Unter diesem Titel findet sich auf dem Blog »Rom, Römer, am Römsten« ein zwar langer, aber lesenswerter Artikel über den derzeitigen Medienhype N°1, »Kirche & Mißbrauch« (was sonst). Mit Genehmigung des Autors will ich diese m.E. ausgezeichnete Zusammenfassung des ganzen Problems meinen Lesern nicht vorenthalten. Eh voilà ... hier ist sie:
Ich muß mir die Geschichte noch mal von vorne anschauen.
Als gesetzt betrachte ich sämtliche realen Vergehen der Kirche (sowohl ihrer Priester als auch ihrer Prälaten) und alle berechtigten Vorwürfe, die man ihr in den vergangenen Monaten machte. Das soll hier nicht Thema sein. Stattdessen drängt es mich, noch einmal die angebliche Realitätsferne des Vatikan dem Verständnis von Realität gewisser Berichterstatter gegen-überzustellen.
Irgendwann zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, spätestens aber mit der Veröffentlichung von Humanae Vitae begann ein Prozeß des Sich-Selbständig-Machens von Kirchenkritik und Pop-Theologie, der in dem ungeschriebenen Gesetz mündete, daß Kirchenklatschen irgendwie immer geht (ein paar Zeilen und Hintergründe dazu hier in einem älteren Eintrag).
Selbst von politisch schwer linkslastigen und extrem säkularisierten Bekannten konnte ich schon in den frühen 90ern nicht selten Sätze hören wie: „Es stimmt wohl, daß Anti-Katholizismus das letzte noch akzeptierte Vorurteil ist.“
Viel früher aber noch begann ein Prozeß, den man nur als atemberaubende Entmachtung der Katholischen Kirche bezeichnen kann. Sicher, hier mag zuerst die materielle Seite auffallen. Wer z.B. einen französischen Bischof oder einen in Rom residieren Kardinal oder auch einen Papst des Jahres 1775 mit seinen zeitgenössischen Amtsbrüdern vergleicht, dem kommen nicht unbedingt die Tränen ob der elenden Not, in welcher Prälaten heutzutage dahinvegetieren. Aber der krasse Unterschied in den äußeren Zeichen, in den Privilegien, in der Lebensführung, im Selbstverständnis, in der besessenen und tatsächlich ausgeübten Macht, in Ansehen und Stand – all dies spricht Bände auch über die Art, wie man Begriffe wie “Kirche“, “Papst“, “Vatikan“ oder “Katholizismus“ heute versteht und kommuniziert und über die tatsächliche Bindung eines ehemals katholischen, dann immerhin noch christlichen Kontinents an seine erste und vorrangige Heilsinstitution.
Mit dem Untergang der weltlichen Macht, mit dem Verlust materieller Güter, mit der fortschreitenden Verdrängung der katholischen Religion aus dem tagtäglichen Geschehen und den individuellen Lebensläufen (“Von der Wiege bis zur Bahre...“) zu einem oft eher verschämt als aufrecht wahrgenommenen, optionalen Angebot unter Vielen hat sich in Europa ein Wandel vollzogen, der von den meisten Menschen begrüßt, wenn nicht bejubelt wird.
Ich schimpfe zwar oft wie ein Rohrspatz über die Auswüchse dessen, was einst als Aufklärung begann und heute in breiten Teilen unserer Gesellschaft in dumpfem, uninformiertem Wiederkäuen alter und dazu oft falscher Vorurteile endete, aber im Grunde meines Herzens bin ich tatsächlich froh und dankbar, daß die Menschen heute die Freiheit haben, sich über bestimmte Sachverhalte ein korrektes Bild zu machen (wenn dies natürlich auch leider viel zu selten geschieht), kritische Fragen zu stellen und auch mal z.B. einem Regierungschef eine Cremetorte ins Gesicht zu drücken, ohne daß sie danach gevierteilt werden.
Daher nehme ich auch den Artikel, der auf der ersten Seite der neuen Ausgabe der ZEIT zu finden ist, cum grano salis. Wenn die Überschrift schon “Die Kirche teilt aus“ lautet, weiß man eh, was einen erwartet. Dennoch gab es in dem nicht besonders originellen (bzw streckenweise unverschämten) Zweispalter immerhin drei Passagen, die mich haben aufhorchen lassen:
“Weltkirche gegen Weltpresse – zwei Sorten Weltgewissen prallen aufeinander, ein religiöses und ein säkulares. Beide Seiten appellieren an denselben Juror: eine Weltöffentlichkeit...“Das beantwortet so ziemlich jede Frage, die man bzgl. der “Mißverständnisse“ zwischen dem “säkularen Weltgewissen“ [** vernehmlich räupser **] und der Katholischen Kirche zu stellen geneigt ist. Wenn man bei der ZEIT in der Tat glaubt, auch die Katholische Kirche sähe in den fürchterlichen Fällen von Kindesmißbrauch nur ein willkommenes Vehikel, sich bei einer “Weltöffentlichkeit“ durch korrektes Abfertigen der Schuldigen, gute Vorbeugemaßnahmen und schlüssiges Beantworten offener Fragen beliebt zu machen, dann ist man wieder an der Stelle, wo ich schon in der vergangenen Woche fragte: “Wo ist der Glaube?“ oder, anders: “Meint ihr tatsächlich, der Juror, welchen Papst, Bischöfe, anständige Priester und das letzte Häuflein der Getreuen Kirchgänger in Europa im Sinne haben, ist eine in Fragen der Loyalität und Präferenz hochfrequent oszillierende Weltöffentlichkeit? Oder könnte es für diese Leute vielleicht doch einen alten Mann mit Bart und weißem Flattergewand geben, der auf einer Wolke sitzt und sich das muntere bis elende Treiben hier unten genauestens anschaut?“ Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich tut der Vatikan gut daran, die Weltöffentlichkeit zu besänftigen. Aber dazu bräuchte er erstens eine faire Berichterstattung in den Medien. Und wer mir erzählen will, daß er diese in den vergangenen Wochen auch immer (oder wenigstens überwiegend) hatte, der soll mir bitte von hinterm Mond ein nettes Souvenir mitbringen. Zweitens ist es eben für Menschen wie den Papst, die Bischöfe, die anständigen Priester und die Gläubigen nicht mit der Weltöffentlichkeit getan. Denn der wahre Juror sitzt woanders. Und der wahre Juror sorgt dafür, daß wir es in der Katholischen Kirche eben mit Leuten zu tun haben, die nicht einfach sagen können: “Okay! Alle Welt liebt uns! Wir haben’s erreicht!“ Ich mache Vertretern des “säkularen Weltgewissens“ nicht den Vorwurf, daß sie das nicht nachfühlen können. Aber man sollte als Journalist, der sich anmaßt Gültiges zum Thema Kirche niederzuschreiben, wenigstens nicht so tun, als existiere diese Seite der Realität nicht.
Zu Beginn des Artikels wird festgestellt, daß der Mißbrauchsskandal mittlerweile die gesamte Kirche erfaßt hat und auch ihr Zentrum erschüttert. Das ist auch so eine Geschichte. Seit Ewigkeiten werden jährlich weltweit Hunderttausende (oder besser Millionen) von Kindern mißbraucht. In Familien, in Sportvereinen, in Schulen, in Urlaubscamps, in Nachbars Werkzeugschuppen, in der Kirche und werweißnochwo. Millionen von Opfern jährlich, die gedemütigt, verstört, niedergeschmettert und leidend durchs Leben stapfen. Wenn dann der SPIEGEL von Fällen aus der Katholischen Kirche berichtet und dazu sein tolltes Ekel-Titelblatt präsentiert, dann wird auf einmal überall so getan, als hätte man da ein neues, besonders abscheuliches Phänomen aufgetan, welches sich “Kindesmißbrauch“ nennt. Aber das ist’s natürlich nicht. Denn auch beim SPIEGEL wusste man und weiß man, daß Kindesmißbrauch nichts Neues ist. Das eigentliche Phänomen ist natürlich “Kindesmißbrauch in der Kirche“. Das macht die Geschichte interessant und druckenswert. Wenn man dann noch munter illustre Namen probeweise in den Mix werfen kann, weil an irgendeinem der Dreck schon hängenbleiben wird, dann ist das zwar hübsch “säkular“ aber wo genau das “Weltgewissen“ sich befindet, bleibt offen. Anhand der Zahlen ist für mich eines zumindest nicht auszuschließen: Der Vorwurf, sich nicht vorrangig für die Opfer zu interessieren, muß man sich auch seitens der Medien immer dort gefallen lassen, wo man erst durch das Hineinrühren der – zugegebenermaßen – würzigen Zutat “Kirche“ den Eintopf des Kindesmißbrauchs etwas pfiffiger und verkaufzahlenfördernder zu gestalten wußte. Ginge es um die Opfer, hätte man auch schon früher und allgemeiner den Stein ins Rollen bringen können.
Der Dritte interessante Punkt bringt mich wieder zurück zum Anfang, zum Unterschied zwischen gestern und heute. Da ist irgendwann im Artikel von “Drinnen“ (Wir) und “Draußen“ (Die) der Kirche zu lesen und es wird vor einer Art Gettoisierung zumindest des Vatikan wenn nicht der ganzen Kirche gewarnt. Das ist jetzt nur als Anregung gedacht, aber mich würde schon mal interessieren, warum einerseits zumindest latent eine Tendenz existiert, wild um sich bombende Islamisten oder beim kleinsten Anlaß Botschaften abfackelnde Muslime mit “Die Armen hatten ja so unter den Kreuzfahrern zu leiden und fühlen sich irgendwie gedemütigt“ zu entschuldigen, wenn man bei der Kirche gleich „teilt aus“ sagt, nachdem sie genug eingesteckt und jetzt halt erstmal den Rand voll hat. Wenn ich mir die Präsenz und auch den Einfluß der Kirche in früheren Zeiten anschaue (bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber diesen Dingen, versteht sich. Aber für einen Katholiken ist es einfach schön, das Gefühl zu haben, in einer katholischen Gesellschaft zu leben und Teil einer Kirche zu sein, die auch, naja... ein Wörtchen mitzureden hat und große Teile des Volkes eint); wenn ich an die machtvollen, erhebenden und schönen Demonstrationen des katholischen Glaubens denke, die ich leider nur von Schwarz/Weiß- oder Sepia-Photographien kenne; wenn ich von alten Mitbrüdern höre, wie selbstverständlich einst das Nebeneinander von Hirten und Schäfchen trotz klarer Gliederung – ja, manchmal sogar Abgrenzung – verlief, dann empfinde ich zwar nicht gleich “Demütigung“, aber ich kann jeden Gläubigen, jeden Priester, jeden Bischof und sogar jeden Papst verstehen, der manchmal für eine kurze Zeit die Schnauze gestrichen voll hat und mit dem “Draußen“ für ein paar Tage erstmal nichts zu tun haben will. Die Demütigung allerdings beginnt, sich ins Bild zu schleichen, wenn ich kopfschütelnd mit ansehen muß, wie der Mensch - als Folge der Entmachtung der Kirche und auch Gottes - fröhlich zwitschernd sich Schritt für Schritt von seiner Natur lossagen will. Die Demütigung beginnt, konkrete Formen anzunehmen, wenn ich an Deix-Karikaturen, Fernseh-„Sketche“, Titanic-Titelblätter und all den anderen Schund denke, der uns als Triumph der Meinungs- und/oder Pressefreiheit untergeschoben wird und nichts weiter ist als gröbste und dummdreisteste Verhöhnung der Dinge, die Katholiken von Natur aus und vernunftbegabten Menschen guten Willens aus respektgründen heilig sind. All dies, um billigste Lacher abzusahnen und als Krönung dann noch denjenigen, die sich beschweren, die “Aufklärungsfeind!“ oder “Fundamentalist!“-Karte zuzuspielen. Das ganze ist so abgeschmackt und auch fadenscheinig, dass ich mich wirklich immer wieder wundere, wo bei uns im Land eigentlich die Anständigen sind oder diejenigen, die wenigstens für Zwofuffzich graue Zellen haben. Aber, klar: Wo “Aufklärung“ bedeutet, im Fernsehsessel, vor dem Computer oder mit den neuesten “Nachrichten und Kommentaren“ in der Hand ein Dasein als Sklave der Vierten Macht zu führen, da ist das Hinterfragen ihrer Vorgehensweise natürlich eine Aktion gegen die Aufklärung (oder eben das, was dort darunter verstanden wird).
Die Tatsache, daß innerhalb der Kirche Kinder geschändet wurden, ist eklig genug. Durch das permanente Erhöhen des Drucks (oft nur aufgrund einer vagen Vermutung), durch Dauerberieselung mit Kommentaren, die nicht unbedingt immer Perlen der Weisheit sind und durch Kritiken, die sich eben nicht – wie im Artikel behauptet – der Häme enthalten, befindet sich die Kirche unter Dauerbeschuß, muß ständig echte Skandale von wilden (um nicht zu sagen böswilligen) Gerüchten trennen und verliert so die nötige Zeit zur Vorbereitung einer entsprechenden Antwort. Die Medien reißen sonst stets ihre Scherzchen, wie lahmarschig die Kirche ist. Jetzt werfen sie im Minutentakt die neuesten Gerüchte richtung Rom und spielen die Empörten, wenn der Papst nicht einen Augenschlag später in Sack und Asche über den Peterplatz schlurft. Durch diese Bigotterie wird ein gläubiger Katholik, sei er Laie oder Priester oder Prälat, nicht unbedingt dazu eingeladen, sich von dem “Draußen“ bestätigt zu fühlen und ein wenig mehr Vertrauen oder Offenheit zu zeigen. Hier entsteht erneut das ungute Gefühl, daß es nicht vorrangig um die Opfer geht, sondern daß es eine nicht kleine Gruppe von feder- und worterprobten Leuten gibt, die die Skandale gerne zum Anlaß nehmen, die im Laufe der letzten über zweihundert Jahre porös geschossene Kirche endgültig als echtes und wahres Weltgewissen auszuradieren. Anlässe gibt’s genug. Ich kann nicht oft genug wiederholen, daß man streng und genau darauf schauen und sich fragen muß, aus welcher Ecke die ätzende Häme oder die unsaubere Berichterstattung richtung Kirche und Papst kommt, wer in dieser Ecke aus welchem Grund wie viel Macht will und wer am meisten zu verlieren hat, wenn die Lehre der Kirche ernst genommen wird.
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