Mittwoch, 8. Februar 2017

Hundert notwendige Gedichte XXXVI und XXXVII: Eduard Stucken


Eduard Stucken, dessen auf diesem Blog bereits mehrfach gedacht wurde, war seinerzeit nicht nur ein bekannter Mythenforscher, Dramatiker und Romancier, sondern auch ein Lyriker von großer Qualität und bezwingender Eigenart. Seine unbestreitbare Fähigkeit zu virtuoser Reimtechnik und subtil berauschenden Wortkaskaden verbindet sich mit einer Gedankentiefe, die ihresgleichen in der Literatur jener Zeit nur selten anzutreffen war. In seinen »Romanzen und Elegien« (1911) findet sich im Zyklus »Triumph des Todes« das achte Gedicht, das mit der Gegenüberstellung von blühendem Leben und Todesgewißheit ein media vita in morte sumus von bezwingendem Reiz beschwört:

Wem strahlst du, Frühling? Ohne Grenze
Blaut Äther, spiegelt sich in Seen;
Schmelzfalter schweifen, Schwalbenschwänze;
Levkojen glühn und Azaleen;
In Farben schwelgt die Welt — für wen?
Die Marschall Niel, die fehlerlose,
Kann sie ihr eignes Antlitz sehn?
Für wen blühst du so prachtvoll, Rose?


































Du schönes Kind, kaum siebzehn Lenze
Hast du und keinen Gram gesehn;
Blumen im Haar, im Sinne Tänze,
Schmückst du dich, Feste zu begehn.
Wird er dein Rätselherz verstehn,
Der dich zur Mutter macht? Wird lose
Kelchblätter Sturmwind nicht verwehn?
Für wen blühst du so prachtvoll, Rose?

Gramvoller Winter weicht dem Lenze;
Wenn Jugend kommt, muß Alter gehn.
Mein Sterbezimmer seh ich, Kränze
Und Freunde flüsternd kommen, gehn;
Eine, die Blumen trägt ... für wen?
Er dort im Sarg hört kein Gekose
Und kann die Blumenpracht nicht sehn ...
Für wen blühst du so prangend, Rose?

Geh, Prinz, in schattigen Alleen,
Derweil’s im Herzen lenzt. Dem Lose
Kann Herz und Blume nicht entgehn: —
Für sich — nur einmal — blüht die Rose!

Doch auch das dritte Gedicht dieses Zyklus’ atmet tiefsinnige Vollendung, und es ist schwer zu entscheiden, welchem dieser beiden Gedichte der Vorzug zu geben sei:

Was ist der Sinn, wenn in der Hand
Wir Blütenzweig und Früchte halten?
Ist’s, weil die Seele sich verwandt
Den Blüten fühlt und Fruchtgestalten,
Und Zauberblätter will entfalten
Duftschwer vor Glück, — vor Glück, das schwand,
Wie Duft entschwand und Abendrot,
Wie Lieder, die zu früh verhallten?
Denn morgen ist die Blume tot.

Was ist der Sinn, wenn in der Hand
Die Bräute Hyazinthen halten,
Die Stirnen mit dem Myrtenband
Umkränzt — die Stirnen ohne Falten?
Ist’s, weil die Liebe bald erkalten
Und frieren wird, vom Sturm bedroht,
Wenn Wolken sich zusammenballten?
Denn morgen ist die Blume tot.

Wie sich Persephone im Land
Der Nacht schmückt mit Narzissen, halten
Wir weiße Blumen in der Hand
An einem Grab, zu dem wir wallten.
Der Toten Liebe will nicht alten
Und wächst empor aus Gräbern, rot
Wie Rosenglut, trotz Nachtgewalten.
Doch morgen ist die Blume tot.

Drum laß uns, Prinz, in Freude schalten
Und tanzen, küssen, weindurchloht,
In Armen Rosenmädchen halten, —
Denn morgen ist die Blume tot.

Zum besseren Verständnis eine kleine Anmerkung: die strenge Reimfolge (im vergleichsweise vokal-armen Deutsch ist es fürwahr keine Kleinigkeit, sie durchzuhalten!) gehört zu dieser der französischen Dichtung entstammenden Gedichtsform ebenso, wie die verpflichtende Anrede »Prinz« in der letzten Strophe — denn diese Gedichte durften ihrer erhabenen Kunstfertigkeit wegen nur an Personen königlichen Geblütes gerichtet werden.





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