Sonntag, 25. September 2011

Man muß Sarrazin nicht mögen — aber man muß ihm beipflichten

Wenigstens, wenn man Wert darauf legt, redlich zu argumentieren. Ein lesenswertes Interview im gestrigen »Kurier« macht Gusto auf mehr — Sarrazin kommt demnächst nach Österreich, genauer gesagt: nach Graz. Für alle, die nicht so ohne weiteres an die Mur reisen können, ein paar Zitate aus dem Interview vorab:
Was halten Sie als ehemaliger Finanzsenator vom Ruf nach Vermögensteuern, um die Schuldenkrise abzufangen?
Die Verbindung zwischen Vermögensteuer und Schuldenkrise ist ein bisschen albern. Deutschland hat wie Österreich eine vergleichsweise niedrige staatliche Neuverschuldung und eine hohe Abgabenquote. 40 Prozent der Deutschen zahlen gar keine Einkommenssteuer, und die oberen zehn Prozent geben mehr als 50 Prozent des Einkommens ab. Das ist schon ziemlich viel Umverteilung. Wenn man in den alternden europäischen Staaten mit deren demographischer Zeitbombe und dem Migrationsproblem, das gewaltig Ressourcen bindet, die Wohlhabenden unüberlegt schröpft, wandern die Reichen mit ihrem Vermögen einfach aus. Und dann?

Was hat das mit der Migration zu tun?
In Berlin gibt es gegenwärtig einen starken Zustrom von rumänischen Roma und bulgarischen Türken, die alle im Jahr 2014 ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und Anspruch auf deutsche Sozialhilfe haben werden. Es wird nicht funktionieren, die wachsenden Lasten von demographischer Alterung plus weiterhin ungesteuerter Einwanderung in den deutschen Sozialstaat durch mehr Belastung der sogenannten Reichen zu finanzieren.

"Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel in großen Teilen muslimisch ist, ... die Frauen Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird" - muss man so übertreiben, um gehört zu werden?
Das ist ja keine Übertreibung, das ist die soziale Wirklichkeit in bestimmten Teilen Berlins. Und das verwirklicht sich in hohem Tempo.

Aufgrund der Demographie?
Und aufgrund fortgesetzter weiterer Zuwanderung.

Und die würden Sie gerne stoppen. Wie?
Erstens: Änderung des Sozialrechts - Zuwanderer bekommen für mindestens zehn Jahre keine Sozialtransfers. Zweitens: Änderung des Aufenthaltsrechts - nur die bekommen Aufenthaltsrecht, die auf Dauer in Deutschland einen qualifizierten Beitrag leisten können und wollen. Drittens: Sozialleistungen und Familienleistungen in Deutschland werden von ausreichenden Sprachkenntnissen und dem Bemühen um Integration abhängig gemacht. Viertens: Die muslimischen Migranten, die bei uns sind, denen muss man ganz klar sagen: Irgendwann werdet ihr Deutsche, auch wenn ihr natürlich weiterhin türkisch kochen und in die Moschee gehen könnt, und wenn ihr das nicht wollt, geht ihr besser zurück. Umfragen zeigen, dass über 60 Prozent der Türken in Deutschland nicht oder nicht gut Deutsch sprechen, und ein Drittel würde sofort Deutschland verlassen, wenn es keine deutsche Sozialhilfe gäbe.

Sie beklagen die demographische Überlegenheit der muslimischen Migranten und die niedrige Geburtenrate der Deutschen. Gleichzeitig sollen nur diejenigen Frauen Kinder bekommen, die das Umfeld und die "persönlichen Eigenschaften haben, mit der Erziehung fertig zu werden". Ist das nicht ein Widerspruch?
Sie zitieren mich nicht richtig. Jeder kann die Kinder bekommen, die er will. Nur sollten ihm deren Kosten nicht vom Staat finanziert werden. Unabhängig vom Thema Zuwanderung haben wir das Problem, dass die gebildeten Schichten in Deutschland unterdurchschnittlich wenig Kinder bekommen. Das liegt an den Rahmenbedingungen des modernen Sozialstaates: Bei Menschen mit niedrigerem Einkommen und noch mehr bei bildungsfernen Migranten sorgt der Familienlastenausgleich dafür, dass jedes Kind das Haushaltseinkommen um mehr erhöht, als das Kind kostet. Das heißt, das Kind ist dort ein Instrument zur Erzeugung eines höheren Einkommens, während es für die gebildeten Frauen mit guten Arbeitsplatzaussichten Wohlstandsverzicht bedeutet.

Muslime sind dümmer als andere Einwanderer?
Das steht nirgendwo in meinem Buch, und das habe ich auch nicht gesagt. In meinem Buch führe ich die durchschnittlich niedrigere Bildungsleistung der muslimischen Migranten auf ihren durch den Islam geprägten kulturellen Hintergrund zurück.

Deshalb schießen Sie sich so auf die muslimischen Migranten ein?
Ich stelle in neutraler Sprache empirisch unbestrittene Sachverhalte fest. Die muslimische Kultur ist keine, die Wissens- und Kenntniserwerb in den Vordergrund stellt. Es ist ja auch interessant, dass von den rund 840 Nobelpreisträgern, die es bisher gab, 25 Prozent jüdische Wissenschaftler waren. Es gab 8 Preisträger aus islamischen Ländern, darunter vier Friedensnobelpreise.

Noch einmal zur Integration: Allgemeiner Konsens ist, dass Integration eine Hol- und eine Bringschuld ist ...
In einem europäischen Rechststaat, der allen die gleichen Chancen bietet, ist Integration in erster Linie eine Bringschuld. Unterschiede im Integrationserfolg unterschiedlicher Migrantengruppen weisen immer auf diese Migrantengruppen selbst zurück, nicht auf die sie aufnehmende Gesellschaft. Das ist der Satz, der Vielen nicht gefällt, weil wir eine Mentalität haben, für alles, was nicht funktioniert in der Welt, uns selbst die Schuld zu geben.

Die Wirtschaft meldet aber regelmäßig Interesse an Zuzug an, etwa aus Gründen des Facharbeitermangels.
Ich lach' mich tot. Es gibt einen Facharbeitermangel, aber 40 Prozent der Türken in Deutschland haben keine Berufsausbildung.

Was wäre denn Ihr Rezept gegen die Krise?
Jeder Staat kommt für seine Schulden ganz allein auf. Und er trägt auch die Folgen, wenn er dafür nicht aufkommt. Und die EZB kauft keine Staatsanleihen.

Das tut sie ja aus Rettungsgründen ...
Das ist auch falsch. Und Griechenland muss selbst schauen, wie es klar kommt. Die haben eine Abgabenquote von 29 Prozent, wir haben eine von 37 Prozent, Österreich 43 Prozent - das sagt doch alles. Bei der Staatsquote hat Deutschland 47 Prozent, Griechenland 52 Prozent. Das heißt, die geben mehr aus und nehmen weniger ein, und wenn die es nicht schaffen, ihre Ausgaben zu senken und ihre Einnahmen zu erhöhen, ist das ein ausschließlich griechisches Problem.


(Hier das ganze Interview)
Man merkt bei manchen Fragen des Kurier-Redakteurs Andreas Schwarz, daß er zeitweise beginnt, rot zu sehen — aber grosso modo ist das Interview durchaus fair geführt worden. Vermutlich dämmert sogar gutmenschlichen Kurier-Redakteuren, daß ihren Lesern das Multi-Kulti-P.C.-Behübschungsgesülze schon bei beiden Ohren raushängt.

Sicher finden nicht alle seiner Thesen meine Zustimmung (wie so oft kann ich die klare Diagnose eines Problems schätzen, ohne deshalb auch die vorgeschlagene Therapie gutheißen zu müssen!), aber insgesamt liest man selten vernünftigeres in unseren Medien. Speziell in Österreich, wo die größten Medien fest in sozialistischer Hand sind: sei es durch Inseratenaufträge, für die sie sich erkenntlich zeigen müssen, oder durch die SPÖ-Fraktion im ORF.

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