Leider kein unpassender Faschingsscherz war, was sich wie ein Lauffeuer am Rosenmontag über die Medien verbreitete: der Papst tritt zurück. Es war wie ein Blitzschlag, und der Zufall (oder die Fügung, wie man will), daß wenige Stunden nach dieser Nachricht ein Blitz in die Kuppel des Petersdoms einschlug, wirkte auf viele wie ein Zeichen des Himmels — das zu deuten ich mich freilich nicht berufen fühle. Man sollte nach meinem Dafürhalten meteorologische Ereignisse nicht mit menschlichen Entscheidungen in Verbindung bringen. Nicht beim angeblichen »Global Warming«, und erst recht nicht bei Papst-Rücktritten ...
Ich verhehle nicht, daß ich im ersten Moment einigermaßen fassungslos war. Fassungslos — und mit einem tiefen Gefühl des Unbehagens las ich den Wortlaut der Ankündigung dieses Rücktrittes, der nach über sieben Jahrhunderten der Welt erstmals wieder einen »Papst a.D.« bescheren soll. Unbehagen ... warum eigentlich? Ist es nicht natürlich, wenn ein hochbetagter Mann in verantwortlicher Position erkennen muß, daß er nicht mehr die nötige Kraft hat, seines Amtes zu walten, und dann beschließt, seine Funktion in jüngere, agilere Hände zu legen ...? Dennoch: das Unbehagen blieb, und es verstärkte sich angesichts der reflexartigen Nachtritte der Journaille und Teilen der Polit-»Elite«, die eine klamm-heimliche Freude, einen Gegner bezwungen zu haben (gemischt mit leisem Bedauern, einen so praktisch verfügbaren Reibebaum zu verlieren), nicht verhehlen konnte.
All das wird den Papst sicherlich nicht überrascht haben. Und viele lobende Worte (über deren Ehrlichkeit ich mir mehr denke, als ich hier sagen möchte) waren sicherlich geeignet, die teilweise skandalöse Häme und Gehässigkeit, die aus manchem Kommentar troff, zu lindern. Dennoch: das Unbehagen blieb in mir zurück, und es verstärkte sich von Stunde zu Stunde. Und als ich am Abend dieses 11. Februar 2013 die düsteren Gedanken des deutschen Sozialwissenschaftlers und Publizisten Manfred Kleine-Hartlage zu dem Thema las, konnte ich dessen tiefe Besorgnis mehr als verstehen:
In einer Zeit, in der der katholische Glaube selbst von den meisten Katholiken kaum noch verstanden, dafür aber von einem riesigen Kartell von Ignoranten unter Beschuss genommen wird, verlässt ausgerechnet der Mann die Brücke, der wie kein anderer die Einheit von Glaube und Vernunft verkörpert, und der wie kein anderer dem Katholizismus seine Strahlkraft zurückgeben konnte, soweit es unter den obwaltenden Umständen nur menschenmöglich ist. Der vor allem klarstellte, dass ein zeitgeistkonformer pflegeleichter Glaube, dessen religiöser Gehalt sich in abstrakter gefühliger “Spiritualität” ohne konkreten Inhalt auflöst, nicht mehr als eine oberflächliche Wellnessreligion wäre, die zur Rettung einer heillosen Welt nichts beitragen kann, sondern nur noch tiefer in diese Heillosigkeit hineinführt. Selbst wenn Benedikt XVI. sonst überhaupt nichts mehr geleistet hätte, wäre er allein in dieser Eigenschaft als Kommunikator schon unersetzlich gewesen. (Hier weiterlesen)
Ich bin, das will ich ganz offen einräumen, im Hinblick auf eine »Heillosigkeit der Welt« und ihre »Rettung« durch wen (oder was) auch immer sicherlich skeptischer gestimmt als Kleine-Hartlage, dessen persönliche Bestürzung sicherlich auch durch den Umstand verstärkt ward, daß es eben dieser Papst Benedikt
XVI war, dessen Wirken ihn vor einigen Jahren maßgeblich zur Konversion zur Katholischen Kirche bewogen hatte. Als »geborener« Katholik, der noch dazu einige Pontifikate mehr in seiner Lebensgeschichte mitbekommen konnte (mein »erster« Papst, dessen Tod mir — trotz aller Reserven ihm gegenüber — seinerzeit mental gewissermaßen »den Boden unter den Füßen erschütterte«, war Paul
VI — an Pius
XII habe ich keine, und an Johannes
XXIII nur diffuse Kindheitserinnerungen), habe ich es da wohl leichter. Und dennoch ... das Unbehagen bleibt. Und es wächst. Im Gespräch mit meiner Frau und mit Bekannten versuchte ich es zu verarbeiten, zu klären, und es kristallisierte sich recht schnell ein Problemfeld für mich heraus, das ich mit dem Titel dieses Postings zu umschreiben trachtete: » Ämter: Würden und Funktionen«.
Es gibt viele Ämter in unserer Welt — in der Politik, in Religionsgemeinschaften, in der Wirtschaft und in Vereinigungen aller Art, und bezüglich dieser Ämter ist, wenigstens für mich, ein grundsätzlicher Unterschied auszumachen, den ich mit »
Würde versus Funktion« umschreiben möchte. Das Amt des Präsidenten eines Verfassungsgerichtes ist zweifellos, trotz der damit verbundenen hohen Wertschätzung, keine »Würde«, sondern eine »Funktion«. Diese kann von Herrn A oder Herrn B (in Zeiten wie diesen natürlich auch »Frau B«) ausgeübt werden, durch diese oder jene Art der Auswahl gelangt man in sie; sie kann durch verschiedenste Umstände (Ablauf der Funktionsperiode, Rücktritt, Abberufung, Pensionierung etc.) beendet werden.
Demgegenüber sind »Würden« doch sichtlich anders geartet, und der grundlegendste Unterschied ist, daß man so eine Würde eben »hat« ... oder eben nicht — weil man sie im Grund nie gehabt hatte. Ämter, die in diesem Sinne »Würden« sind, werden im Deutschen oft auch mit dem Suffix »-tum« bezeichnet, und sind beispielsweise das »Königtum« — oder eben das »Papsttum«: es ist eine Kategorie jenseits der Funktion, und kein Mensch käme auf die Idee, von einem »Präsidententum« oder einem »Ministertum« zu sprechen — denn dies sind eben typische »Funktionen«. Eine »Würde« ist, wenn ich diese Definition
ad hoc formulieren darf, ein Amt, das seinem Träger zugleich auch ein »Wesen«, also eine spezifische Eigenart (ein »Alleinstehungsmerkmal«, wie das neudeutsch so schön heißt) vermittelt, und zwar über die ihm jeweils eigenen Funktionen hinaus (ohne die es ja kein Amt wäre, sondern ein bloße Ehre, ein »Titel ohne Mittel«, wie man in Wien auch spöttisch dazu sagt).
Und, jetzt einmal ganz einfach dahingesagt: von Würden tritt man nicht zurück — oder, vielleicht präziser formuliert: tritt man nur unter ganz außerordentlichen, einzigartigen Umständen zurück! Andernfalls gäbe man zu erkennen, daß die vermeintliche Würde eben doch bloß eine Funktion gewesen ist, die man halt eine Zeitlang ausgeübt hat. Wenn die Königin der Niederlande ihre Abdankung bekanntgibt, und zwar nicht, weil ihr Land von Feinden besetzt, oder durch Naturkatastrophen bzw. Bürgerkriege zerrüttet ist, dann zeigt uns das, daß die vermeintliche »Würde« einer Königin der Niederlande schon längst nur eine Funktion (nämlich die eines im Erbweg besetzten Staatsoberhauptes) war. Wohlgemerkt: schon
war, und nicht erst durch diesen Rücktritt
wurde!
Wenden wir diese Begriffsunterscheidung nun auf den Fall des Papst-Rücktrittes an: waren es also ganz außerordentliche, einzigartige Umstände, die ihn zu seinem Schritt bewogen? Nach dem, was bislang bekannt ist: nein. Es ist, wenigstens in der uns verlautbarten Botschaft, das Gefühl einer befürchteten Unzulänglichkeit infolge seines fortschreitenden Alterungsprozesses, welches ihn zum Rücktritt veranlaßte. Und das ist meines Erachtens nicht genug, um einen solchen Schritt — über dessen legale Zulässigkeit nicht die geringsten Zweifel bestehen können! — über diesen positivrechtlichen Aspekt hinaus zu legitimieren.
Der Papst steht mit seiner Handlungsweise freilich in einer mittlerweile jahrzehntelangen Tradition der »Funktionalisierung« von Ämtern in der Katholischen Kirche. Ich erinnere mich noch, daß zu Zeiten meiner Kindheit selbst »einfache« Bischöfe in Amt und Würden (
sic!) zu sterben pflegten. Waren sie schon etwas zittrig, wurde ihnen ein halbwegs junger Weihbischof beigegeben, in Fällen zunehmender Gebrechlichkeit war es vielleicht ein »Koadjutor mit Nachfolgerecht«, der sich jedoch (meist) pietätvoll hütete, dem greisen Oberhirten das Gefühl völliger Entbehrlichkeit zu vermitteln. Nur in besonders gelagerten Fällen legte man Bischöfen die Resignation nahe, und promovierte sie auf einen Titularsitz
»in partibus infidelium«. Das Gefühl der Würde, nämlich der Würde eines Apostelnachfolgers, war zu sehr präsent, als daß man sich einen »Apostel a.D.« vorstellen mochte.
Das änderte sich freilich nach dem Vaticanum II. Bischöfe hatten mit fünfundsiebzig dem Papst ihren Rücktritt anzubieten, Kardinäle wurden ab achtzig als unfähig erachtet, weiterhin an Papstwahlen teilzunehmen. Der greise Kardinaldekan Ottaviani, der über die Medien von dieser Maßnahme erfuhr, meinte dazu süffisant:
»Ich dachte bisher immer, daß der Heilige Geist das Kardinalskollegium bewegt, einen Papst zu wählen. Nun muß ich feststellen, daß dieser Heilige Geist offenbar ab dem achtzigsten Lebensjahr zu wehen aufhört — aber das ist eine Frage, die der Heilige Vater zu klären hat, wenn er selbst einmal achtzig ist ...«
Nun tritt also ein Papst mit sechsundachtzig aus Altersgründen zurück — womit sich dann wohl eine Regel herausbilden wird, daß ein Bischof mit dem 75., ein Kardinal mit dem 80. und ein Papst mit dem 85. Lebensjahr in Pension zu gehen hat. Nur: warum dann noch Ämter auf eine ohnehin bloß hypothetische »Lebenszeit« vergeben — warum dann nicht gleich Funktionsperioden? Wenn das mithin bloße Funktionen sind, wäre dies doch mehr als naheliegend!
Nein, ich verhehle es nicht: ich bin mit der Rücktritts-Entscheidung des Papstes nicht einverstanden — wenigstens nicht unter den mir bis dato bekannten Umständen und Begründungen! Ich könnte mir freilich vorstellen, daß ein bald danach eintretender Tod Benedikts
XVI (den ich ihm, das möchte ich klarstellen, keineswegs wünsche!), dessen Ursache in seine Amtszeit zurückreicht (etwa eine unheilbare Erkrankung, die bereits jetzt diagnostiziert wurde), den gewählten Schritt nachträglich rechtfertigen kann. In der Tat bedeutete ein bspw. durch einen inoperablen Hirntumor (oder rapid fortschreitende Demenz) zur Amtsführung gänzlich unfähiger Papst im Sinne der vorherigen Darlegungen »ganz außerordentliche, einzigartige Umstände«. Davon gehe ich jedoch nicht aus — ich erwarte eher einen Alt-Papst, der noch einige Jahre kontemplativ und zurückgezogen lebt, und an etwas in der Art eines »theologischen Vermächtnisses« schreibt.
Es gibt Schritte, die, einmal gesetzt, unabsehbare Folgen haben. Ich fürchte es auch von diesen Rücktritt. Denn dadurch wurde dem Papsttum eben eine bisher selbstverständliche Grundlage faktisch entzogen: die Unabsetzbarkeit. Nicht rechtlich, natürlich — aber was besagt das schon groß! Wie vieles passiert doch in der Welt, ohne daß es rechtlich gedeckt wäre, oder bloß
ad hoc — oder gar erst nachträglich — »passend« gemacht würde ... nein: faktisch tritt nun das ein, was Manfred Kleine-Hartlage in einem deprimierenden Satz zusammenfaßte:
Ab jetzt wird es denkbar, einen Papst aus dem Amt zu mobben, was bisher als von vornherein aussichtslos gelten musste, weil es selbstverständlich war, dass niemand einen Auftrag des Heiligen Geistes zurückgibt.
Und Mobber gibt es wahrlich genug! Außerhalb und innerhalb der Katholischen Kirche. Und wohl auch in der Römischen Kurie. Sie alle wußten bislang genau: wenn ein Clemens
VII durch den
Sacco di Roma zwar zu Kapitulation und Flucht, nicht aber zum Rücktritt veranlaßt werden konnte, wenn ein Pius
VI trotz der Gefangennahme, Absetzungserklärung, Verschleppung und Demütigung durch Napoleon nicht zurücktrat, dann tritt ein Papst nie zurück. Man kann ihn umbringen (was mehrmals der Fall war), man kann ihn einsperren, man kann ihn aller Hilfsmittel berauben — aber man kann ihn nicht zum »Nicht-Papst« machen.
Doch, man kann! Ab jetzt. Man kann ihn — ist doch viel humaner als ein Giftmord! — durch Palastintrigen und Medienkampagnen zermürben. Man kann ihn fertigmachen. Man kann den Fels zum Bröckeln bringen ...
Es ist ein langer, allzu langer Artikel geworden, ich weiß! Ich fürchte: ein notwendiger. Und ich fürchte noch mehr: ein sinnloser. Und ich hoffe (gegen alle Hoffnung): ein grundloser. Die in ihrem Glauben an göttliche Vorsehungen und die Verheißungen Christi sicheren Gläubigen werden mir jetzt ein
»et portæ inferi non prævalebunt« entgegenhalten. Ich will ihnen diesen Glauben nicht nehmen, wenn ich ihn auch nicht ohne weiteres zu teilen vermag. Denn es gibt noch ein anderes Wort, ein fürchterliches, wenn man's bedenkt, das uns überliefert ist:
»Nemo mittens manum suam ad aratrum, et respiciens retro, aptus est regno Dei.«
Hoffen wir dennoch ...