Und hier gleich noch das zweite Wildgans-Gedicht (passend zum Ferienbeginn):
Zueignung an die geliebte Landschaft
Nun steigen wieder die geliebten HügelAllmählich auf am Rand des weiten Blaus,Darüberhingewiegt auf zartem FlügelRuht Wolke neben Wolke freundlich aus,Der Kutscher hält, springt ab, versorgt die Zügel,Mit trauten Fenstern grüßt das alte Haus,Gastlich bereit dem eingekehrten Wanderer,Andacht umfängt mich, und ich bin ein Andrer.Und alles, was noch gestern mochte quälenUnd nachgewirkt auf einsam-langer Fahrt,Vermag nicht mehr zu wiegen und zu zählen,Ist aufgelöst in heitre Gegenwart;Mag dies Bequeme, jenes Buch auch fehlen,Mehr, als mir mangelt, bleibt mir hier erspart;Und leise schon in Klängen und GestaltenVersucht es sich zu regen und entfalten.Doch erst ein rascher Gang auf alten Wegen!begierig holt der Blick die Bilder ein,Liebkost die Wiesen, überprüft den SegenDer Frühlingssaat, ruht auf bemoostem Stein,Liest aus den Wolken Sonne oder Regen,Verfolgt den Vogelflug ins Blau hineinUnd deutet das bescheidenste Begebnis,Denn hier ist alles Zeichen und Erlebnis.Die Straße jetzt, die Bank, die lieben Mühlen,In fichtendunkeln Grund hineingebaut,Treibender Wildbach du, mit deinem kühlenKristallgeschäum und Silberschellenlaut,Du Übermut, du ungestümes Wühlen,Du Schimmelfohlen, das den Strang zerhaut,Schäum’, springe zu, doch brich mir nicht das alteNährmütterliche Rad, das Gott erhalte!Und nun zur Höhe! In den nadelglattenWaldboden greift bewehrten Schuhs Gewicht,Ein Schildhahn knattert auf aus nahem Schatten,Ein Reh bricht durch, schon wird es birkenlicht,Nun Krüppelhölzer, Honigduft und Matten,Aus weichem Grün starrt graues Urgeschicht,Schneehaldenwind kommt nördlich hergewettert,Das Land liegt da, der Gipfel ist erklettert.Da steh’ ich, felsverstemmt, und lach’ der StößeDes Sturmbocks, der mich unentwegt berennt,Und denk’ mir scherzend meine MannesgrößeVom Riesenmaß des Berges ungetrennt;Ich spiele Atlas! Braunen Nackens BlößeStrafft sich, als würde ihr das Firmament,Das eherne Gewölb der MyriadenVon kreisenden Gestirnen aufgeladen.O, diese Lust der unbedingten Kräfte,Die jeden Nerv und Muskel hier durchschwingtUnd aus dem Umlauf neubelebter SäfteZum Wipfel der Gedanken zeugend dringt!Da wird zum göttlich spielenden Geschäfte,Was sonst gehemmter Brust sich schwer entringt:Wie erdentrückt der Geist sich auch gebärde,Sein Ewiges kommt ewig aus der Erde!Ja, Erde du, dich hab’ ich lang vermieden,Vom Wahn und Reiz der großen Stadt betört!Wieviel sie auch dem Lernenden beschieden,Den Bildenden hat sie zumeist verstört;Erst schlichter Landschaft gnadenvoller FriedenHat seiner Seele Zuruf angehörtUnd ihn gelehrt, bekenntnisreiches Stammeln.In klare Formen ordnend einzusammeln.Nun dunkelt es; schon lösen hin und wiederSich Eulen schattenhaft von Baum zu Baum.Sanft führt der Weg zum Dorf der Menschen nieder,Schon Turmuhrklang, schon letzter Waldessaum,Nun Dachgedränge, Gärten, Stimmen, Lieder!Es trägt mich trunken heimwärts wie im Traum –Die Kerze brennt, das Auge fühlt nach innen:Mein Leben liegt vor mir! Ich kann beginnen.
»Hundert notwendige Gedichte« (geordnet nach Autorennamen): Theodor Däubler — Richard Dehmel — Annette Droste von Hülshoff — Joseph von Eichendorff — Albrecht von Haller — Conrad Ferdinand Meyer — Anton Wildgans (1)— Stefan Zweig.
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