Mittwoch, 7. Dezember 2022

»Herbst des Mittelalters«

von LePenseur
 
 
...ist der Titel, den das Hauptwerk des heute vor 150 Jahren geborenen niederländischen Kultur-historikers Johan Huizinga (gestorben knapp vor Kriegsende am 1. Februar 1945), trägt. Die Wiener Zeitung brachte über ihn einen lesenswerten Gedenkartikel in der letzten Wochenendausgabe: 
Totentanz und höfische Feste 
 
Ihn zu kennen, ist heutzutage wohl nur noch Eingeweihten vorbehalten. Dabei war der Niederländer Johan Huizinga einst nahezu ebenso bekannt wie sein Schweizer Vorbild Jacob Burckhardt. Dieser hatte ein halbes Jahrhundert vor ihm in seiner berühmtesten kulturgeschichtlichen Publikation schwelgerisch die Schönheit und den Glanz der "Kultur der Renaissance in Italien" gefeiert. Huizinga hingegen setzte sein nicht weniger sinnlich ansprechendes Geschichtsbild anderthalb Jahrhunderte früher an und verlagerte den Schauplatz von Florenz nach Flandern und in das Burgund.  
LePenseur darf sich demnach als »Eingeweihter« betrachten ... nun gut! Das Buch las ich bereits als junger Student und habe es seitdem — ja: wie oft eigentlich? — gefühlt unzählige Male in Teilen und einige Male in einem Zug zur Gänze wiedergelesen. Es gibt wenige historische Gesamtdarstellungen einer Epoche und Kultur, die so »lesbar« geschrieben sind: hier ist der im zitierten Artikel gebrachte Hinweis auf Burckhardt völlig berechtigt. Man könnte noch einen Leopold von Ranke hinzufügen, aus Österreich bspw. einen Hugo Hantsch oder Alfons Lhotsky und sicher noch manch anderen ... ... aber generell führt die höhere Gelehrsamkeit eines Autors meist zu sinkendem Lesegenuß.

Huizinga ist da eine bemerkenswerte Ausnahme: bei ihm ist das Mittelalter nicht jene dunkel-amorphe Masse, durch die man sich mühsam von Dynastie zu Dynastie wie durch einen Alptraum durchkämpfen muß, sondern eine uns zwar schon recht fremde, aber höchst ansprechende Kulturepoche, die fasziniert, ja sogar begeistern kann! Keineswegs dunkel steht es vor uns, sondern recht hell und klar, wenngleich (wie es der von Huizinga betrachteten Epoche entspricht) in einem milden, manchmal auch etwas trügerischen Abendlicht eines Epochenendes.

Was man über das Leben dieses großen Historikers wissen möchte, findet sich in einem übersichtlichen Wikipedia-Artikel, der weitgehend ohne zeitgeistige Desinformation und ideologische Einseitigkeiten zu informieren weiß. Wer die Fazination seines Meisterwerks »Herbst des Mittelalters« begreifen will, muß es lesen. Denn wie sonst  selten lohnt es sich, ein »Eingeweihter« zu werden ...

2 Kommentare:

  1. Werter Le Penseur,

    ich habe den Artikel gelesen....

    "Geschändete Welt"

    In brennender Sorge um die Lage Europas, wo inzwischen "das Böse so tief eingefressen ist", begann Huizinga seine 1933 erschienene zeitkritische Publikation "Im Schatten von morgen" mit einem Paukenschlag: "Wir leben in einer besessenen Welt. Und wir wissen es. Es käme für niemanden unerwartet, wenn sich der Wahnsinn urplötzlich in einer Raserei entlüde, die diese arme europäische Menschheit dumpf und apathisch zurückließe, noch mit surrenden Motoren und wehenden Fahnen, der Geist jedoch verschwunden. Verbreitet sind die Zweifel an der Unverbrüchlichkeit des Gesellschaftssystems, in dem wir leben. Fast alle Dinge, die uns früher einmal sicher und heilig erschienen, sind vor unseren Augen ins Wanken geraten: Wahrheit wie Menschlichkeit, Vernunft wie Recht. Da gibt es dysfunktional gewordene Staatsformen, Produktionssysteme, die vor dem Kollaps stehen. Da sind ungezähmt fortwirkende gesellschaftliche Kräfte. Der dröhnende Motor dieser gewaltigen Zeit scheint kurz davor zu blockieren."

    ....fand ich sehr interessant

    mlg Alexandra

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  2. Kommentar von Unbekannt gelöscht - Löschgrund Nr 5.

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