Freitag, 13. Juni 2014

Hundert notwendige Gedichte VI — Theodor Däubler

Was sind schon »Die Alpen« Albrecht von Hallers gegen das Bergmassiv des Däubler'schen Epos' »Das Nordlicht«! Keine Angst, hier wird jetzt nicht das »GröPAZ« (»größtes Posting aller Zeiten«) eingestellt, nur der Beginn und ein paar Splitterchen aus dieser, je nach Version (»Florentiner Ausgabe«, »Genfer Ausgabe«, und schließlich die bisher unpubliziert gebliebene »Athener Fassung«) langen bis elendslangen Dichtung. Es wird nicht viele Menschen geben (und LePenseur zählt auch nicht zu ihnen), die diese Monumental-Dichtung zur Gänze gelesen haben. Aber das ist auch nicht notwendig — es sind viele Abschnitte, die man überfliegt, ja überblättert, und einzelne, an denen man sich »festliest«, und die man nicht mehr missen möchte. So sicherlich den Prolog des Werkes, dessen Beginn hier, pars pro toto, zitiert sei:
Es sind die Sonnen und Planeten, alle,
Die hehren Lebensspender in der Welt,
Die Liebeslichter in der Tempelhalle
Der Gottheit, die sie aus dem Herzen schwellt.
Nur Liebe sind sie, tief zur Kraft gedichtet,
Ihr Lichtruf ist urmächtig angespannt,
Er ist als Lebensschwall ins All gerichtet,
Was er erreicht, ist an den Tag gebannt!
Ein Liebesband hält die Natur verkettet;
Die Ätherschwelle wie der Feuerstern,
Die ganze Welt, die sich ins Dunkel bettet,
Ersehnt in sich den gleichen Ruhekern.
Durch Sonnenliebe wird die Nacht gelichtet,
Durch Glut und Glück belebt sich der Planet,
Die Starre wird durch einen Brand vernichtet,
Vom Meer ein Liebeswind verweht.
Wo sich die Eigenkraft als Stern entzündet,
Wird Leben auch sofort entflammt,
Und wenn die Welt sich im Geschöpf ergründet,
So weiß das Leid, daß es dem Glück entstammt.
So muß die Erde uns mit Lust gebären,
Und wird auch unser Sein vom Tag geschweißt,
Können doch Sterne uns vom Grund belehren
Und sagen, daß kein Liebesband zerreißt.
Wir sehn das Leben uns die Jugend rauben,
Es ängstigt uns das Alter und der Tod,
Drum wollen wir an einen Anfang glauben
Und schwören auf ein ewiges Urgebot.
Doch ist die Ruhe blos ihr Ruheleben,
Nichts ist verschieden, was sich anders zeigt;
Und vollerfüllt ist selbst der Geister Beben,
Ja, alles die Natur, die sprechend schweigt!
Beständigkeit ist der Gewinn der Starre,
Doch es ereilt, zermürbt sie Ätherwuth,
Und blos der Geist ist da, daß er beharre,
Da er als Licht auf seiner Schnelle ruht.
Es sucht die Welt zwar immerfort zu dauern
Und sie umrundet drum den eigenen Kern,
Sie kann zum Schutz sich selber rings umkauern,
Doch ist ihr Wunsch nicht ewig, sondern fern.
Es mag die Welt das Weiteste verbinden,
Der Geist jedoch, der aus sich selber drängt,
Kann solche Riesenkreise um sich winden,
Daß überall sein Wirken sich verschenkt.
So sind die Welten immerfort entstanden,
Doch da sich Ewiges jedem Ziel entreißt,
Entlösten Sterne sich von Sternesbanden,
Was die Unendlichkeit im Sein beweist!
Ja Liebe, Liebe will sich Welten schaffen,
Blos Liebe ohne Zweck und ohne Ziel,
Stets gleich, will sie stets anders sich entraffen,
Und jung, zu jung, bleibt drum ihr ewiges Spiel.
Denn glühte durch das All ein Schöpferwollen,
So hätte Eine Welt sich aufgebaut,
Und traumlos würden Geister heller Schollen,
Im klaren Sein, von ihrem Dunkelgrund durchgraut.
Ich sah einmal in einen Regenbogen,
Er schien mir aller Stürme stilles Thor,
Dann ward ein Karren plötzlich durchgezogen,
Es zerrten Büffel ihn stets weiter vor.
Es gingen diese Thiere selbst des Weges,
Längst hatte sie der Mensch für sich betäubt,
– Es hieß das noch etwas, – wers kann, erwäg es –:
Ich sah hinweg, ins Licht, das nie zerstäubt!
Oh weiße Sonne, Deine goldenen Strahlen
Berauschen und erwecken meinen Geist,
Du bist die Arbeit, und mit heiligen Qualen
Trifft Dein Gebot mich, wenn das Herz vereist.
Däubler wird in der Literaturgeschichte als einer der ersten und wichtigsten Exponenten des vor dem Ersten Weltkrieg aufkommenden Expressionismus angesehen. Nun, verglichen mit anderen Autoren dieser Richtung nimmt Theodor Däubler hier eine etwas atypische Stellung ein — Expressivität ist nicht notwendig gleich Expressionismus.

»Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes pendelte der ungetümliche Wanderpoet (Ernst Barlach) 1931/32 wieder zwischen Italien, Griechenland, Deutschland und Österreich«, schreibt das Projekt Gutenberg über den Dichter. Heute vor 80 Jahren ging Theodor Däubler auf seine letzte Wanderschaft.



 

»Hundert notwendige Gedichte« (geordnet nach Autorennamen): Richard DehmelAnnette Droste von Hülshoff  — Joseph von EichendorffAlbrecht von HallerConrad Ferdinand Meyer

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