krim im Jahre 2014 ihrerseits völkerrechtlich gelinde gesagt umstritten erscheinen musste und allenfalls mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker begründet werden konnte – natürlich ohne eigentliche „Selbstbestimmung“ seitens der (immerhin weitestgehend russischstämmigen oder zumindest -sprachigen) Krimbewohner, etwa mittels (seinerzeitiger und UN-überwachter) Volksabstimmung. Aber eben auch die Tatsache einer seinerzeit völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland hätte der Ukraine nicht das Recht gegeben, ohne Zuhilfenahme von UN-Instrumentarien in die Krim einzumarschieren.  
Die russische Argumentation eines gebotenen Präventivschlages wäre somit nicht ganz von der Hand zu weisen. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob Art 51 überhaupt so etwas wie Präventivmaßnahmen vorsieht. Diese Frage ist vom Wortlaut der Bestimmung zu verneinen, indes ist auf so etwas wie das Völkergewohnheitsrecht zu verweisen, das in ähnlichen Fällen, insbesondere bei Betroffenheit der USA (zB im Zusammenhang mit 9/11) deutlich großzügiger erscheint. Eine juristisch wirklich saubere Lösung kann indes nicht erwartet werden, denn das Völkerrecht ist und bleibt eine Hure, die dem jeweils Mächtigen zu liebdienen hat. Folglich müssen wir uns damit abfinden, dass sich das Völkerrecht in der westlichen Hemisphäre anders zurechtbiegen lässt als in der östlichen. 
Das einzige, was wirklich völkerrechtswidrig erscheinen müsste, woran aber in unserer Hemisphäre wirklich niemand Anstoß zu nehmen scheint (das Völkerrecht ist nicht nur eine einigermaßen gewöhnliche Hure, sondern eine besonders billige und schäbige), sind die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Diese wären ganz eindeutig nur nach Beschluss des UN-Sicherheitsrats zulässig, und ein solcher liegt nicht vor (und kann auch letztlich nicht vorliegen, denn andersrum, dh ohne verbindliches Vetorecht der Großmächte, hätten nicht zuletzt die USA der UN-Charta niemals zugestimmt).  
 

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Hr. Lechner,
Was schreiben sie denn da von Völkerrecht und stellen Überlegungen dazu an?
Ein internationales, für alle verbindliche Völkerrecht existiert doch nicht, daher sind alle ihre Ausführungen, so interessant sie auch sein mögen, irrelevant, ... für die Tonne.
Es existiert ein Hegemon, und der sagt, wo es lang geht, i.e. Faustrecht statt Völkerrecht. Punkt.

Anonym hat gesagt…

Dann waren aber, bittschön, auch die hier so gerne als satanisch dargestellten NATO-Einsatz 1999 in Serbien sowie Bushs Irakkrieg NICHT völkerrrechtswidrig. So viel Redlichkeit muss dann schon sein, auf allen Seiten.

Anonym hat gesagt…

Sie enttäuschen etwas. Die "Annexion" der Krim war überhaupt keine solche. Die Ukraine hätte sie auch problemlos behalten können, wenn sie nicht auf NATO- Beitritt hingearbeitet, und auch das Trietzen der Russen auf ihrem Gebiet unterlassen hätte.

Anonym hat gesagt…

Die Ukraine war seinerzeit (und ist es bis auf weiteres immer noch) ein souveräner, völkerrechtlich anerkannter Staat. Übrigens auch von Russland anerkannt. Die frühere sog. "Breshnew-Doktrin" von der sog. "begrenzten Souveränität" der sog. "Bruderländer" Russlands gab es nicht mehr. Wie jeder souveräne Staat hatte und hat die Ukraine also die Freiheit zu entscheiden, welchem Bündnis sie angehören will, oder eben nicht. Das Russland das nicht anerkennen will, zeigt, dass Russland das Völkerrecht ignoriert.