So, wie die — im Teil II dieser Artikelserie geschilderten — Bemühungen unseres Geistlichen im Dezember des Jahres 1943, einen Waffenstillstand zwischen Westalliierten und Deutschland unter Beseitigung der NS-Herrschaft zu erreichen, fruchtlos blieben, so blieben es auch seine Gedanken über die Rolle Österreichs in Europa — Gedanken, die bis heute nicht umgesetzt werden, gerade obwohl sie eine für Zentraleuropa so dringend nötige Stabilisierung brächten. Dies ist aber nicht im Sinne der Brüsseler Zentralen — und zwar weder der EUrokratie (die jeden lokalen Gegenpol als Bedrohung ihrer absoluten Macht ansieht — und bei ihrer angemaßten Rolle als »Lenker Europas« wohl auch ansehen muß!), noch der NATO, deren Zentrale in Brüssel zwar nur der sprichwörtliche, mit dem amerikanischen Hund wedelnde Schwanz ist, aber gerade deshalb in seinem Einflußgebiet möglichst »diversifizierte« Verhältnisse liebt, ganz nach dem alten Motto »divide et impera«. Und dennoch: hatte (und hat!) jener verstorbene Geistliche nicht recht mit seinen Gedanken? Und, vielleicht schon zum Überdruß gefragt: sind Gedanken wie die folgenden denkmöglich Zeugnisse des Nazi-Ungeistes?
Zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, und zwar in den Juli 1944. Etwa um die Zeit des Stauffenberg-Attentatsversuches richtete unser Geistlicher an alle in Rom lebenden Österreicher einen Aufruf, aus dem vieles zitierenswert wäre, hier doch aus Platzgründen nur einige besonders prägnante Sätze gebracht werden können — von denen der Verfasser dieses Aufrufes freilich wehmütig bemerkte, daß sie »nicht den Beifall mancher Verirrter finden konnten«:
Und so, wie es im Jahr 1938 ein großes Hinüberfluten von sozialdemokratischen Genossen zu den NS-»Parteigenossen« gegeben hatte, genau so kam es 1945 zum großen Zurückfluten, als hunderttausende der »Parteigenossen« auf einmal ihre persönliche Lebensgeschichte als Widerstandskämpfer entdeckten, und mit dem sicheren Talisman eines roten Parteibuches ihre braun begonnenen bzw. fortgeführten Karrieren zumeist nahtlos erfolgreich fortsetzen konnten. In geringerem Maße traf das auch für die ÖVP zu, sodaß der Vorwurf an die Freiheitliche Partei, die Partei der »Ehemaligen« zu sein, geradezu abstrus ist: ein Vielfaches an »Nazis« befand sich in Bälde in den beiden Großparteien, wogegen die FPÖ eher das Sammelbecken der Angehörigen des »Dritten Lagers«, also der Großdeutschen, der Deutschnationalen, und der (in Österreich immer nur recht wenigen) Liberalen bildete, und daher — vor Jörg Haider — weithin eine klassische »Honoratiorenpartei« mit etwa 5 % Wähleranteil war.
Bevor der Eindruck entsteht, daß »diese Ösis« es sich eben als echte Schlawiner besonders geschickt »gerichtet« hätten — es war in Deutschland (und zwar West und Ost!) keinen Deut anders. Während im Westen weite Teile der Beamtenschaft und Justiz »um Anarchie zu vermeiden« recht unbehelligt von jeder »Entnazifizierung« weiter ihre Karriere fortsetzen konnten, und nicht die wenigen idealistischen Nazis (die es ja gab!), sondern die vielen opportunistischen dabei in hohe und höchste Ämter aufstiegen, wurde im Osten von der SED sogar eine eigene Partei für die »Ehemaligen«, die NDPD, gegründet, und diese war bis 1989 die wohl am engsten mit der SED kooperierende Blockpartei der DDR. Und auch die hehren Grundsätze, die die Alliierten Mächte so lautstark vor sich herposaunten — sobald politische, militärische oder wirtschaftliche Interessen ins Spiel kamen, waren sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben standen …
Es gab nur eine Alternative, wenn man nicht die Wirklichkeit leugnen wollte: der Zusammenschluß mit Deutschland zu einem national einheitlichen, föderativ aufgebauten Staat oder ein wirtschaftlicher Donaubund mit Tschechen, Ungarn, Südslawen und mit Triest als Freihafen mit Zollunion und einem allen gemeinsamen Staatsrat. Eine solche wirtschaftlich-politische Lösung hatte mit einer »monarchischen Restauration« nichts zu tun. Alles andere war Geld-, Zeit- und Kräftevergeudung, nachdem die Welt von morgen nur mit großen Wirtschaftsräumen rechnen kann, sollten nicht kleine Staaten in einem vergeblich geführten Rivalitätskampf um die Weltmärkte verbluten. […] Im Einverständnis mit mehreren Landsleuten arbeitete ich auch eine Denkschrift aus im Sinne einer Donauwirtschaftsföderation.Wie man weiß, waren die sowjetischen Pläne alles andere, als daran interessiert, ein stabiles, selbständiges Zentraleuropa zu schaffen, und es grenzt fast an ein Wunder, daß Österreich mit seinen eigenen Staatsvertragsverhandlungen ein wohl nur schmales Zeitfenster nach dem Tode Stalins zu nutzen verstand, um seine — wenn auch durch mancherlei Kautelen beschränkte — Souveränität mit dem »Staatsvertrag von Wien« 1955 wiederzuerlangen.
Als wir diese Schrift an maßgebende Stellen weiterleiteten, kam eine Reihe zustimmender Antworten*). Nur eine Stelle schwieg — Rußland. Auf Umwegen ersuchte mich das englische Kommando in Rom, bei der Sowjetvertretung in der Via Gaeta zu sondieren, wie man sich in Moskau ein zukünftiges Österreich vorstelle. Meine Aufnahme dortselbst war liebenswürdig. Ein junger Botschaftsrat, der ausgezeichnet die deutsche Sprache beherrschte, sagte mir: »Wir haben noch keine Weisungen, da diese Frage vom Politbüro noch nicht überprüft worden ist.«
*) Churchill, Roosevelt, Attlee, Generalleutnant W. Clark, um nur die wichtigsten zu nennen.
Zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, und zwar in den Juli 1944. Etwa um die Zeit des Stauffenberg-Attentatsversuches richtete unser Geistlicher an alle in Rom lebenden Österreicher einen Aufruf, aus dem vieles zitierenswert wäre, hier doch aus Platzgründen nur einige besonders prägnante Sätze gebracht werden können — von denen der Verfasser dieses Aufrufes freilich wehmütig bemerkte, daß sie »nicht den Beifall mancher Verirrter finden konnten«:
Österreich ist und bleibt deshalb trotz aller feinen, aus dem Romanischen und Slawischen übernommenen Nuancen, die den Österreicher besonders vom Norddeutschen vorteilhaft unterscheiden, ein Land und Staat von deutscher Kultur. Sein Nachbar ist und bleibt das deutsche Volk. Letzteres wird ungeachtet der Tragödie sich wieder emporarbeiten zu einem in Europa geachteten politischen Faktor: denn es ist ein arbeitsfrohes, diszipliniertes und pflichtbewußtes Volk, das nur eine gescheitere Führung in wahrhaft demokratischer Gesinnung haben muß. Ohne die deutsche Nation gibt es kein beruhigtes Europa; denn die deutsche Frage ist die Frage an sich. Um so wichtiger ist es, daß es allen Eventualitäten der nächsten dreißig Jahre aus eigener Kraft gewachsen ist. Österreich aber sollte andererseits geradezu die vornehmste Verkörperung deutscher Art werden, da hier Kultureinflüsse aus dem Süden und Osten die Härten des deutschen Charakters glücklicherweise mildern können.Betroffen stimmende Worte — für alle Seiten, in der Tat! Die Nachkriegsgeschichte zeigt uns jedoch, mit welcher Frivolität über diese Fragen hinweggegangen wurde — von allen Seiten. In Österreich wurden zwei Sozialdemokraten, Dr. Karl Renner und General Theodor Körner, die sich bei der Volksabstimmung zum »Anschluß« Österreichs an das Deutsche Reich in Zeitungsinterviews mehr als glücklich darüber zeigten, als die ersten beiden Bundespräsidenten der »Zweiten Republik« gewählt — erst der dritte, Adolf Schärf, war (wenn auch nur kurze Zeit, anders als der in einem früheren Artikel erwähnte Bundeskanzler Gorbach) seinerzeit von den Nazis inhaftiert worden.
[…] Der Aufbau Österreichs kann nach Jahren des Hasses , der Rache und Zerstörung nur in Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit erfolgen. Das ständige Anprangern und Denunzieren von eigenen Landsleuten ist kein Zeichen vornehmer Gesinnung, von Christentum gar nicht zu reden. So wie die Reichsdeutschen — von jenen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, die in Konzentrationslagern und Gefängnissen gelitten oder in der Freiheitsfront offen gekämpft haben — müssen auch viele Österreicher ein »Nostra culpa« sprechen: viele Sozialisten, die so lange für den Anschluß waren, als in Deutschland ihre Partei die Hauptposten einnahm, jene Kommunisten, die in die Partei des NS eingetreten sind, statt in den Schützengräben der Innenpolitik ohne Rast zu kämpfen, viele Heimwehrleute, die durch ihre autoritäre, der wahren Demokratie widersprechende Haltung dem NS in Österreich manche Wege bereitet haben, und endlich alle jene, die mit Namen wie Hirtenberger Waffenschmuggel, Phönixversicherungsskandal, Bosel, Mandel und Castiglioni irgendwie verbandelt waren. Das einzige richtige ist, hinter die Vergangenheit einen dicken Strich zu ziehen, aber jene zu treffen, die sich während der NS-Gewaltherrschaft am Leben, an Gesundheit, Vermögen und Familie ihrer Landsleute wirklich versündigt haben. Möge hier nicht der Grundsatz gelten: »Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen.«
Und so, wie es im Jahr 1938 ein großes Hinüberfluten von sozialdemokratischen Genossen zu den NS-»Parteigenossen« gegeben hatte, genau so kam es 1945 zum großen Zurückfluten, als hunderttausende der »Parteigenossen« auf einmal ihre persönliche Lebensgeschichte als Widerstandskämpfer entdeckten, und mit dem sicheren Talisman eines roten Parteibuches ihre braun begonnenen bzw. fortgeführten Karrieren zumeist nahtlos erfolgreich fortsetzen konnten. In geringerem Maße traf das auch für die ÖVP zu, sodaß der Vorwurf an die Freiheitliche Partei, die Partei der »Ehemaligen« zu sein, geradezu abstrus ist: ein Vielfaches an »Nazis« befand sich in Bälde in den beiden Großparteien, wogegen die FPÖ eher das Sammelbecken der Angehörigen des »Dritten Lagers«, also der Großdeutschen, der Deutschnationalen, und der (in Österreich immer nur recht wenigen) Liberalen bildete, und daher — vor Jörg Haider — weithin eine klassische »Honoratiorenpartei« mit etwa 5 % Wähleranteil war.
Bevor der Eindruck entsteht, daß »diese Ösis« es sich eben als echte Schlawiner besonders geschickt »gerichtet« hätten — es war in Deutschland (und zwar West und Ost!) keinen Deut anders. Während im Westen weite Teile der Beamtenschaft und Justiz »um Anarchie zu vermeiden« recht unbehelligt von jeder »Entnazifizierung« weiter ihre Karriere fortsetzen konnten, und nicht die wenigen idealistischen Nazis (die es ja gab!), sondern die vielen opportunistischen dabei in hohe und höchste Ämter aufstiegen, wurde im Osten von der SED sogar eine eigene Partei für die »Ehemaligen«, die NDPD, gegründet, und diese war bis 1989 die wohl am engsten mit der SED kooperierende Blockpartei der DDR. Und auch die hehren Grundsätze, die die Alliierten Mächte so lautstark vor sich herposaunten — sobald politische, militärische oder wirtschaftliche Interessen ins Spiel kamen, waren sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben standen …
(Fortsetzung folgt)
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