Von diesem großen, und (wie so oft) weitaus unterschätzten, österreichischen Dichter sind es jedenfalls zwei Gedichte, die ich nicht missen möchte. Zunächst sein sicherlich bekanntestes:
Ich bin ein Kind der Stadt
Ich bin ein Kind der Stadt – Die Leute meinenund spotten leichthin über unsereinen,Daß solch ein Stadtkind keine Heimat hat.In meine Spiele rauschten freilich keineWälder. Da schütterten die Pflastersteine,Und bist mir doch ein Lied, du liebe Stadt.Und immer noch, so oft ich dich für langeVerlassen habe, ward mir seltsam bange,Als könnte es ein besondrer Abschied sein.Und jedesmal, heimkehrend von der Reise,Im Zug mich nähernd, überläuft’s mich leise,Seh’ ich im Dämmer deine Lichterreihn.Und oft im Frühling, wenn ich einsam gehe,Lockt es mich heimlich raunend in die NäheDer Vorstadt, wo noch meine Schule steht.Da kann es sein, daß eine Straßenkrümmung,Die noch wie damals ist, geweihte StimmungIn mir erglühen macht wie ein Gebet.Da ist der Laden, wo ich Heft und Feder,Den ersten Zirkel und das erste LederUnd all die neuen Bücher eingekauft,Die Kirche da, wo ich zum ersten MaleZur Beichte ging, zum heil'gen Abendmahle,Und dort der Park, in dem ich viel gerauft.Dann lenk’ ich aus den trauten DunkelheitenDer alten Vorstadt wieder in die breitenGassen, wo all die lauten Lichter glüh'n.Und bin in dem Gedröhne und GeschrilleNur eine kleine, ausgesparte Stille,In welcher alle deine Gärten blühn.Und bin der flutend-namenlosen Menge,Die deine Straßen anfüllt mit Gedränge,Ein Pünktchen nur, um welches du nicht weißt.Und hab’ in deinem heimatlichen KreiseGleich einem fremden Gaste auf der ReiseKein Stückchen Erde, das mein eigen heißt.
Anton Wildgans:
17. April 1881 (Wien) – 3. Mai 1932 (Mödling, Niederösterreich). Dramatiker und Lyriker — 1908 Promotion zum Dr. jur., 1909-11 als Untersuchungsrichter tätig, danach freier Schriftsteller; 1921/22 und 1930/31 Direktor des Wiener Burgtheaters.
Hatte mit sozialkritischen Dramen wie »Armut« (1914) und »Dies Iræ« (1918), die naturalistische und expressionistische Stilmerkmale aufweisen, vor allem beim Wiener Publikum großen Erfolg, und war in der Ersten Republik einer der wenigen entschiedenen Verfechter der — sowohl kulturellen wie politischen — Eigenständigkeit Österreichs (»Rede über Österreich«, 1930).
»Hundert notwendige Gedichte« (geordnet nach Autorennamen): Theodor Däubler — Richard Dehmel — Annette Droste von Hülshoff — Joseph von Eichendorff — Albrecht von Haller — Conrad Ferdinand Meyer — Stefan Zweig.
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