Dienstag, 25. März 2014

»Es braucht den Schulterschluss«

... meint Andreas Rüesch heute in der »Neuen Zürcher Zeitung«:
Sicherheit durch weltweite Kooperation – unter normalen Umständen wäre dies ein schönes Mantra für den diplomatischen Grossanlass gewesen.

Doch die Krim-Krise hat den Blick auf hässlichere Realitäten freigelegt. Die Ukraine muss sich heute fragen, ob sie ihrer Sicherheit tatsächlich einen Dienst erwies, als sie 1994 freiwillig aus dem Kreis der Atomwaffenstaaten ausschied und ihre Bomben dem Nachbarn Russland abtrat. Vielleicht hätte sich ein skrupelloser Kremlchef wie Putin auch durch eine nuklear bewaffnete Ukraine nicht vom Raub der Krim abhalten lassen, aber ein solches Arsenal hätte er kaum völlig aus seinem Kalkül ausblenden können. Kiew ist jedenfalls um eine Lektion reicher: Die mit Russland und den USA unterzeichnete Abmachung, die im Tausch gegen die Atomwaffen die ukrainischen Grenzen zu garantieren schien, war ein wertloses Stück Papier.

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Ja, etwa so wertlos wie die frühere Vereinbarung, daß die Nato im Gegenzug zur Bereitschaft Rußlands, die anderen Teilrepubliken der früheren Sowjetunion ohne Widerstand völlig unabhängig werden zu lassen, dafür ihre Mitgliedschaften nicht bis an die Grenze Rußlands vorschieben werde. Und etwa so werthaltig wie die konstante Versicherung Washingtons, daß die in Ostpolen stationierten Luftwaffen- und Raketensützpunkte ausschließlich gegen die Bedrohung Europas durch die Heerscharen und Raketen des Iran aufgerüstet werden. Geradezu putzig werden die Vorwürfe von Rüesch, wenn er mit erhobenem Zeigefinger doziert:
In neuem Licht erscheint auch die Warnung von Obamas Herausforderer im Wahlkampf von 2012, Mitt Romney, der Russland damals als «grössten geopolitischen Gegner» Amerikas gegeisselt hatte. Obama hielt dies für einen Rückfall in Denkweisen des Kalten Krieges, und selbst Anhänger Romneys wunderten sich, weshalb ihr Kandidat al-Kaida und China vergessen hatte. Aber al-Kaida ist eine Terrororganisation, kein Gegenspieler von geopolitischem Format, während China mit seinem Aufstieg zwar Ängste weckt, aber zumindest derzeit noch dem Westen bedeutend weniger politische Fallgruben gräbt als Russland. Syrien, Iran, Zentralasien, Georgien und nun die Ukraine sind lauter Schauplätze, auf denen der Kreml seine Erfüllung darin sieht, westliche Strategien zu durchkreuzen, selbst wenn dies – wie im Fall Syrien – bedeutet, mit brutalen Diktatoren zu paktieren. Selbstredend beisst Obama in Moskau auch mit seinem Wunsch nach weiteren Abrüstungsschritten auf Granit. In Putins Welt sind Atomwaffen nicht ein Anachronismus aus der Zeit des Kalten Krieges, sondern eine Quelle der Macht, die es zu bewahren gilt.
Darf man fragen, in welches Niemandsland-Region Herr Rüesch z.B. die brutalen Diktatur in Saudi-Arabien entrückt? Und wie er den seltsamen »Anachronismus« erklärt, mit dem die USA ausschließlich Staaten plattmacht, die keine Atomwaffen haben. Etwa weil Atomwaffen halt doch einen ganz brauchbaren Schutz vor einem Einmarsch von »Friedenskräften« bilden ...? Will Herr Rüesch wirklich einen »Schulterschluß« mit einer US-Staatsführung herbeischreiben, die allein schon für das, was sie im Irak abgezogen hat, sich vor dem Haager Gerichtshof verantworten müßte — wenn sie es nicht vorgezogen hätte, diesen erst gar nicht anzuerkennen? Sieht so die (auch in Österreich als vorbildlich beschworene) Schweizer »immerwährende Neutralität« aus?

Die Antworten der Kommentarposter (bis dato 12) fallen freilich eindeutig aus, und sie sind zu aussagekräftig, als daß sie im Kommentar-Thread der NZZ einfach untergehen sollten. Zwei Pro-Stimmen (von denen eine dennoch für die Schweizer Neutralität plädiert!) stehen dabei 10 Kontra-Meinungen gegenüber:
Obiwan Duglobi • vor 12 Stunden
Respekt für diesen mutigen Artikel, der die Dinge immerhin beim Namen nennt. Der Vorwurf der Völkerrechtsverletzung bzw. Landnahme wiegt zugegebenermassen schwer. Wie wäre es nun aber, wenn die Sezessionsabstimmung auf der Krim unter demokratisch korrekten Bedingungen wiederholt würde; beobachtet oder sogar durchgeführt von der UNO? Zwei Dinge dazu: 1. Sollte der Kreml einen solchen Vorschlag tatsächlich in den Wind schlagen, so bin ich bereit, das Neutralitätslager zu verlassen und mich an der Verteidigung von Europa zu beteiligen. 2. Ich befürchte, dass dieser Vorschlag so öffentlich nie gemacht werden darf - weil die Entscheidträger der alten und neuen Grossmächte keine Präjudizien bezüglich der Sezession von Minderheiten schaffen wollen. Diese würden nämlich nichts weniger als ihre eigene Macht gefährden

Henri Wyler • vor 10 Stunden
Mitt Romney hätte den Westen wohl stärker vertreten als es Obama tut. Dass niemand Putin in die Schranken zu weisen vermag, macht die Situation brandgefährlich. Die Plötzlichkeit von Putins Übergriff auf die Krim hat den Westen kalt erwischt, man leckt sich immer noch die Wunden und ist konsterniert. Man weiss eigentlich noch nicht, wie man reagieren soll und experimentiert noch. Nur die Furcht vor Putins Machtgelüsten steigt, weil bei einem Einmarsch in die Ostukraine unser Wohlstand gefährdet ist, wenn es zu einem Krieg kommt. Man kann ihm am Ende nicht alles durchgehen lassen. Das ist das Dilemma. Deshalb finde ich den Solidaritäts-Appell hier, die Neutralität der Schweiz quasi aufzugeben und sich einzureihen in die westliche Phalanx, politisch ein falsches Signal. Die Schweiz muss ihre eigenen Interessen vertreten, nicht die der EU und neutral bleiben.

Peter Camilleri • vor 14 Stunden
Und was ist damit, das die USA uns alle ausspioniert...? Was ist damit, dass sie Saudi Arabien jede Menge Waffen verkaufen...? Einem besonders demokratischen Staat... ! Oder Lybien, Irak, Syrien, wo die USA auch ihre Finger im Spiel haben... Afghanistan...! Pakistan... Südamerika... Usw...
Rührt hier Herr Rüesch die Kriegstrommeln...? Man soll noch härter vorgehen...? Gäbe es keine Vergeltungen von Seiten Russlands...? Und dann soll man sicher wieder härter vorgehen...?! Usw...!

wirthomas • vor 13 Stunden
Ich bin absolut anderer Meinung. Es ist an der Zeit, keine Schulterschlüsse mit amerikanischen Grossmachtsinteressen mehr zu machen. Sie haben schon genügend Kriege angezettelt und Völkerrecht gebrochen auf der Welt und die EU-Schosshündchen sind als Handlanger eingesprungen - meistens obwohl die Bevölkerung selbst nicht dafür war. Nun haben sie in der Ukraine rechtsextreme Putschisten dafür bezahlt, die Regierung zu stürzen, nachdem die Regierung das Angebot des Westens abgelehnt hat und unterstützen heute eine verfassungswidrige Regierung. Russland, das schon immer auf der Krim war und dafür ordentlich Pacht bezahlt für die Stationierung ihrer Soldaten, hat dafür gesorgt, den drohenden Verlust seiner Krimhäfen an die NATO abzuwenden. Nein, es braucht keine Schulterschlüsse mit Kriegstreibern sondern ein klares Signal an die USA, endlich mit den fremden Einmischungen und Destabilisierungen aufzuhören, für das sie heute ja bekanntlich Milliardenbeträge aufwenden. Stellen wir uns nur mal vor, Russland würde Milliarden ausgeben, um ihnen nicht genehme Staaten zu destabilisieren und die Regierungen zu stürzen. Die USA tun es, und alle machen mit und lassen sich von ihrer Propaganda blenden - unsere Presse inklusive.

Frank • vor 14 Stunden
absolute Nichteinmischung in diese russisch-ukrainische Angelegenheit ist hier angesagt

Walter Staub • vor 13 Stunden
Ist es wirklich gescheint, dafür zu plädieren, Russland immer mehr in die Enge zu treiben? Der Autor meint wohl, ausschliesslich der Westen hätte das Recht gepachtet. Bei angemessener Würdigung der Fakten in Sachen Krim ist das aber leider alles andere als die Realität. Russland ist nicht irgend ein Gegner, den man beliebig in die Enge treiben kann. Tut man es dennoch, kann es höchst gefährlich werden.

fidel • vor 14 Stunden
Nicht wir brauchen den Schulterschluss, Obama braucht diesen. Innen- wie aussenpolitisch...

Bernd Rickert • vor 13 Stunden
Ein Schweizer ruft da etwas voreilig nach Atomwaffen und klammert sich einen anachronistischen Status Quo aus dem letzten Jahrhundert. Unüberlegt sind auch die Vorstellungen zum ehemaligen, ukrainischen Atomwaffenarsenal, das einer notwendigen Wartung und Pflege bedarft hätte, wozu eine souveräne Ukraine damals nicht imstande war. Die Bindung der Ukraine an Russland wäre mit einem ukrainischen Atomwaffen-arsenal womöglich viel enger, als sie jetzt wirtschaftlich bedingt ist. Insofern sind die Gedankenspiele zum möglichen Einsatz von Atomraketen, denn dieser steckt hinter der atomaren Abschreckung, zum Glück nur theoretisch.
Seit Ende des kalten Krieges wurden auch Atomwaffen weiterentwickelt. Das abschreckende Bild alles vernichtender, atomarer Interkontinentalraketen ist so längst nicht mehr vollumfassend gültig. Die abschreckende Wirkung der Waffengattung an sich hat merklich nachgelassen. Gerade die USA hätten da so einiges an Innovationen auch für den Einsatz im Feld zu bieten.

Tamás György Morvay • vor 13 Stunden
"Amerikas Präsident sieht sich auf seinem Besuch in Europa unversehens zum Improvisieren gezwungen." Das kann man aber auch anders sehen: dem amerikanischen Präsidenten fliegt sein eigenes Versagen auf dem Felde der Aussenpolitik in den 5 Jahren seiner bisherigen Amtszeit um die Ohren. Jimmy Carter sah sich in diesen Tagen genötigt, ausdrücklich zu betonen, Obama hätte ihn nicht um Rat gefragt, in der Russlandfrage. Dabei hätte ich schwören können, denselben naiven Dilettantismus, gepaart mit einem tiefen Misstrauen gegenüber allen, die sich schon länger mit Aussen- und Strategiepolitik beschäftigen, vor 35 Jahren schon einmal erlebt zu haben. Die Suppe, die uns der als charismatisch verschrieene Zauberlehrling und Nobelpreis-auf-Vorrat-Träger eingebrockt hat, werden wir noch lange auszulöffeln haben. Wenn es so weitergeht - und es kann doch so nicht weiter gehen, oder - fange ich noch an, George W. Bush als Koryphäe anzusehen.

Werner Moser • vor 12 Stunden
Schulterschluss, um die Krim zurück zu erobern? Oder einer dagegen, dass ein derart grossmächtiges Vorgehen à la Russland zukünftig nicht mehr so "locker vom Hocker" stattfinden kann? Ersteres ist Kaffee von gestern (ausgetrunken!), Zweiteres wird kaum möglich sein. Denn was Russland grossmächtig tut, tun alle Grossmächte auch. Sie scheinen solches Gebahren nötig zu haben, um von Zeit zu Zeit ihrer Grösse gewahr zu bleiben. Die Russland/Krim-Causa war nur so kaltschnäuzig, wegen ihrer Geschichte und daraus langjährige Vorbereitung dazu. Plus eine Ukraine & der Westen, die, in vollkommener Unterschätzung der Sachlage, ganz einfach nicht merkten (oder merken wollten?), wie weit die Katze (Russland) die willige Maus (Krim) in ihren Pranken hielt. Ein Schulterschluss ist (als gegenseitige Stütze) zwar immer gut, macht aber müde. Scharfe Sinne, Augen und Angriffsauslösung, solange das Spiel nicht abgepfiffen ist, wird in Zukunft erfolgsversprechender sein. Denn, als die Krim ihr Plebsizit (z.G. Russland) (irrelevant, ob regulär oder nicht) ablieferte, war der Mist geschauffelt. Halbherzige Schulterschlüsse (vorher/nachher?) dagegen, sind nur noch mehr Schwächezeichen. Die es unbedingt zu vermeiden gilt!

Agnes Juillerat • vor 4 Stunden
"Aber al-Kaida ist eine Terrororganisation, und kein Gegenspieler von Weltformat während China ... ". Wie kann man nur zu einem solchen Schluss kommen?, aber wenn's der künstlich heraufbeschworenen 'Kalter-Krieg-Rhetorik' dient. Ist der Kaida-Terror nicht von Weltformat, können es auch seine Toten in ihrer ungeheuerlichen Opferzahl nicht sein. Ist es das, was der Autor in einem uneingestandenen Zynismus uns sagen möchte?

Opus Dominus • vor 6 Stunden
Allen, die hier die Kriegstrommel rühren, sollte eines klar sein. Deutschland steht dazwischen. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung ist gegen jegliche Sanktionen und Militär-Drohungen gegen Rußland. Angela Merkel ist dies klar und deshalb versucht die Kanzlerin immer noch die Vermittlerrolle. Sollte Sie sich auf die Seite der Briten und Amis schlagen, wird Sie hierzulande ein Bürger-Sturm vertreiben. Es wäre ein fataler Irrtum zu glauben, daß Medienhetze, Propaganda und Indoktrination in diesem Land noch erfolgreich sein könnten.

Irgendwie wird die Systempresse da einen orgentlichen Zahn zulegen müssen, um »das Volk« (und selbst eine so elitäre Fraktion desselben, wie es die Leser der NZZ zweifellos sind) doch noch zu überzeugen ...

1 Kommentar:

FDominicus hat gesagt…

Ich habe das Gefühl, wir predigen gegen verstopfte Ohren....


Ich weiß nicht was auf einmal los ist. Warum auf einmal Krieg die Lösung sein sollte. Wenn das die Lösung ist, warum haben wir dann nicht gleich nach WWK II mit WWK III angefangen? Da müssten wir doch alle Probleme bis heute "gelöst" haben....