Montag, 4. September 2017

Nach-Lese

von Fragolin

Der Weinberg ist geplündert (bis auf die Bordeaux-Trauben, die brauchen noch zwei oder drei Wochen und bleiben dem Weinbauern als September-Hobby erhalten) und der Urlaub somit beendet. Der Kofferraum war auf der Heimreise voller als auf der Hinfahrt, was aber mangels Interesse keinem der gelangweilt in ihrem Grenzmanagementhäuschen sitzenden Zollbeamten an der Grenze quer durch Österreich-Ungarn aufgefallen ist.

Ja, die Weinlese fand in diesem Jahr im schönen südlichen Ungarn statt, nahe der Stadt Pécs, auch unter dem Namen Fünfkirchen bekannt. Zumindest den dort lebenden Donauschwaben, einem fleißigen Völkchen, dessen deutsche Wurzeln zwar in den letzten drei Generationen ordentlich gerupft wurden, die aber immer noch stolz Deutsch sprechen. Also gut, wir nennen es Deutsch, aber es holpert schon mal ein bisschen und ist recht gewöhnungsbedürftig. Was auch daran liegt, dass die ganz Alten auch untereinander immer noch Deutsch sprechen, während die folgenden Generationen das immer weniger taten und die jungen Leute sich auch untereinander nur noch auf Ungarisch verständigen. Einige Junge allerdings lernten es ab den Neunzigern wieder in der Schule und sprechen wieder recht fließend Deutsch, leben und arbeiten zum Teil auch in Deutschland oder Österreich und verleben nur noch ihren Sommerurlaub bei den Eltern.
Das zum Thema Integration.

Einen Tag besuchten wir Fünfkirchen, den kleinen aber feinen Zoo für die Kinder, den Fernsehturm für den Weitblick und die Innenstadt, um das für eine Stadt dieser Größe in unseren Breiten schon recht ungewöhnliche Erlebnis, zwar innerhalb recht kurzer Zeit an zwei Moscheen vorbeizugehen aber den ganzen Tag nicht ein einziges Kopftuch oder einen grimmigen Fusselbart zu sehen. Das versuche man mal in Wien, Linz, Graz, Salzburg oder Innsbruck. Ich habe auch nichts von Gruppenvergewaltigungen oder Messerstechereien gehört, aber ich verstehe ja auch die ungarischen Nachrichten nicht.

Einen anderen Tag unterbrachen wir die Lese für einen Besuch der Therme Harkany, nahe der kroatischen Grenze. Die letzte Ferienwoche lockte bei über 30 Grad nochmal viele Familien ins Freibad. Wer ein bestimmtes Klischee von Ungarinnen hat, was deren rassige Schönheit und laszive Eleganz angeht, dem sei bescheinigt: es stimmt. Bei gefühlt etwa einer von hundert. Ansonsten kommen beiderlei Geschlecht auf eine, ich will es mal so sagen, durchschnittlich recht hohe Volksmasse. Das Leben mit Speck und Wein scheint deutliche Spuren zu hinterlassen. Andererseits aber auch nicht ganz ungesund zu sein scheint, denn wir trafen einige sehr betagte Leute.

Die mit Abstand beeindruckendste Frau des Urlaubs war die Mutter des Weinbauern, eine fast 90-jährige gebeugte aber hellwache Oma wie aus dem Bilderbuch, die es sich nicht nehmen ließ, jeden Tag mindestens zwei Stunden bei der Lese mitzuhelfen. „Was sullet ich denn sunst machet uf de Weinberg, nur sitzet und wartet bis ich sterbe?“

Wenn man nach Werten und Leitkultur fragt, möchte man dieses Großmütterchen vor den Vorhang schieben. Menschen, die sich mit 90 noch schämen würden, keinen Beitrag leisten zu können, als Kontrast zu Leuten, die mit 20 schon lachend spazierengehen und keinen Genierer haben, den Rest ihres Lebens als Schmarotzer zu existieren, die nicht eine Sekunde darüber nachdenken, für empfangene Gaben eine Gegenleistung zu erbringen.

Aber genug davon, der Urlaub ist vorbei, die Kür gelaufen, jetzt wartet wieder die Pflicht. Es wird mal wieder viel Arbeit für den Chef liegengeblieben sein. Und ich haue mich noch heute nacht auf einen Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, über den ich zufällig gestolpert bin und der mich ordentlich beschäftigt. Wird wohl ein etwas längeres Pamphlet, aber dazu morgen mehr…

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