Samstag, 15. Dezember 2018

Hundert notwendige Gedichte LI — Hans Carossa





  
Schutzgeist

Am Abgrund, wo dein großer Garten endet,
Rasten wir unter deinem letzten Baum.
Er steht am Rand; die Äpfel, die er spendet,
Gehören dir zur Hälfte kaum.

Du weißt es wohl und magst es nicht verhindern,
Daß Frucht um Frucht am Hang hinunterrollt,
Erwartet von des Ufers wilden Kindern,
Du hast es immer so gewollt.

Und weißes Haus und grüne Ländereien,
Sie sind nur Wolke, die dich leicht umgibt,
Ein Schutz, den milde Götter dir verleihen,
Ein Reich, das einst mit dir zerstiebt.

Nur deine Treue kann dich überdauern,
Die sich dem Werk der Freunde nie versagt.
Oft, wenn wir ein Gefährdetes betrauern,
Hast heimlich du das Rettende gewagt.

Du sprichst vom Höchsten so, als obs dir fehle.
Wir aber atmen dich nur in der Kraft
Und in den Strahlen deiner freien Seele ..
Du hältst nur Leidende für seelenhaft.

Wer sich in deine Weise fügt, gesundet
Vom Wahn der Sorge. Du bist innerlich
Voll Glanz der Heimatflur. Wer dich verwundet,
Kränkt einen Größeren als dich.



Heute vor 140 Jahren, am 15. Dezember 1878, wurde Hans Carossa geboren. Schon zweimal wurde seiner in dieser Serie »notwendiger Gedichte« gedacht. Als er das obige Gedicht — in einer Sammlung mit dem bezeichneten Titel »Stern über der Lichtung« — schrieb, tobte gerade der Zweite Weltkrieg. Hans Carossa, der zwar von den Nazis umworben wurde, bis auf die nominelle Präsidentschaft einer »Europäischen Schriftsteller-Vereinigung«, die ihm beim »Europäischen  Dichtertreffen« 1941 in Frankfurt aufgenötigt wurde, sich aber jeder Teilnahme am NS-Regime verweigerte, folgte eben seinem Stern. Und nur diesem ...

Selbst die ZEIT, die in obsessiver Nazi-Riecherei nun wirklich nicht ungeübt ist, kommt nicht umhin, zu konzedieren: »Im Kriegsjahr 1941 beugte er sich – voller Widerwillen – der Forderung, die Präsidentschaft der Europäischen Schriftsteller-Vereinigung bei dem „Weimarer Dichtertreffen“ der inner- und außerdeutschen, der freiwilligen und unfreiwilligen Kollaboranten zu akzeptieren. Im nächsten Jahr blieb er der peinlichen Veranstaltung fern.

Er spielte sich 1945, als Führer und Reich zur Hölle fuhren, nicht als ein Mann des Widerstandes auf. Hans Carossa aber hatte, wenn denn einer, das Recht erworben, von Existenz und Wahrheit der „inneren Emigration“ zu reden. Seine Tagebücher aus den ersten Jahren der nazistischen Diktatur beweisen es. Sie wurden nicht mit dem Blick auf die Nachwelt geschrieben, und sie dienten nicht der Rechtfertigung. Sie waren auf eine gewinnende Weise privat und dennoch nicht ich-besessen.«

Das etwas gönnerhafte Wohlwollen, das aus dem ZEIT-Artikel spricht, einmal beiseitelassend: es ist richtig, daß Hans Carossa, mit Dichtern wie Reinhold Schneider, Rudolf Alexander Schröder und Werner Bergengruen, sich wohl mit dem größten Recht als Teil jener »Inneren Emigration« sehen durfte, die nach 1945 ein Thomas Mann — vom sicheren Port seiner Villa in Kalifornien aus — mit arroganter Herablassung bespöttelte. 

Doch wesentlicher als die politisch-kleingeistige Splitterrichterei, das selbstgerechte Hirnblähungen der (inzwischen längst ziemlich Alt-)68er-Schreiberlinge wie Mehltau auf die allermeisten Blüten deutscher Literatur des 20. Jahrhunderts rieseln ließen, ist der innere Wert von Carossas Dichtung. 

Wenn ihm Thomas Mann ( sogar die ZEIT muß zugestehen: »wohl mit einem Gran graziös drapierter Herablassung«) bei einem Zusammentreffen auch riet: »Man solle sich nur Kleines vornehmen« — so wußte Carossa ihn im Rückblick auf sein Lebenswerk glänzend zu widerlegen. Still und gelassen ist nicht »klein«, sonst wäre ein Theodor Fontane mit seinen Romanen und Alterssentenzen auch nur ein »Kleinschriftsteller«, und da kann ich nur sagen: für wirklich jeden (!) Roman des Altmeisters Fontane lasse ich die bandwurmartig mäandernde Geschwätzigkeit Mann'scher Literaturproduktion dankend stehen.

Wer klassisch klare, formvollendete Prosa lesen will, ist jedenfalls mit Hans Carossas »Rumänischem Tagebuch«, oder seinem »Arzt Gion« weit besser gerüstet, als mit Werken des gönnerhaft ratenden Nobelpreisträgers. Ebenso vollendet (und unprätenziös!) wie Carossas Prosa ist seine Lyrik: wer von einem Hugo von Hofmannsthal an den Insel-Verlag  empfohlen wurde, hatte wohl vor dem strengsten und kundigsten Richter bestanden. Ein Grund, Hans Carossa wieder neu zu entdecken? Ja! Ja — und dreimal ja! 





2 Kommentare:

  1. "...die bandwurmartig mäandernde Geschwätzigkeit Mann'scher Literaturproduktion..." Danke, verehrter Penseur, danke, danke und nochmals danke!

    Ihr preußischer Piefke

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  2. Ein wunderbares Gedicht und zugleich eine Meditation.

    Und es sage keiner, diese Verse seien nicht zeitgemäß:

    "Wer sich in deine Weise fügt, gesundet
    Vom Wahn der Sorge."

    Dem Kommentar des preußischen Piefke schließe ich mich dankend an.

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