Dienstag, 18. Februar 2025

"Europas Zeit ist vorbei" (D. Medwedew)

Gastkommentar
von Ostfriese
 
 

Wir dürfen auf der Grundlage der debitistischen Gesetzmäßigkeiten das gegenwärtige Geschehen nicht außerhalb der längeren historischen Zusammenhänge interpretieren.

Das Schwedisches Reich hielt von 1611 bis 1721 mehrere bedeutende Provinzen im Raum der Ostsee außerhalb des eigentlichen Kernlandes in tributäre Abhängigkeit. Es ging um das Dominium maris baltici, die Herrschaft über das Baltische Meer – die Ostseeherrschaft. Rund einhundertfünfzig Jahre von 1558 bis 1721 dauerte das russische Ringen um die Herrschaft im Baltikum. Es handelte sich um das Zeitalter der Nordischen Kriege, das als eine eigenständige Geschichtsepoche im frühneuzeitlichen Osteuropa betrachtet wird. Es gelang Russland erst nach dem dritten, Großen Nordischen Krieg, im Baltikum dauerhaft Fuß zu fassen. Zar Peters Niederlage bei Narwa im November 1700 war ein wichtiger Anlass für eine umfassende Modernisierung der russischen Armee. Damit war der Grundstein für die Reichshauptstadt St. Petersburg gelegt. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde dem Russischen Reich der Besitz der baltischen Provinzen nicht mehr streitig gemacht. Grund dafür war das preußisch–habsburgisch–russische Einvernehmen über die Bewahrung und Weiterentwicklung ihrer konvergierenden Machtinteressen. Dieser Allianz der drei schwarzen Adler fiel am Ende des 18. Jahrhunderts die polnische Adelsrepublik durch Teilung zum Opfer, wodurch Preußen der Aufstieg zur europäischen Großmacht ermöglicht wurde. Das Einvernehmen der drei Großmächte garantierte aber auch, dass die russische Herrschaft über die baltischen Provinzen nicht ernsthaft in Frage gestellt wurde.

Das frühneuzeitliche Russland hat diese Grenze überwunden, indem es sich nach Westen ausdehnte. Für Russland hatte dabei das Baltikum auch die Funktion einer Brücke zur westeuropäischen Kultur. In der gegenwärtig entstehenden neuen europäischen Ordnung fällt den baltischen Staaten wieder eine vergleichbare Funktion zu. Weil Russland auch langfristig auf eine stabile Brücke nach Westeuropa angewiesen ist, könnte dies ein Ansatzpunkt sein, um die Unabhängigkeit der baltischen Staaten dauerhaft im Rahmen einer gemeinsam mit Russland und den NATO-Staaten entwickelten gesamteuropäischen Friedensordnung abzusichern. [1]

Ökonomische Begriffe entstehen allesamt historisch. Die deutsche Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst (1729–1796) führte als russische Zarin Katharina die Große im Sinne des schweizerischen Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure das Wort Eigentum als Signifikant (Ausdrucksseite, Bezeichnende) überhaupt erst in die russische Sprache ein  ab 1793 war sie gleichzeitig auch Herrin der Stadt Jever aus meiner ostfriesischen Heimat!

Zar Alexander II. erließ am 3. März 1861 ein Manifest, das rund 23 Millionen gutsherrlichen Leibeigenen Russlands die persönliche Freiheit zuerkannte. Außerdem erhielten sie das Nutzrecht an dem Land, das sie bearbeiteten. Allerdings wurden sie dadurch nicht sofort zu Eigentümern. Zwar stand es ihnen frei, den Grund und Boden zu kaufen, was für die meisten Bauern jedoch kaum möglich war.

Die Bolschewiken haben das Privateigentum wieder gestrichen (Rückfall des privaten Eigentums an die Macht, die es überhaupt erst ermöglicht hatte  die Vor-Alexander-II.-Phase eben). Ergebnis: Erneut Verelendung, wie im real existierenden Sozialismus bestens zu betrachten.

Die russische Spitze kennt nicht nur die Geschichte, sondern ist auch in dottores Worten [2]  in den 1990er Jahren aus der Heinsohn/Steigerschen Sicht der Eigentumsökonomie intensiv zur Frage, welchen Sinn Privateigentum macht und was es vermag, gebrieft worden.

Gemäß den - naturwissenschaftlich gültigen - hermetischen Prinzipien der Schwingung und der Polarität - der Evolution & Involution und umgekehrt [3]  standen einerseits im Rahmen des Zerfalls der Sowjetunion die Potenziale (Land, Pfänder, Absatzmärkte, Verschuldungsfähigkeit, usw. usf.) der freiwerdenden Handlungsspielräume der osteuropäischen Länder den westlichen Ländern zur Verfügung und verstärkten den debitistischen Systemcode und dessen Sog-Kraft ihrer zwangsläufigen Expansion, während Russland andererseits gleichzeitig mithilfe der H/S Briefings über die Eigentumsökonomik den Weg in den machtbasierten debitistischen Kapitalismus fand, die geheime Aufrüstung beschritt und als naturgesetzmäßige Gegenreaktion sich nicht nur durch Gewalt zusätzliche Existenzmittel zu verschaffen, sondern auch die alten weitgehend bewahren konnte.

Der Westen vernachlässigte die Potenziale zur Absicherung seines zusätzlichen Einflusses und gönnte sich stattdessen die Friedensdividende, für die  gemäß Prof. Eva Kreiskys Erkenntnis [4]  gilt, dass der Krieg […]in der griechischen Antike als die Kunst [galt], sich durch Gewalt zusätzliche Existenzmittel zu verschaffen, während der Friede die Kunst war, das Errungene zu genießen.

Ich frage mich, ob sich das russische ZMS nach dem Ukraine-Krieg erneut dem Dominium maris baltici und der Wiederherstellung des alten zaristischen Reiches mit der Einverleibung des Gebiets der heutigen Staaten Estland, Lettland, Litauen im Baltikum zuwenden wird. @Ashitakas [5] & Paul C. Martins [6] Erkenntnissen, dass es der die Vorfinanzierung aller Entwicklungen notwendig machende Systemcode selbst ist und dass das Geld [..] ein Kriegskind [ist], nichts anderes. Ist es groß und stark, wird es zum Kriegsvater sind zu beherzigen.

Beide Weltkriege wurden 1914 und 1939 ausgelöst durch Sekundärereignisse an der Peripherie (Sarajevo, bzw. Danzig). Irgendwann sollte man doch auch einmal aus der Geschichte lernen.

Russland wird als zentralinstanzielles Gravitationszentrum im Sinne des Satzes Russland ist überall dort, wo Russen leben handeln. Noch bekannter ist die Charakterisierung aus dem Jahre 2005, dass der Zerfall der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts [7] sei.

Russland wird wohl versuchen, einen 60 Kilometer langen eigentumsmäßig unter eigener Kontrolle stehenden Suwalki-Korridor vom Oblast Kaliningrad nach Belarus zu verlangen, mit der Folge, dass die baltischen Staaten im Zangengriff Russlands landmäßig mit allen Konsequenzen von der EU getrennt werden – die Geschichte des Danziger Korridors lässt grüßen.

Olaf Scholz' Bekenntnis [8], dass ihn diese unglaubliche Betonung von Geopolitik im Denken des russischen Präsidenten geängstigt habe, zeigt Europas geopolitische Verwirrung und die fundamentale Unkenntnis von dottores machtbasiertem Debitismus.

Ich denke, dass das gegenwärtige Russland uns zu mehr Reflexion führen wird mit den Aussagen, dass die Auflösung der UdSSR die größte Katastrophe des 20. Jh. gewesen sei, und seinen immer wieder angekündigten Anspruch auf die ganze Ukraine einschließlich Transnistriens, das formal Teil der Republik Moldau aber heute defacto politisch und wirtschaftlich von Russland abhängig ist.

Welche Antworten hat die sich nicht allein selbst verteidigende EU auf die Herausforderungen der Zeit? Hat jeder einzelne Nationalstaat sie? Sind die Konsequenzen schon diskutiert worden, wenn die Frage in der Abhandlung Das Scheitern historischer Währungsräume: Kann sich die Geschichte auch für die Eurozone wiederholen? von Berthold/Braun/Coban, mit ja beantwortet werden muss?

Paul C. Martin im Jahr 2001 [9]: Ich halte den Versuch, ob es Sinn macht, aus der Vergangenheit zu lernen und das Gelernte von Generation zu Generation weiter zu reichen, damit sie eine Verbesserung der Lage aller Menschen, soweit ökonomisch definierbar, erreichen ließe, für gescheitert.

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[1] https://www.owep.de/artikel/187-baltikum-russlands-bruecke-nach-europa Das Baltikum: Russlands Brücke nach Europa
[2] https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=9610 Re: Staatsschwachsinn contra Turbokapitalismus? NEIN! verfasst von dottore, 12.08.2000, 13:24
[3] https://www.dasgelbeforum.net/index.php?id=628714 Leben ist Entsprechung, Ashitaka, Samstag, 21.01.2023, 13:05 @ Ostfriese 3094 Views
[4] https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/search.php?search=Prof.+Eva+Kreisky&ao=and... Re: Sparta, andere Geld-Märchen und die Realität der Griechen-Söldner verfasst von dottore, 19.07.2005, 14:36
[5] https://www.dasgelbeforum.net/index.php?id=528623 Was man machen kann, Ashitaka, Samstag, 16.05.2020, 15:29 @ Oblomow 3628 Views
[6] https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=324181 Re: Geld als Kriegskind und Kriegsvater verfasst von dottore, 03.07.2005, 14:13
[7] https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-von-thomas-jaeger-putins-gro... Thomas Jäger: Putins große „Russland-Tragödie“: Wer sie kennt, versteht alles, was er jetzt tut.
[8] https://internationalepolitik.de/de/europas-geopolitische-verwirrung Hans Kundnani: Europas geopolitische Verwirrung
[9] https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=82542 Alles eitel und Haschen nach Wind - siehe FAZ. LETZTES GRUNDSATZ-POSTING! verfasst von dottore, 23.09.2001, 14:34 
 
 

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