Freitag, 9. April 2010

»Christen«

Österreichs selbsternanntes Qualitätsmedium, »Die Presse«, weiß immer aufs neue durch ihre unvoreingenommene Berichterstattung zu fesseln. So berichtete sie gestern über den Präsidentschaftskandidaten der CPÖ (Christlichen Partei Österreichs), Dr. Rudolf Gehring, wie folgt:

Kirche distanziert sich vom „Christen“ Rudolf Gehring
08.04.2010 18:23 (Die Presse)

Der Wiener Generalvikar Franz Schuster kritisiert die Wahlkampfauftakt-veranstaltung Gehrings am Dienstag mit einer Messfeier in einer Pfarrkirche in Wien-Döbling. Rudolf Gehring wies die Kritik zurück.

Die katholische Kirche distanziert sich vom Präsidentschaftskandidaten Rudolf Gehring von der „Christlichen Partei Österreichs“. In einem an alle Pfarrer und Mitarbeiter der Erzdiözese Wien versandten Rundschreiben kritisiert der Wiener Generalvikar Franz Schuster die Wahlkampfauftaktveranstaltung Gehrings am Dienstag mit einer Messfeier in einer Pfarrkirche in Wien-Döbling.

„Jede Instrumentalisierung des Gottesdienstes und kirchlicher Gebäude für politische Zwecke ist entschieden abzulehnen“, so Franz Schuster. „Parteipolitik hat im gottes-dienstlichen Raum nichts verloren.“

Rudolf Gehring wies die Kritik zurück: „Man wird mir meinen Glauben nicht einschränken.“ Er habe die Parteipolitik aus der Kirche herausgehalten, und er würde auch als Bundespräsident immer wieder in die Messe gehen.

Schweigen wir einmal von der Charakterlosigkeit eines katholischen Generalvikars, den einzigen klar erkennbar katholischen Kandidaten dieser Wahl wegen eines Meßbesuchs vor seiner Wahlkampfauftaktveranstaltung zu kritisieren — oder bessergesagt, nein: Charakterlosigkeit kann man es nicht nennen, denn es gehört bei einem Geistlichen schon ein gewisser Charakter dazu, wenn auch keine erfreulicher ... aber was will man angesichts einer Diözesanleitung von Schönborn (Erzbischof) — Schuster (Generalvikar) — Leitenberger (Pressesprecher) schon anderes erwarten?

Aber damit wollen wir uns im Moment gar nicht befassen! Mir geht es eher um die mediale Darstellung, die einen — wie in den vergangenen Wochen regelmäßig — die Bezeichnung »Kloakenschreiber« (© Manfreds politische Korrektheiten) assoziieren läßt. So auch hier.

Mein Leserbrief verschwand — welch Zufall! — in den unergründlichen Tiefen des elektronischen Nirvana, und so blieb den treuen Lesern des selbsternannten Qualitätsmediums eine Kritik an ihrer geliebten Redaktion erspart. Leider doch nicht ganz — hier ist sie nämlich:

Werteste Presse-Redaktion!

Fällt Ihnen nicht auf, daß eine Schlagzeile, die aus dem Christen Rudolf Gehring einen "Christen" Rudolf Gehring macht, eine gezielte Desinformation oder eine völlige Gedankenlosigkeit ist?!

Um die Meldung kurz und prägnant rüberzubringen, hätte es gereicht zu titeln:

Kirche distanziert sich von Rudolf Gehring

Auch das wäre nicht ganz korrekt gewesen, denn Generalvikar Schuster ist nicht die Kirche, sondern bloß der Leiter der Administration der Erzdiözese Wien (so, wie beispielsweise der Wiener Magistratsdirektor nicht Österreich ist). Aber, soll sein, es ist halt eine Usance, einen Funktionär fürs Ganze zu nehmen ...

Indem aber die Presse-Redaktion "Christen" unter Anführungszeichen setzt, insinuiert sie, daß Gehring in Wahrheit kein Christ, sondern eben nur ein sogenannter "Christ" ist. Ein Pseudo-Christ, ein Heuchler, einer, der mit seiner angeblichen Religion bloß hausieren geht.

Man kann nun zum Glauben des Herrn Gehring stehen wie man will (und ich stehe ihm in vielen Aspekten durchaus kritisch gegebenüber und wurde darum schon in Diskussionen von glaubensüberzeugten Diskussionspartnern schlankwegs als Nicht-Christ bezeichnet), aber die unterschwellige Information, die mit dieser Schlagzeile vermittelt wird, Gehring tue ja nur auf christlich, ohne es wirklich zu sein, ist schlicht und einfach infam!

Oder hat die Redaktion Beweise für eine solche heuchlerische Gesinnung? Dann hervor damit! Falls nicht: Korrektur und Entschuldigung!


Nun, zum Schluß noch eine kurze Umfrage unter den Lesern dieses Blogs: glauben Sie, »Die Presse« wird die suggestive Headline korrigieren? Glauben Sie gar, sie würde sich entschuldigen?

Naja ... Tschuldigung! Eine kleine Scherzfrage zum Wochenende wird doch erlaubt sein ...

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