Mittwoch, 2. Oktober 2024

Heinz G. Konsalik

von LePenseur
 
 
... starb heute vor 25 Jahren, am 2. Oktober 1999. "O Gott", werden manche geneigten Leser nun denken: "jetzt ehrt er auch noch einen Trivialromanfabrikanten durch einen Artikel ..."

Gemach, gemach ... ganz so einfach ist es nicht. Nicht der Fabrikant von angeblich über 150 Romanen, von denen eine recht erhebliche Zahl sogar Bestseller-Status hatten (und haben), sei gewürdigt, sondern der leider real durch die Massenproduktion letztlich unverwirklicht gebliebene Autor von geradezu einzigartiger Phantasiebegabung, die sogar imstande ist, seine "Dutzendwerke" immerhin erträglicher zu machen als die Fülle an Arzt-, Landser- und Agentenromanen, die von der Trivialliteraturindustrie alljährlich in die Kioske gespült wird.

Heinz G. Konsalik, der eigentlich mit dem Familiennamen "Günther" hieß "und nach eigenen unbestätigten Aussagen einem alten sächsischen Adelsgeschlecht (Freiherren von Günther, Ritter zu Augustusberg), stammt", wie Wikipedia anmerkt, hatte eine Gabe, sich durchaus komplexe Handlungsverläufe auszudenken und in sie so viele interessante Details einzuweben, daß daraus bisweilen durchaus etwas wie "Literatur" zu werden vermochte.

Meine Erfahrungen mit Konsalik begannen vor ... etwa drei oder vier Jahren, als ich zufällig im Wühlkasten meines Antiquars einen ganzen Stapel seiner Romane fand, die für € 1,- zu haben waren. Ich öffnete, leicht amüsiert, das erste Buch, das den neckischen Titel Zum Nachtisch wilde Früchte trug und in das ich ein paar Seiten hineinblätterte und es "aus Übermut" ins Geschäft trug und "fürs Wochenende" kaufte, da ich mich im Garten nach dem Rasenmähen in die Sonne legen wollte. Mein "Haus- und Hofantiquar" schüttelte zuerst verwundert den Kopf. Er kannte mich als Käufer von "unmodern" gewordener Literatur wie Bergengruen, Binding oder Thiess, von vielbändigen Kirchenväterausgaben, von Reiseliteratur, z.B. Katz, und natürlich von jeder Menge exotischer "Klassiker", deren vielbändige Gesamtausgaben seit Jahrzehnten wie Blei in den Regalen aller Antiquariate lagern: Gaudy, Immermann, Gutzkow, de la Motte-Fouqué, Freytag, Heyse etc. etc. etc. ... Aber ... Kon-sa-lik ...! Dann gab er seinem Herzen einen Stoß: "Wissen Sie, wenn Sie alle nehmen, gebe ich sie Ihnen für zehn Euro!" Seitdem bin ich stolzer (?) Besitzer von ca. vierzig Konsalik-Bänden, darunter einige mit zwei oder drei (kürzeren) Romanen, von denen ich vielleicht ein Viertel gelesen (oder wenigstens quergelesen) habe.

Aber der erste Roman, den ich von ihm las, überraschte mich! Es waren die oben erwähnten Wilden Früchte, von denen ich offen bekenne: sie waren eine wirklich packende Lektüre. Hohe Literatur? Nein, sicher nicht! Aber Schund? Weiß Gott, ebensowenig! Wie hier mit einer losen Rahmenhandlung um einen verbitterten Major der Wehrmacht ein Porträt der bereits in Dekadenz versinkenden Wirtschaftswunderzeit gezeichnet wird, mit "zeitgenössischen" Problemen von Drogensucht, Sex, Erpressung und allem, was an Niedertracht der Phantasie des immer überraschende Haken schlagenden Autors entsprang und dieser durchaus (und das erhebt diesen Roman über bloße "Trivialliteratur"!) psychologisch zu motivieren vermag, ist bemerkenswert.

Meine These: hätte Konsalik statt der tatsächlichen ca. 150 Romane lieber nur ein Dutzend geschrieben, an denen aber dafür zehnmal länger gefeilt, dann wäre er ein großer Romancier deutscher Sprache geworden! Vermutlich an Sprachqualität nicht mit einem Martin Walser vergleichbar, aber einem Grass oder Böll wohl mindestens ebenbürtig (denn sooo über-drüber genial und einzigartig sind die literarisch ja nun auch wieder nicht ...). Ich weiß: Ketzerei pur, was ich hier betreibe ... und noch dazu unbelegbar, denn Konsalik hat eben diesen Weg nicht gewählt.
Konsalik empfahl seinen Lesern Ein Kreuz in Sibirien für einen Mann, Eine glückliche Ehe für eine Frau und Zum Nachtisch wilde Früchte für einen Jugendlichen.
... zitiert Wikipedia einen etwas hämischen Spiegel-Artikel (nein, ich verlinke nicht auf diese roten Heftchen! Da finde ich Konsalik interessanter und weitaus anständiger). Nun: ich habe nicht nur Ein Kreuz in Sibirien, sondern, wiewohl eindeutig nicht mehr Jugendlicher und auch keine Frau, die beiden anderen Romane mit Genuß gelesen und betrachte die dafür ausgewendete Zeit, insbesondere für den letztgenannten Roman, besagte Wilde Früchte,  keineswegs als vergeudet. Im Gegenteil!
 
 Wikipedia wäre nicht Wikipedia, wenn bei irgendeinem Autor, der die Nazizeit miterlebte, eine ausgewalzte "Auseinandersetzung" zu diesem Thema fehlte! Muß sein. Steht zwar fast immer das gleiche drin, aber muß sein. Fordert es die "Staatsräson"? Offensichtlich ... ... Und das liest sich dann so:

Leben und Wirken im Nationalsozialismus

Bereits im Alter von 16 Jahren verfasste Heinz Günther Feuilletonbeiträge für Kölner Zeitungen. 1938 veröffentlichte er sein nach eigener Einschätzung „erstes brauchbares Gedicht“. Am 31. August 1939 stellte er als Obersekundaner die heroische Tragödie Der Geuse fertig. Danach trat er der Hitlerjugend, Gebiet 11 Mittelrhein, bei. Im Dezember 1939 nahm er eine Tätigkeit bei der Gestapo auf. Sein nächstes Drama, das er im März 1940 beenden konnte, hieß Gutenberg. Im gleichen Jahr bemühte sich Günther um Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer, was aber zunächst abgelehnt wurde, weil der Umfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit noch zu gering war. Bald darauf erfüllte er die Aufnahmevoraussetzungen jedoch und erhielt die für die regel-mäßige Veröffentlichung von literarischen Erzeugnissen erforderliche Kammermitgliedschaft.
Die Rezeption der Romane Konsaliks durch die "Experten" war dementsprechend. Denn offenbar kommt es nicht so sehr darauf an, wie einer einen Roman zu schreiben vermag, sondern viel mehr darauf, welche Weltanschauung der Autor pflegt, bzw. welche ihm unterstellt werden kann.
Der Berliner Literaturwissenschaftler Matthias Harder wies in Konsaliks Schaffen und Gedankenwelt zahlreiche nationalsozialistische Tendenzen nach. So habe er gegen das „semitisch-marxistische Theater“ der Weimarer Republik protestiert, das „Weltbild des germanischen Blutes“ vom bösen „jüdischen Willen“ bedroht gesehen und 1940 ein pathetisches Theaterstück über die Hitlerjugend verfasst. Der in Köln ansässige Autor Wolfgang Bittner warf Konsaliks Werk „faschistoide Tendenzen“ vor
Moment: wie alt war Konsalik 1940? Neunzehn. Und wo lebte er damals? Im Dritten Reich, wo positive Stellungnahmen zum „semitisch-marxistische Theater“ der Weimarer Republik vermutlich nicht so gratis-mutig geäußert hätten werden können, wie jene, die Matthias Harder 1999 im Spiegel über den Toten schreiben konnte.
 
Konsaliks "Problem" war: er war kein Linker. Deshalb hatte er auch Erfolg bei den Lesern, denn nur Linke glauben (warum eigentlich?) daß linke Besserwisserei, Heuchelei und Propaganda bei den Lesern beliebt sind. Sie sollten schön langsam mitbekommen haben: nein, sind sie nicht!
 
Zurück zu meiner obigen "These": Konsalik wurde durch seine massenweise Romanproduktion zwar sehr wohlhabend, was er bei geringerer, dafür qualitätsvoll durchgearbeiteterer Produktion mit Sicherheit nicht geworden wäre, aber: was hat es ihm letztlich eingebracht?
Im Alter von 75 Jahren wurde Konsalik von seinem Anlageberater betrogen und verlor ein angelegtes Vermögen von 9 Millionen DM inklusive aller Rechte an seinen Büchern. Der Autor erholte sich von dem Verlust durch die Einnahmen aus seinen neuen Werken.
Mit 75 ... das war also um 1995/96. Da nicht aufzugeben, sondern entschlossen weiterzutun — das soll ihm einer erst mal nachmachen, bevor er zu kritteln und stänkern beginnt! Und was den "Nazi" betrifft, so lese man seine Worte über den "Heldentod":

„Man stirbt nicht mit einem Hurra auf den Lippen, sondern mit einem Schrei, einem Wimmern und Stöhnen, einem Brüllen vor Schmerzen und einer Verzweiflung, die unbeschreiblich ist. (…) die Angst packt einen, der Körper ist zerfetzt und blutet aus, man kriecht über die Erde und brüllt »Sanitäter! Sanitäääter!«; und dann liegt man da, von Schmerzen zerrissen, und keiner hilft einem, die Erde bebt unter den Granateinschlägen, die Panzer rollen auf einen zu, man sieht sie kommen, man möchte wegkriechen, aber es geht ja nicht, man ist ja nur noch ein Klumpen blutigen Fleisches, und die Ketten kommen näher, immer näher, man sieht den Tod, man weiß, daß man gleich in die Erde gewalzt wird, ein Tod aus 30 Tonnen Stahl, rasselnd wie hunderttausend Kastagnetten … und dann schreit man, schreit und betet und ruft nach der Mutter...und krepiert. Das ist der Heldentod! (…) In Stalingrad wurden 364000 Männer von einem Mann, der Adolf Hitler hieß, kaltblütig in den Tod gejagt, mit vollem Wissen, daß es für diese Männer nie eine Rettung geben wird. Und die Generale ließen es geschehen, im Führerhauptquartier, im OKH, in der Heeresgruppe Don und in Stalingrad selbst, wo ein Generalfeldmarschall Paulus solange zögerte und an seinen »Führer« glaubte, bis seine Armee in den Kellern und Löchern buchstäblich verfault, verhungert und ausgeblutet war. Ist das nicht Wahnsinn?“

Bilder vom Untergang der 6. Armee, 5. Aufl., 1983
 Wenn das "Nazi" ist, dann ist Remarque auch einer ...

Trotz seiner schweren Verwundung an der Ostfront blieb Rußland ein "Sehnsuchtsort" für Heinz Konsalik. Immer wieder spielen seine Romane in diesem weiten Land und die Bemerkung des exilrussischen Autors Wladimir Kaminer, Heinz Konsalik habe "... mehr über die Taiga geschrieben als der gesamte sowjetische Schriftstellerverband" mag trotz seiner Überspitzung durchaus zu treffen.

Was also kann Heinz Konsalik heute, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, uns noch sagen? Manches, vieles von dem, was er in seine Romane an Ansichten "wie nebenher" hineinverpackte, klingt für heutige Ohren anstößig. Aber ist es deshalb vernichtens-, oder gar verdammenswert?

Nein, geneigte Leserinnen und Leser: Sie müssen jetzt nicht Konsalik lesen! Außer Sie wollen es: dann kann ich Ihnen mit gutem Gewissen nicht als Nachtisch, sondern als appetizer den Roman Zum Nachtisch wilde Früchte empfehlen. Es gibt vergeudetere Stunden im Leben, glauben sie mir ...

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich sage mal: Russlandsehnsüchtiger liest Russlandsehnsüchtigen. Das führt zu solchen Laudationes. 😉

Anonym hat gesagt…

Konsalik war DER Autor in meinen jungen Jahren!
Heute würden seine Romane wegen politischer Unkorrektheit, Russlandverständnis, Wahrung von Tradition und sog. "alten Werten" nicht mehr gedruckt und der Verfassungsschutz stünde vor seiner Tür.
Den weltoffenen, toleranten Verteidigern der Dämonkratie hinge vor Empörung der grüne Geifer von den Lefzen...

mfG
Tanit

Anonym hat gesagt…

Unsinn! Man kann Konsalik heute immer noch völlig ungehindert erwerben und lesen.

Anonym hat gesagt…

Danke für die angemessene Würdigung.
Ich las auch einige seiner Romane in jungen Jahren und habe sie in angenehmer Erinnerung. Aus einem weiß ich, daß die Wälder in Sibirien schon immer mal gebrannt haben, von wegen Klimawandel. Immerhin erfuhr man viel über Land und Leute ...

Anonym hat gesagt…

Was immer man über Konsalik literarisch oder politisch denken mag, ob man seine Russland-Nostalgie teilt oder nicht: über die Tatsache, dass 40% seiner ostdeutschen Landsleute sich „mehr Diktatur“ wünschen, mit einem „starken Mann“ an der Spitze, wäre Konsalik entsetzt.

Anonym hat gesagt…

Aus einem seiner Romane weiß ich auch, dass es große, Kräfteverhältnisse beeinflussende Völkerwanderungen schon immer mal gegeben hat. Von wegen also „großer Austausch“ und so.