(11.12.1931-14.2.2013) verstarb vorgestern in London. Er zählte zu den bekanntesten Rechtsphilosophen unserer Zeit, und sein — höchst individueller — Beitrag zu dieser Disziplin wird sicherlich noch geraume Zeit nachwirken. Ich muß gestehen, daß mich manche seiner Thesen sehr ansprechen — bei anderen hingegen stehe ich kopfschüttelnd da und frage mich, wie ein so intelligenter Mann wie Dworkin gleichzeitig so »von des Gedankens Blässe angekränkelt« sein konnte! Einen (für Wikipedia-Verhältnisse ganz brauchbaren) Einstieg in seine Gedankenwelt findet man in seinem Wikipedia-Artikel, an dessen Gliederung ich mich auch hier orientieren möchte:
Kritik des Positivismus
Dieser Ansatz Dworkins ist für mich ebenso überzeugend wie sympathisch — denn die gegenteilige Ansicht (daß nämlich nur gesatztes Recht »wirkliches« Recht sei) ist leider ebenso verbreitet wie, genauer durchdacht, unerträglich in ihren Konsequenzen. Wenn mein Eigentum nur Ausfluß der Tatsache wäre, daß eine Rechtsnorm mir dieses Eigentumsrecht zubilligt, oder mein Anspruch darauf, für meine Arbeit eine Leistungsvergütung (Honorar, Lohn etc.) zu bekommen, durch eine Änderung positiver Rechtsnormen jederzeit beliebig bestritten werden könnte, dann ist gesetzgeberischer Willkür Tür und Tor geöffnet. Dann hilft auch nicht der Hinweis auf verfassungsmäßig gewährleistete Rechte — denn diese könnten dann (wenn auch mit erhöhten Konsensvoraussetzungen im Gesetzgebungsprozeß) durch eine Verfassungsänderung jederzeit ausgehebelt werden. Wer also nicht damit zufrieden ist, daß eine Zweidrittelmehrheit im Parlament plus Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit jederzeit bspw. das Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen könnte, ja sogar (nach Einhaltung völkerrechtlicher Kündigungsmöglichkeiten, da dies auch z.B. die Menschenrechtskonvention beträfe) das Institut des Privateigentums überhaupt, oder auch das Verbot der Sklaverei etc., der wird wohl einem schrankenlosen Rechtspositivismus mit berechtigter Abneigung gegenüberstehen.
Auch Dworkins Ansatz, in der konkreten Rechtsfindung zwischen der Anwendung von Rechtsregeln (d.h. im kontinentaleuropäischen Bereich also v.a. Gesetzen, Verordnungen, ständiger Judikatur etc.) und Rechtsprinzipien zu unterscheiden, ist überaus wichtig — wenngleich die von ihm als höchstes Rechtsprinzip angeführte »Gerechtigkeit« natürlich zu zirkulären Argumentationen führt: Recht ist, was gerecht ist. Na, wer hätte denn sowas bloß gedacht! ... ... Dennoch: wer nicht in blindem Dogmatismus seine Augen vor der Realität der Rechtsfindung verschließt, der wird nicht umhin kommen, die Unterscheidung Dworkins schon rein aus der Erfahrung heraus zu bestätigen. Kein Richter fällt seine Urteile nur aufgrund von Gesetzen, kein Anwalt argumentiert nur aufgrund irgendwelcher Paragraphen (von »watschen-einfachen« Fällen mal abgesehen, wo die Rechtsprinzipien so sonnenklar und allgemein akzeptiert sind, daß man darüber nicht einmal mehr ein Wort verliert!).
Der Idealtypus eines »Richters Herkules«, der sich die — wahrhaft herkulische! — Aufgabe stellt, für jeden konkreten Fall ein einzig richtiges — nein: das einzig richtige — Urteil zu fällen, ist freilich auch aus Dworkins Herkunft aus dem Common Lay System zu begreifen, in welchem eben — als rechtsphilisophische Prinzipien im Hintergrund vorausgesetzte, jedoch nie förmlich »kodifizierte« — Vorstellungen über Gerechtigkeit das tragende Fundament der Einzelfallgerechtigkeit bilden, welche sich im betreffenden Urteil über einen Fall jeweils konkretisiert. Daß Dworkin dabei intellektuellen Geschwätzigkeiten (sorry, ich kann's nicht anders nennen!) à la Habermas' »diskursiver Rechtstheorie« eine Absage erteilt, macht ihn mir nur sympathischer.
Dworkins Gedanken zum zivilen Ungehorsam sind durchaus erfrischend (außer für machtbewußrte Politiker und Verwaltungsjuristen — die kriegen vermutlich Hautausschläge bei dem Gedanken!): verstanden als — wenn verantwortungsbewußt wahrgenommen — legitimes Instrument in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft, sind sie ein kühner Ansatz zur Verteidigung individueller Freiheit gegen hyperthrophe Machtballungen bei legislativ-administrativen »Eliten« unserer Gesellschaft. Bis hierher kann ich Dworkin also durchaus einiges abgewinnen, in weiteren Punkten allerdings kann ich meine Vorbehalte, ja meinen offenen Widerspruch nicht verhehlen.
Egalitärer Liberalismus und Ressourcengleichheit
Indem Dworkin es als Aufgabe des Staates ansieht, das Prinzip der Gleichheit aktiv durch einen »sozialen Ausgleich« herzustellen, vertritt er ein für mich (und hoffentlich nicht nur mich!) unannehmbares Prinzip. Denn genau dies ist m.E. eben nicht die Aufgabe des Staates, sondern vielmehr, dafür zu sorgen, daß der freie Wettbewerb der individuellen Präferenzen nicht durch Wettbewerbsverzerrungen behindert wird. Das bewußt als böse Polemik gemeinte Wort gegen den sogenannten »Nachtwächterstaat«, der es dem Millionär ebenso wie dem Landstreicher ermöglicht, unter der nächsten Brücke zu schlafen, ist nämlich völlig richtig und bedeutet keineswegs einen Mangel dieses damit vermeintlich verächtlich gemachten »Nachtwächterstaates«, sondern bedarf nur der Vervollständigung in dem ebenso altliberalen Prinzip, daß es dem Millionär im Gegenzug jedoch ebenso nicht erlaubt ist, den Nachtwächter daran zu hindern, sich durch eigene Anstrengung eine wohnlichere Bleibe zu schaffen, als sie die nächste Brücke wohl bieten wird! Dworkin ist hier m.E. etwas unentschieden und unklar: einerseits sieht er sehr wohl ein, daß die Verantwortung für den Erfolg des jeweiligen Lebensentwurfs nicht an einen (für alles und jeden fürsorgenden) Sozialstaat »delegierbar« ist, andererseits ergeht er sich in gewagten Spekulationen über eine angeblich erforderliche »Ressourcengerechtigkeit« herbeiführende Besteuerungssysteme zum Ausgleich von natürlichen Nachteilen und Schicksalsschlägen — nein, ich sage es offen: der Gedanke kann mich nicht überzeugen! Letztlich landet man dann ja doch bei einem »progressiven« Steuersystem, das halt ebenso »progressiv« ist wie alle selbsternannten »Progressiven«: nämlich in progressiv hemmungsloserer Abzocke!
Dworkins strikte Ablehnung jeder Art von Zensur (weil diese eine totalitäre »Gleichschaltung des Denkens und Handelns« darstellt) ist hingegen uneingeschränkt zu begrüßen. In anderen ethische Fragen hingegen, so zu Euthanasie und Abtreibung finde ich seine Argumentationen teilweise etwas »durchwachsen«. Wer bei der Abtreibung einseitig nur die »Gewissensentscheidung« der Frau (in die daher nicht eingegriffen werden dürfe) thematisiert, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hingegen völlig ausblendet, verkennt damit m.E. die Komplexität des Sachverhaltes. Auch sein Eintreten für eine zulässige ärztliche »Hilfe zum Selbstmord« mag theoretisch besser argumentierbar sein, als die — bspw. in den Niederlanden — daraus sich ergebende, weitaus unethischere Praxis, dann aussieht. Wer dazu sehr subtile Argumente aus Dworkins (et al.) Feder lesen möchte, findet hier eine überaus ausgefeilte Darlegung.
»Ein integrer Verteidiger von Recht und Moral« betitelte »Die Presse« ihren Nachruf auf Ronald M. Dworkin. In der Tat: Integrität wird man ihm nicht absprechen können. Auch wer — wie ich — nicht alle seiner Meinungen teilen kann und will, wird der Konsistenz und Originalität seiner Thesen Achtung und Wertschätzung nicht versagen.Und was mehr könnte man zu Ehren eines verstorbenen Philosophen sagen?
Kritik des Positivismus
Dieser Ansatz Dworkins ist für mich ebenso überzeugend wie sympathisch — denn die gegenteilige Ansicht (daß nämlich nur gesatztes Recht »wirkliches« Recht sei) ist leider ebenso verbreitet wie, genauer durchdacht, unerträglich in ihren Konsequenzen. Wenn mein Eigentum nur Ausfluß der Tatsache wäre, daß eine Rechtsnorm mir dieses Eigentumsrecht zubilligt, oder mein Anspruch darauf, für meine Arbeit eine Leistungsvergütung (Honorar, Lohn etc.) zu bekommen, durch eine Änderung positiver Rechtsnormen jederzeit beliebig bestritten werden könnte, dann ist gesetzgeberischer Willkür Tür und Tor geöffnet. Dann hilft auch nicht der Hinweis auf verfassungsmäßig gewährleistete Rechte — denn diese könnten dann (wenn auch mit erhöhten Konsensvoraussetzungen im Gesetzgebungsprozeß) durch eine Verfassungsänderung jederzeit ausgehebelt werden. Wer also nicht damit zufrieden ist, daß eine Zweidrittelmehrheit im Parlament plus Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit jederzeit bspw. das Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen könnte, ja sogar (nach Einhaltung völkerrechtlicher Kündigungsmöglichkeiten, da dies auch z.B. die Menschenrechtskonvention beträfe) das Institut des Privateigentums überhaupt, oder auch das Verbot der Sklaverei etc., der wird wohl einem schrankenlosen Rechtspositivismus mit berechtigter Abneigung gegenüberstehen.
Auch Dworkins Ansatz, in der konkreten Rechtsfindung zwischen der Anwendung von Rechtsregeln (d.h. im kontinentaleuropäischen Bereich also v.a. Gesetzen, Verordnungen, ständiger Judikatur etc.) und Rechtsprinzipien zu unterscheiden, ist überaus wichtig — wenngleich die von ihm als höchstes Rechtsprinzip angeführte »Gerechtigkeit« natürlich zu zirkulären Argumentationen führt: Recht ist, was gerecht ist. Na, wer hätte denn sowas bloß gedacht! ... ... Dennoch: wer nicht in blindem Dogmatismus seine Augen vor der Realität der Rechtsfindung verschließt, der wird nicht umhin kommen, die Unterscheidung Dworkins schon rein aus der Erfahrung heraus zu bestätigen. Kein Richter fällt seine Urteile nur aufgrund von Gesetzen, kein Anwalt argumentiert nur aufgrund irgendwelcher Paragraphen (von »watschen-einfachen« Fällen mal abgesehen, wo die Rechtsprinzipien so sonnenklar und allgemein akzeptiert sind, daß man darüber nicht einmal mehr ein Wort verliert!).
Der Idealtypus eines »Richters Herkules«, der sich die — wahrhaft herkulische! — Aufgabe stellt, für jeden konkreten Fall ein einzig richtiges — nein: das einzig richtige — Urteil zu fällen, ist freilich auch aus Dworkins Herkunft aus dem Common Lay System zu begreifen, in welchem eben — als rechtsphilisophische Prinzipien im Hintergrund vorausgesetzte, jedoch nie förmlich »kodifizierte« — Vorstellungen über Gerechtigkeit das tragende Fundament der Einzelfallgerechtigkeit bilden, welche sich im betreffenden Urteil über einen Fall jeweils konkretisiert. Daß Dworkin dabei intellektuellen Geschwätzigkeiten (sorry, ich kann's nicht anders nennen!) à la Habermas' »diskursiver Rechtstheorie« eine Absage erteilt, macht ihn mir nur sympathischer.
Dworkins Gedanken zum zivilen Ungehorsam sind durchaus erfrischend (außer für machtbewußrte Politiker und Verwaltungsjuristen — die kriegen vermutlich Hautausschläge bei dem Gedanken!): verstanden als — wenn verantwortungsbewußt wahrgenommen — legitimes Instrument in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft, sind sie ein kühner Ansatz zur Verteidigung individueller Freiheit gegen hyperthrophe Machtballungen bei legislativ-administrativen »Eliten« unserer Gesellschaft. Bis hierher kann ich Dworkin also durchaus einiges abgewinnen, in weiteren Punkten allerdings kann ich meine Vorbehalte, ja meinen offenen Widerspruch nicht verhehlen.
Egalitärer Liberalismus und Ressourcengleichheit
Indem Dworkin es als Aufgabe des Staates ansieht, das Prinzip der Gleichheit aktiv durch einen »sozialen Ausgleich« herzustellen, vertritt er ein für mich (und hoffentlich nicht nur mich!) unannehmbares Prinzip. Denn genau dies ist m.E. eben nicht die Aufgabe des Staates, sondern vielmehr, dafür zu sorgen, daß der freie Wettbewerb der individuellen Präferenzen nicht durch Wettbewerbsverzerrungen behindert wird. Das bewußt als böse Polemik gemeinte Wort gegen den sogenannten »Nachtwächterstaat«, der es dem Millionär ebenso wie dem Landstreicher ermöglicht, unter der nächsten Brücke zu schlafen, ist nämlich völlig richtig und bedeutet keineswegs einen Mangel dieses damit vermeintlich verächtlich gemachten »Nachtwächterstaates«, sondern bedarf nur der Vervollständigung in dem ebenso altliberalen Prinzip, daß es dem Millionär im Gegenzug jedoch ebenso nicht erlaubt ist, den Nachtwächter daran zu hindern, sich durch eigene Anstrengung eine wohnlichere Bleibe zu schaffen, als sie die nächste Brücke wohl bieten wird! Dworkin ist hier m.E. etwas unentschieden und unklar: einerseits sieht er sehr wohl ein, daß die Verantwortung für den Erfolg des jeweiligen Lebensentwurfs nicht an einen (für alles und jeden fürsorgenden) Sozialstaat »delegierbar« ist, andererseits ergeht er sich in gewagten Spekulationen über eine angeblich erforderliche »Ressourcengerechtigkeit« herbeiführende Besteuerungssysteme zum Ausgleich von natürlichen Nachteilen und Schicksalsschlägen — nein, ich sage es offen: der Gedanke kann mich nicht überzeugen! Letztlich landet man dann ja doch bei einem »progressiven« Steuersystem, das halt ebenso »progressiv« ist wie alle selbsternannten »Progressiven«: nämlich in progressiv hemmungsloserer Abzocke!
Dworkins strikte Ablehnung jeder Art von Zensur (weil diese eine totalitäre »Gleichschaltung des Denkens und Handelns« darstellt) ist hingegen uneingeschränkt zu begrüßen. In anderen ethische Fragen hingegen, so zu Euthanasie und Abtreibung finde ich seine Argumentationen teilweise etwas »durchwachsen«. Wer bei der Abtreibung einseitig nur die »Gewissensentscheidung« der Frau (in die daher nicht eingegriffen werden dürfe) thematisiert, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hingegen völlig ausblendet, verkennt damit m.E. die Komplexität des Sachverhaltes. Auch sein Eintreten für eine zulässige ärztliche »Hilfe zum Selbstmord« mag theoretisch besser argumentierbar sein, als die — bspw. in den Niederlanden — daraus sich ergebende, weitaus unethischere Praxis, dann aussieht. Wer dazu sehr subtile Argumente aus Dworkins (et al.) Feder lesen möchte, findet hier eine überaus ausgefeilte Darlegung.
»Ein integrer Verteidiger von Recht und Moral« betitelte »Die Presse« ihren Nachruf auf Ronald M. Dworkin. In der Tat: Integrität wird man ihm nicht absprechen können. Auch wer — wie ich — nicht alle seiner Meinungen teilen kann und will, wird der Konsistenz und Originalität seiner Thesen Achtung und Wertschätzung nicht versagen.Und was mehr könnte man zu Ehren eines verstorbenen Philosophen sagen?
1 Kommentar:
Danke für Ihren Artikel! Dworkin hat nicht nur dem technokratischen Rechtspositivismus die dringend notwendige Gegenposition entgegengestellt. Mit seinem Buch "Law's Empire" hat er auch ein Werk vorgelegt, das unter allen heute sonst verfaßten als einziges das Zeug haben dürfte, ein juristischer Klassiker für alle Zeiten zu werden. Das will etwas heißen; denn juristische Klassiker gibt es sehr wenige.
Bei den meisten deutschen Juristen erfreut sich Dworkin freilich einer nachhaltigen Unbeliebtheit. Sie spüren, was er von ihrem Denkstil gehalten hat: nämlich gar nichts! Aber er hatte recht damit.
Schade, daß er sein Gedankenreich jetzt nicht mehr weiter ausbauen kann. Wir hätten noch viel davon gebrauchen können. Adäquate Nachfolger scheint es nicht zu geben, dafür um so mehr Gegner, die jetzt ungescheut den Kopf heben dürfen. Da bleibt vorerst nur eines: sein Andenken und sein Werk hochzuhalten.
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