Dienstag, 15. Januar 2013

»Signal, daß die Justiz in derartigen Fällen keine Gnade mehr kennt«

Meint zumindest der ehemalige Präsident des Österreichischen Rechnungshofs, Fiedler, vollmundig zum ORF:
Wird die Verurteilung des früheren VP-Innenministers Ernst Strasser zu vier Jahren unbedingter Haft mögliche künftige Korruptionstäter abschrecken? Richter Georg Olschak nannte diese Wirkung am Montag als wichtigen Grund für die hohe Strafe. Und auch Korruptionsbekämpfer Franz Fiedler glaubt, dass das Urteil als "Signal, dass die Justiz in derartigen Fällen keine Gnade mehr kennt", wirken könne. Außerdem sieht er es als mögliche "Richtschnur" für derzeit laufende und noch folgende Korruptionsprozesse sein, wie er am Dienstag im "Ö1"-Morgenjournal sagte. (Hier weiterlesen)
Der Boulevard Österreichs überschlägt sich vor Begeisterung, oder wenigstens tut er so, wiewohl da eine »Haltet-den-Dieb«-Reaktion, mit der man vom Dreck am eigenen Stecken ablenken möchte, sicherlich mitmischt: endlich wird hart durchgegriffen gegen Korruption und Freunderlwirtschaft! Und diesem Ungustl von Strasser hat man's doch eh gewünscht, wie keinem anderen ...

LePenseur hätte sich's nicht träumen lassen, einmal für Ernst Strasser eine Lanze einzulegen, betrachtete er ihn doch stets als besonders ekeliges Beispiel für den schwarzen Machtfilz in Niederösterreich, als ebenso gelehrigen wie ungustiösen Schüler seines Landeshauptmanns Erwin Pröll (den »Prototyp des schwarzen Proleten«, wie letzteren einer seiner Bekannten treffend charakterisierte). Dennoch: es muß sein, um der Gerechtigkeit willen!

Was war nun die Grundlage dieser Verurteilung zu vier Jahren unbedingten Gefängnisses? Die nach Ansicht des Erstgerichtes erwiesene »Bestechlichkeit« des Angeklagten. Man erinnert sich ... (rekapitulieren wir die Story für die Nicht-Österreicher, die diesen Blog lesen, die Eingeborenen kennen die Geschichte ohnehin bis zum Abwinken): da waren doch diese Undercover-Journalisten aus England, die mit verdeckter Kamera mitfilmten, wie sie als vorgebliche Lobbyisten den EU-Parlamentsabgeordneten Ernst Strasser aufsuchten, um ihn zu einer Intervention für ein angebliches Lobbyingvorhaben in Sachen einer EU-Richtlinie zu veranlassen. Strasser wollte, wie aus dem in etwas peinlichem Schulenglisch vorgetragenen Small-Talk erkennbar, schlanke € 100.000 dafür, daß er sich bei seinen Kollegen einsetzt. Natürlich unter der Hand und inoffiziell, denn Lobbying »häs a sörtn smell« bei einem EU-Abgeordneten. Haha, wie haben wir alle gelacht, als wir die Youtube-Filmchen sahen und vor allem: mithören durften, wie so ein emporgekommener Provinzpolitiker etwas spricht, was er für Englisch hält ...

Nun mag man ja über die moralische Seite dieser Angelegenheit durchaus einig sein: Abgeordnete tun sowas zwar (und nicht eben selten in Brüssel und anderswo, wie man hört), aber sie sollten es nicht — keine Frage! Doch hier geht es nicht um die moralische Qualifikation (die eindeutiger nicht sein könnte: es ist unmoralisch!), es geht auch nicht um die Frage politischer Verantwortung (die durch den Rücktritt Strassers von seinem EU-Mandat und seinen Austritt aus der ÖVP ebenso längst geklärt ist), sondern klipp und klar um die Frage: liegt ein kriminelles Delikt vor, oder nicht. Und spätestens hier beginnt den Juristen ein lebhaftes Unbehagen zu beschleichen.

Denn es besteht kein Zweifel: Strasser hat für seine Intervention kein Geld erhalten. Und, ebenso ist außer Zweifel: seine Intervention hatte keinen Erfolg. Das angebliche Vorhaben wurde nie realisiert. Was ja auch kein Wunder ist: denn es existierte schlicht und einfach nie, sondern war nur ein Köder, der angesetzt wurde, um Strasser als Korruptionisten zu entlarven. Jeder Jurist in Kontinentaleuropa (im angelsächsichen Bereich ist das vielleicht anders, aber Strasser wurde eben nicht in Amerika, sondern in Österreich verurteilt!) weiß sofort, was das eigentlich in juristischer Terminologie gesprochen war: wenn so etwas überhaupt ein kriminelles Delikt gewesen sein soll, so handelte es sich dabei um den untauglichen Versuch eines solchen. Und es handelte sich noch dazu um einen durch einen Agent provocateur induzierten untauglichen Versuch.

Jeder Jus-Student in Österreich bekommt im ersten Semester Strafrecht bereits jene Grundinformationen mit, aufgrund derer er den Fall eigentlich als strafrechtlich irrelevant abhaken müßte: der »Erkundungsbeweis« durch einen Agent provocateur ist in Österreich unzulässig. Jene dubiosen Praktiken, mit denen sich fesche US-Polizistinnen in Hurenmontur under cover auf den Gehsteig stellen und dem Mann, der mit ihnen aufs Zimmer geht, dortselbst wegen »Förderung der Prostitution« Handschellen anlegen und ihn sodann vor Gericht zerren, sind in einer zivilisierten Rechtsordnung Gott sei Dank unbekannt. Oder besser: sie sollten unbekannt sein (so, wie Politiker auch von Lobbyisten unbeeinflußt sein sollten).

Daß das Lobbying für ein real gar nicht existentes Lobbyingvorhaben einen untauglichen Versuch darstellt, liegt auch auf der Hand. Das ist etwa so, wie wenn mich Mr. Dunkelmann heute bestimmen wollte, Oberst Gaddafi zu ermorden, der (wie wir wissen) schon seit geraumer Zeit nicht mehr unter den Lebenden weilt. Selbst wenn ich diesem Ansinnen gegen Zusage eines Killerlohns von € 100.000 zustimmen würde — es wäre ein untauglicher (und damit: straffreier) Versuch, denn was man überhaupt nicht machen kann, das kann man auch nicht versuchen. So einfach ist das.

Da wird man mir sofort entgegenhalten: aber Strasser hätte doch, wenn es den Plan tatsächlich gegeben hätte, durch seine Intervention ... geschenkt! Es gab den Plan nicht, und alle Erwägungen laufen damit irgendwie in die Richtung »wenn meine Tante Räder hätt', wär sie ein Omnibus«. Es handelt sich dabei um eine grundsätzliche Unmöglichkeit — da kein real existierendes Vorhaben, das zu »lobbyieren« wäre, vorhanden war, ist auch die unter Strafjuristen, die sich mit lateinischem Bildungsbürgertum schmücken wollen, beliebte Rechtsfigur der »aberratio ictus« undenkbar — also das bloß zufällige Verfehlen des Zieles, wodurch ein anderer geschädigt wird — wenn z.B. der Auftragskiller zwar auf sein Opfer schließt, aber durch ein zufällig dazwischentretendes Ereignis ein anderes, unintendiertes Opfer trifft. Wo kein reales Ziel, da auch kein Abirren. So einfach ist das.

Nun wird der gewiegte Jurist dagegenhalten, daß der Wortlaut der Korruptions-Tatbestände keineswegs ausschließe, daß schon das »Fordern eines Vorteils für ein Amtsgeschäft« eine Straftat darstelle, und damit auch dieser Fall davon gedeckt wäre, etc. etc. — nochmals: geschenkt! Es geht um die Untauglichkeit eines Versuchs, und daran ändert sich auch bei noch so viel Rabulistik nichts: ein nichexistentes Vorhaben kann (sic!) nicht durch korruptives Lobbying betrieben werden, genau so wenig, wie ich in der Lage wäre, Lobbying für den Einschlag eines Meteoriten in den Wiener Justizpalast zu betreiben. Auch dies wäre, da von mir denkmöglich nicht herbeiführbar, ein untauglicher Versuch. Und selbst wenn ich dafür Geld forderte: es wäre straffrei, so unangenehm sich mancher Richter davon auch berüht fühlen mag, daß ihm jemand einen Meteoriteneinschlag aufs Haupt wünscht.

Ein Gericht, das seine Rechtskenntnisse nicht aus der Lektüre irgendwelcher Brandartikel in Boulevard-Zeitungen, sondern aus anerkannten Grundsätzen der Rechtsordnung bezieht, kann im Falle Strasser eigentlich nur zu einem Freispruch kommen. Es kam (wenngleich nicht rechtskräftig) nicht dazu. Und damit sind wir beim zweiten Punkt des tiefen Unbehagens. Denn in welcher Rechtsstaatlichkeit laufen Gerichtsverfahren ab, wenn sie auf Zuruf der Politik, die Strassers publikumswirksame Schlachtung ebenso forderte, wie die Boulevardpresse Österreichs, agiert. Auch dies ist letztlich bloß Lynchjustiz im Richtertalar, unwürdig eines Rechtsstaates alter Tradition.

Womit wir bei der Rolle der Politik in Östereich wären, und bei der Rolle der Medien in Strafverfahren. Beides verdient das Prädikat: »Trauerspiel«. Denn daß in Österreich (wenigstens in erster Instanz) harsche Urteile v.a. dann ergehen, wenn sie die unsägliche »Kronen-Zeitung« mit Balkenlettern fordert, ist inzwischen evident — ein Volksgerichtshof im buchstäblichen Kleinformat. Und die Politik? Auch sie spielt — über die Besetzungspolitik der österreichischen Richter-Dienstposten — ihr unrühmliches Spiel in der Sache. Ein Richter, der einen für die aktuellen Machthaberer in Österreich »untragbar« gewordenen Angeklagten (und nur so einer wird, dank des Weisungsrechts des Justizministeriums überhaupt angeklagt) nicht in die Pfanne haut, braucht sich über seine weitere Karriere nicht den Kopf zu zerbrechen. Es wird sie nämlich schlicht nicht geben.

Ist es verwunderlich, wenn unter solchen Auspizien ein Richter nicht etwa wegen seiner profunden Rechtskenntnisse oder wegen tiefschürfender Fachpublikationen gerühmt wird, sondern weil er ein »Promi-Schreck« ist? Und ist es unter solchen Auspizien noch verwunderlich, wenn v.a. aus der linken Ecke des Journalismus' (gibt es eigentlich eine andere? Nun: aus der dezidiert linken Ecke, meine ich ...) im Vorfeld des Urteils Stimmungsmache sondergleichen betrieben wurde? Wie schon im »Fall« Julius Meinl (dieser großkapitalistische Ungustl, dessen durch einen mittlerweile »zerlegten« und abberufenen Gerichtsgutachter induzierte rechtsgrundlose Millionenkaution seitens der Republik nicht und nicht herausgegeben wurde. Ätsch! Recht g'schieht ihm!), oder im »Fall« Elsner (schon wieder so ein Ungustl im Fadenkreuz der »Krone«!) — ach, Österriechs Justiz ist wahrlich ein Sittenbild für den informierten Betrachter ...

Verräterisch übrigens, daß die Argumentation des Gerichtsurteils sich völlig über die Frage ausschweigt, was denn mit den beiden selbsternannten Sheriffs der Sauberkeit und Korruptionsbekämpfung geschehen soll. Wenn es nämlich kein untauglicher Versuch gewesen wäre, sondern ein zwar mißlungener, aber tauglicher (und damit strafbarer) — müßten dann nicht die beiden Journalisten als Anstifter, als »Bestimmungstäter«, wie es in der herrlich antiquierten Rechtssprache Österreichs heißt, mitangeklagt werden? Schließlich wollten sie doch eine — mal angenommen: mögliche — Korruptionshandlung veranlassen! Und, sorry: so geht's nicht, daß man die Anstifter straffrei beläßt, da sie das ganze doch nicht ernstlich gemeint hatten, also die strafrechtlich irrelevante Anstiftung zu einem untauglichen Versuch betrieben, diese Untauglichkeit sich aber beim Angeklagten flugs in eine Tauglichkeit (und damit in die Grundlage zu strafrechtlich verfolgbarem Handeln) verwandelt!

Wie man es dreht und wendet: dieses Urteil ist ein Signal — fraglos! Ein vom Richter, dem patentieren Promi-Schreck (ach, ist er das wirklich?), bewußt als »generalpräventiv« gedachtes Signal. Derlei Signale hatte seinerzeit auch Stalin im Sinn, als er die Devise ausgab: »Töte einen und versetze damit tausende in Schrecken«. Und die Völker (abgesehen von den Toten) hörten die Signale ... ... Strassers Verteidiger meinte jedenfalls über das Urteil sichtlich geschockt: »Das steht in überhaupt keiner Relation. Wenn einer ein 15-jähriges Mädchen vergewaltigt, kriegt er beim ersten Mal weniger.«

Aber noch ein kleines Rechenexempel wartet auf seine einfache Lösung: wenn Strasser dafür, daß er einen untauglichen Versuch, für den er € 100.000 gefordert, aber € 0 bekommen hat, vier Jahr in den Knast  muß — wie lange muß dann Bundeskanzler Faymann dafür, daß er allein in der Asfinag-Affaire 7 Millionen € an gelinkten Inseratenkosten zu seinen Gunsten verlangte, in den Knast? Das wäre ja (sehen wir großzügig davon ab, daß Strasser das Geld ja nicht bekommen hat, Fayman seine Millionen-Inserate hingegen schon) immerhin das 70-fache der von Strasser geforderten Summe. Demanch säße Faymann für 280 Jahre im Knast — oder wie?

Oder wie, oder was? Geht's uns noch gut? Der sitzt überhaupt nicht und wird auch nie sitzen, denn der finanziert mit anderen Inseraten die Kronenzeitung, deren verstorbener Chef Hans Dichand bekanntlich einst »stolz gewesen wäre, so einen Sohn wie Faymann zu haben« — und die Staatsanwaltschaft Wien beantragte im April 2012 die Einstellung der Verfahren mit der Begründung, die betroffenen Unternehmen hätten keinen Vermögensnachteil erlitten, da die ­inkriminierten Inserate durchaus einen Werbewert aufwiesen. Die Oberstaats­anwaltschaft Wien unterstützte den Vorhabensbericht der Kollegen ...

Jetzt muß uns eigentlich nur noch wer erklären, was das alles mit einem Rechtsstaat zu tun hat.

6 Kommentare:

Irgendwer hat gesagt…

Volle Zustimmung und Dank an den Herrn Denker für diesen ausführlichen Fachkommentar.

Ich bin weder Jurist und schon gar nicht ein Freund des Ernstl. Mir erscheint das Urteil völlig verfehlt.

Der Ernstl hat sich vermutlich viele Feinde gemacht und bekam dann bei dieser Gelegenheit eine saftige Quittung. Eine Art Revanchefoul.

An das Märchen vom Rechtsstaat glaube ich längst nicht mehr, aus dem Alter bin ich heraus. Zwar ist es bei uns einstweilen noch besser als in so manch anderen Staaten, aber das bietet nur beschränkten Trost.

Mehr möchte ich aus Vorsichtsgründen nicht dazu schreiben und betonen, daß das nur meine völlig unmaßgebliche, völlig unbedeutende private Meinung ist.

Allmählich bekomme ich nämlich Angst, laut zu denken. Denn wenn man als Null für ein blödes Gequatsche bereits zu 4 Jahren unbedingt verurteilt wird...

Irgendwer hat gesagt…

P.S.:

In der Tante Jolesch gibt es eine Sperber-Anekdote. Dem Angeklagten wird vorgehalten, Einbruchswerkzeug bei sich gehabt zu haben. Worauf Verteidiger Sperber aufspringt: "Herr Rat, ich trage stets das Werkzeug zum Ehebruch mit mir. Bin ich deshalb ein Ehebrecher?"

Volker hat gesagt…

Vor 4 Tagen habe ich über “Mandantenverrat” gesprochen.
Schön, wenn die Illustration so schnell frei Haus kommt.

"maßlos überzogen" sagt der Verteidiger dazu. Noch was?
Eben.
Und zurzeit sieht es so aus, als wenn die es mit Zschäpe genauso machen werden.
Alles eine große Familie. Man kennt sich, man hilft sich.

Rechtsstaat? A geh!

Anonym hat gesagt…

Der Anonym vom Todesstrafenartikel (zu dem er dann nichts mehr schrieb, aus Respekt vor der Meinung des werten Betreibers und da ja im Resultat - nur hinsichtlich der Gründe für die Ablehnung - keine Differenz vorlag) sagt hierzu:

»Auch dies ist letztlich bloß Lynchjustiz im Richtertalar, unwürdig eines Rechtsstaates alter Tradition.«

Hm, die alten Römer, die damals den Übergang hin zur Soldatenkaiserzeit mit anschließender Einmündung zum Dominat erlebten, dürften sich wahrscheinlich auch so ähnliche Dinge gedacht haben. Diese Vorgänge sind ja irgendwie nicht neu und stehen auch insgesamt in einem gewissen Rahmen ...

FDominicus hat gesagt…

Wenn ich das richtig verstehe, stellt sich die Situation so da:
Derjenige der etwas verspricht ist schuldig und derjenige des es ausfürht ist unschuldig?

Also statt Gestapo eine Gedapo?

"Cool".

Molot hat gesagt…

"Jetzt muß uns eigentlich nur noch wer erklären,
was das alles mit einem Rechtsstaat zu tun hat ..."

"Rechtsstaat" ist ein Oxymoron!
Ich dachte, das sei Ihnen bekannt.