Mittwoch, 29. August 2018

Hundert notwendige Gedichte XLVII: Max Dauthendey





Das Laub, das im Sommer so rauschend sang,
Das Laub ist von den Bäumen gestiegen.
Voll stiller Blätter, gelb und braun,
Liegen noch stiller die stillen Wege.

Wie Duft von tausend Küssen und Tränen
Schweben Nässen über den Blättern,
Über den tausend herben Blättern,
Die nun sterben.



Heute vor hundert Jahren ist Max Dauthendey an der Malaria gestorben — in Malang auf der damals niederländischen Insel Java, wo er — gerade auf einer Weltreise begriffen — nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Angehöriger eines kriegsführenden Staates von den — an sich neutral gebliebenen — Niederlanden interniert worden war. Wenn sein Wikipedia-Artikel vollmundig vermerkt:
Heute zählt sein Werk nicht nur zu den fränkischen Klassikern, sondern hat auch in der deutschen Literatur einen festen Platz.
dann weiß
man nicht, ob man weinen oder lachen soll. »Max Dauthen... — wer, bitte?« war nicht bloß einmal die verwirrte Rückfrage eines von mir mit seinem Namen konfrontierten Germanistik-Studenten. Der Impressionismus in der deutschen Literatur ist »töter als tot« ...

Das Gutenberg-Projekt des SPIEGEL (eines der wenigen löblichen Produkte dieses Systemmediums) macht einen Gutteil seiner Werke — längst vergriffen — wieder zugänglich. Ob das reichen wird, den Dichter aus der Schattenexistenz von Archiven und Gedenkartikeln zum Leben zu erwecken ...?





4 Kommentare:

  1. Als junger Mensch hatte ich, wenn ich mich richtig erinnere, auch ein Prosawerk von Dauthendey. Kann das sein? Es wäre unredlich von mir, jetzt schnell im Internet zu suchen. Das Buch blieb zusammen mit vielem anderen bei meiner überstürzten Ausreise aus der DDR - hehe, würde Hadmut Danisch schreiben - zurück.
    Dort muß ich im Nachwort gelesen haben, Dauthendey sei "an Heimweh" gestorben. Schade, daß Sie mir jetzt diese Illusion nehmen. Aber trotzdem danke für den Beitrag!

    Ihr preußischer Piefke

    P.S. Gar nicht dran gedacht, daß ich ja auch Bücherregale habe. Natürlich: zweimal Gedichte und einmal "Exotische Novellen".

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  2. Gottfried Benn schreibt In „Lebensweg eines Intellektualisten“ über eine "seltsame" Begegnung Dauthendeys mit Stefan George:
    „Dauthendey hatte dem Herausgeber der Blätter für die Kunst ein Gedicht als Beitrag eingesandt, er erhielt einige Tage danach eine briefliche Einladung, sich zu einer Besprechung über einige Fragen, die sich auf seine Gedichteinsendung bezögen, im Café Bauer einzufinden, wohin der Herausgeber und George kommen wollten; es war im Februar 1893. Als sich Dauthendey um halb zehn Uhr abends im oberen Saal des Cafés Bauer einfand, begrüßte ihn dort ein Herr, er war im Zylinder und englischen Gehrock erschienen, und er sagte ihm: Herr Stefan George wünsche ihm wegen einiger Punkte und Kommas, die in dem Gedicht vermieden werden sollten, zu sprechen. Dann kam nach einer Weile ein schlanker, ebenfalls mit Gehrock und Zylinder bekleideter Herr an den Tisch: George. Wir sprachen dann, fährt Dauthendey fort, über einige, wie es mir schien, ganz belanglose Dinge, über Satzzeichen, und schließlich stellte sich heraus, George wünschte in dem fraglichen Gedicht die Fragezeichen, wie es in der spanischen Literatur üblich sei, an den Anfang der Sätze gestellt zu sehen.“
    Benn fährt fort: „Fragezeichen an den Anfang der Sätze gestellt und dazu eine feierliche Zusammenkunft von drei Herren wie zu einem Duell oder einem Staatsakt, das war in gar keiner Weise Manier, auch in gar keiner Weise überspannt, es war der tiefste Ernst Europas beim Ausgang des Jahrhunderts, es war männlich, mönchisch, es war Schicksal. (…) Das Halten der Ordnung, das Erkämpfen der Form gegen den europäischen Verfall. (…)“

    An diese Episode dachte ich spontan, als ich heute die schönen Dauthendey-Verse las.
    „Töter als tot!“ so wird man – da bin ich sicher – die kulturellen Erzeugnisse unserer europäischen Gegenwart in noch einmal einhundert Jahren nennen (und dies ist keine pauschale Wertung der Gegenwartskunst und -kultur meinerseits), und ein herzhaftes „Gott ist größer“ zur Bekräftigung anfügen.

    So kann es niemanden wundern, daß mein persönlicher Favorit unter den Gedichten Max Dauthendeys „Zwei schwarze Raben“ sind:

    Zwei schwarze Raben

    Zwei schwarze Raben streichen
    geduckt am Acker hin.
    Ihr Flug ist wie voll Zeichen
    und voll geheimen Sinn.
    Als wollten Dämonen entweichen.

    Die Himmel plötzlich klopfen
    auf Steine und auf Staub,
    aus Wolken fallen Tropfen,
    und blättern in dem Laub.

    Wie finstre Tarnenkappen
    drin eins versteckt sich hält,
    fällt Rab’ und Rab’ ins Feld.

    Die Tropfen im Himmel stocken,
    die Raben hüpfen und hocken –
    Lieb’ und Hunger umlungern die Welt.

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  3. Cher »preußischer Piefke«,

    nun: Heimweh war der innere Grund, Malaria der äußere Anlaß seines Todes, würde ich sagen ...

    Er hatte sich — und man hatte sich auch von verschiedener Seite — bemüht, ihm doch die Heimreise nach Deutschland zu ermöglichen, aber wenn die Holländer stur sind, so sind sie sehr stur, habe ich mir sagen lassen.

    Dauthendey starb sicher an Heimweh — und an Sehnsucht nach seiner Frau. Wenn der Wikipedia-Artikel aus einem seiner Briefe an seine Frau zitiert

    „Ich halte den Druck bald nicht mehr aus. Es ist zu lange Zeit, ich bin nicht bloß von Dir, sondern auch von meinem Klima, von meiner Sprache, von meiner Heimat, von allen Erinnerungen, die ein Dichter braucht, und auch von den Gräbern getrennt. […] ich entbehre alles in jeder Sekunde.“

    ... dann will das schon was bedeuten.

    Was die Prosa Dauthendeys betrifft, habe ich zwar einige seiner werke in meiner Bibliothek, diese allerdings eher durchgeblättert als gelesen. Granz, wirklich ganz gelesen habe ich davon eigentlich nur die »Geschichten aus den vier Winden« — wovon mir die Erzählung »Zur Stunde der Maus« am nächsten ging.

    Ich gebe auch zu, daß ich mit vielen seiner Gedichte nicht viel anfangen kann: zu »geschmäcklerisch« sind sie für meinen Geschmack - aber es sind Juwelen darunter, fraglos! Wie z.B. auch die »Raben«, die Kollege Biedermann zitierte.

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  4. Verehrter Penseur, lieber Biedermann, Ihnen beiden herzlichen Dank für Ihre Worte,

    Ihr pr. P.

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