Dienstag, 3. Januar 2017

Lange war es ihm nicht vergönnt gewesen



… die Hitlerei und den totalen Zusammenbruch Deutschlands im Zweiten Weltkriegs zu überleben: schon am 3. Januar 1947 starb er — zum siebzigsten Male jährt sich heute sein Todestag — zu Ichenhausen bei Günzburg, Bayern, in den damaligen Zeitumständen wohl unrettbar verloren, an Lungenkrebs: Ernst Hardt, deutscher Schriftsteller, Übersetzer, Theater- und Rundfunkintendant, geboren am 9. Mai 1876 zu Graudenz, in Westpreußen, wie Wikipedia vermerkt.

Auch er ein Fall eines „Ein-Stück-Autors“, was sein Überleben in Literaturgeschichten (und nur dort) sichert. Und dabei ist es — auch das ist in solchen Fällen nicht unüblich — keineswegs sein bestes, reifstes Werk, sondern ein inzwischen hoffnungslos veraltetes, und eigentlich schon zur Zeit seiner Entstehung eher zu Kopfschütteln als zu anderem anregendes Stück: „Tantris der Narr“ (mit seiner in geschmäcklerisch überladenem Jugendstil gehaltenen Titel-Vignette Fixstarter in Schulbüchern, um den „Symbolismus“ auch noch für den dümmsten Schüler so recht handgreiflich zu symbolisieren …).

Daß es 1908 gleich zwei Schillerpreise (den halben Staats- sowie den Volks-Schillerpreis) erhielt, rettet das Werk nicht: die Handlung holpert, gestelzte Dialoge schleppen sich endlos dahin. Das ganze ist vielleicht noch als üppigstes Ausstattungstheater, das keinen Kulisseneffekt, kein Samtpolster — oh, pardon: keine Sammetpfühle! — ausläßt, um die Figuren in Schönheit sterben zu lassen, inszenierbar, und nur ein symboltrunkener Max Reinhardt (mit wenigstens hundert Schwänen, oder so …) kann eigentlich derlei dramatische Totgeburten retten, die — durch kühne Textkürzungen auf ein Drittel zusammengestrichen — vielleicht als Libretto für eine gewitterschwüle nachromantische Oper à la SchrekersSchatzgräber“ taugen mögen.

Der unbestechliche P. Anselm Salzer spricht über den Dramatiker Ernst Hardt ein fürwahr hartes Verdikt aus:
Tantris der Narr (1908) lebt nur von dem Stimmungsreiz der Situation und den sinnlichen bildern der Sprache, in der der alte Sagenstoff gröblich entstellt geboten wird. […] Das Stück ist arm an Bewegung, reich an Stimmung, aber, um diese zum Ausdruck zu bringen, hätte einer der fünf Akte genügt. Verwundert fragt der Zuhörer wie der Leser: „Was ist an dem Drama preiswürdig?“ Etwa die dunkle, sinnbeschwerte Sprache, die jeder Anschaulichkeit entbehrt und der Lüsternheit ein schönes Kleid verleiht? […] Trotz aller an das Perverse streifenden Schwächen hat das Stück, dessen Eindruck einem erotisch-schwülen, die Sinne betäubenden Treibhausdufte gleicht, über fünfzig Auflagen erlebt.
(A. Salzer, Illustrierte Geschichte d. Deutschen Literatur, Bd. IV, S. 1668 — wo auch auf den Einfluß durch Eduard Stucken hingewiesen wird)

Wie so viele aus seiner Generation war Hardt dem magischen Einfluß Stefan Georges und Hugo von Hofmannsthals erlegen, und hat sich davon lange nicht wieder freimachen können (und vielleicht nicht einmal wollen). Daß er diesen Neigungen als „Mittelpunkt einer Künstlergemeinde“ (wie Wikipedia schreibt) am Hof des kunst- und wissenschaftsfördernden, weltanschaulich freilich sehr konservativen Großherzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach (der aber z.B. seine schützende Hand über den Biologen und „Monisten“ Ernst Haeckel hielt, den sein Großvater und Vorgänger als Professor nach Jena hatte berufen lassen) nachgehen konnte, spricht für eine heute oft übersehene Qualität vieler der „Duodez-Fürsten“ jener Vorkriegsjahre.

Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Hardt freilich als eher „fortschrittlicher“ Demokrat — und von der Rechten deswegen gleich als Linker, als „Sozi“ denunziert und bekämpft — am ehemaligen Weimarer Hoftheater (dessen Umbenennung in „Deutsches Nationaltheater“ er betrieb), und es war auch auf seinen Vorschlag hin gewesen, daß sich die verfassungsgebende Nationalversammlung in Weimar traf. Ohne Ernst Hardt also keine „Weimarer Republik“ — weiß das eigentlich noch einer?

Er war offenbar eine Person, an der man leicht Anstoß nahm, aber auch einer, der Fehden oft und gerne austrug, wenn sie sich anboten. Irgendwann reichte es ihm in Weimar, und auf Empfehlung des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Adenauer erhielt er die Intendanz des „Westdeutschen Rundfunks“. Einerseits betrat er als Rundfunkintendant mutig Neuland — denn das Medium war ja quasi „neu geboren“, andererseits brachte er seine Theatererfahrung und sein sensibles künstlerisches Gespür ein, und konnte so Rundfunkarbeit leisten, die in vieler Beziehung anderen Sendern jener Tage voraus war. Daß ein „Hörspiel“ nicht einfach ein „mit verteilten Rollen“ ins Studiomikrophon vorgelesenes Drama ist, erscheint uns heute selbstverständlich — doch das ist es aber dank Ernst Hardt. Rundfunk nicht bloß als „technisches“ Medium, sondern als Herausforderung zu neuen Kunstformen: das von Anfang an zu erkennen war Hardts große Leistung …

Daß die Nazis ihn nicht mochten, war vorhersehbar; sie hatten ihn schon vor 1933 auf ihrer schwarzen Liste.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Hardt als Leiter des Westdeutschen Rundfunks „beurlaubt“, erhielt Hausverbot und wurde nach einigen Wochen entlassen
… informiert die Wikipedia in ihrem recht detailverliebten Artikel über den Dichter. Sein Schicksal war danach „auf des Messers Schneide“, denn die Nazis versuchten ihm, mit einem Prozeß den Garaus zu machen, verhafteten ihn sogar — allerdings war um 1933/34 die Justiz noch nicht hinreichend „gleichgeschaltet“, als daß eine Anklage in jedem Fall schon eine Verurteilung bedeutete. Und in der Tat: in zwei der Anklagepunkte wurde Hardt freigesprochen, und der dritte wurde stillschweigend fallengelassen.

Ernst Hardt suchte um Aufnahme in die „Reichsschrifttumskammer“ nach (ohne das hätte er als Autor nicht tätig sein können), und hielt sich mit Zeitschriftenartikeln und Übersetzungen über Wasser. Daß sogar die Nazis ihm gegenüber etwas schlechtes Gewissen empfanden, ersieht man aus der Tatsache, daß ihm 1938 auf Veranlassung von Hermann Göring eine Abfindungssumme von RM 9.000,00 ausgezahlt wurde — das war zwar nicht die Welt, aber damals doch eine Menge Geld. Sicher waren es auch Persönlichkeiten wie Rudolf G. Binding (der nach Hardts Entlassung im März 1933 einen ebenso feinfühligen wie offenherzigen Brief an ihn richtete) und andere, die von den Nazis aus welchen Gründen immer hofiert (oder wenigstens wohlwollend oder taktisch klug toleriert) wurden, die im Hintergrund so manches für den fast Verfemten „regeln“ konnten.

1945 wollte Ernst Hardt — verständlicherweise — an seine Intendanz beim Westdeutschen Rundfunk anknüpfen. Seine fortschreitende tödliche Erkrankung war schneller freilich als die Mühlen der Besatzungsbürokratie. Es blieb ihm aber vergönnt, sein größtes, sein reifstes Werk, die Novelle „Don Hjalmar“ abzuschließen. Buchstäblich an sein Totenbett wurde ihm die erste Auflage dieses Meisterwerkes gebracht (Wolfgang Goetz beschreibt es in seiner wunderbaren Literaturgeschichte „Du und die Literatur“, und brachte mich damit auf die Spur, nach dieser Novelle überhaupt zu suchen — der unlesbare „Tantris“ hätte mich kaum dazu veranlaßt). „Don Hjalmar“ ist — und ich bin mit Superlativen eher vorsichtig — wohl eine der schönsten Novellen, die je in deutscher Sprache verfaßt wurden. Und, lassen wir Goethes klassische „Novelle“ (dem Rang des Dichterfürsten angemessen erlaubt sich kein Vergleich) einmal beiseite, wie viele „große“, wahrlich „vollendete“ Novellen haben wir denn in der deutschen Literatur? Ein paar Handvoll werden es vielleicht sein, aber wohl nicht mehr: so Kleists „Marquise von O...“, einige von C.F. Meyer, Storm, Heyse, aus dem 20. Jahrhundert bspw. einiges von Thomas Mann, Zweigs „Schachnovelle“ oder Bergengruens „Drei Falken“— und meines Erachtens zählt Ernst Hardts Novelle zu diesen „paar Handvoll“.

Erzählte Erzählungen haben immer etwas Mißliches, deshalb unterlasse ich die Inhaltsangabe, die — wie bei jedem wirklich bedeutenden Werk — ohnehin nur das Unwesentliche gäbe: den „Inhalt“, die „Handlung“ — als ob es nicht vor allem auf die Behandlung durch den Autor ankäme. Und in diesem Werk weiß man ohnehin recht bald, „wie’s ausgeht“ (denn es wird mit einer umfangreichen „Rückblende“ erzählt), aber das ist (anders als in einem Krimi) doch nicht das Entscheidende an einer Novelle! Das Entscheidende sind die Charaktere, und ihr — „Novelle“ eben: möglichst „neuer“, nie dagewesener — Konflikt mit der Situation, in die sie gestellt sind.

Nicht nur dem Mimen, nein, auch vielen Autoren flicht die Nachwelt keine Kränze. Und es verwelkt manch zu Lebzeiten geflochtener, und entlaubt sich nur allzu rasch. Doch sei es mir gestattet, mit diesem kleinen Artikel wenigstens ein kleines Lorbeerblatt als Weihegabe zum Totengedenken zu streuen: für den Dichter Ernst Hardt und für seinen „Don Hjalmar“, den man gelesen haben sollte, um moderne Wikinger, Land und Menschen Andalusiens, Atheisten, das Theater, Stierkämpfe … und das Leben überhaupt — verstehen zu können …

7 Kommentare:

  1. Danke
    für das kleine Lorbeerblatt.
    Auch für die vielen anderen historischen Abrisse und Würdigungen von inzwischen leider vergessenen, uminterpretierten, nicht mehr gewürdigten Persönlichkeiten, die in unserer Vergangenheit Wichtiges geleistet haben.
    Immer wieder interessant und anregend!

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  2. Danke, chère "Bloglesende",

    also liest doch jemand meine Kultur- und Gedenkartikel. Das freut!

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  3. Auch ich lese jeden Kultur- und Gedenkartikel, lieber Penseur. Gerade das macht Ihr Blog aus, die unnachahmliche Mischung aus kluger Kulturbetrachtung, frecher Politbeurteilung und bunten Bildern. Sehr bunten Bildern.

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  4. Cher (chère?) Anonym,

    höre ich da einen kritischen Unterton über die Buntheit der Bilder heraus, oder bin ich durch die katholibanischen Kreuzzüge gegen mich einfach schon überempfindlich geworden?

    Und auf welche bilder beziehen Sie sich eigentlich? Auf diese hier oder diese da? Oder gar auf jene da? U.A.w.g.

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  5. Keine Kritik. Die großen Realisten des späten 19. Jhrdts - fantastisch! Jederzeit eine Wiederentdeckung wert. Die großen Schönen von heute - der Penseur möge sie feiern. Denn wie kurz ist das bunte Fest und wie lang die graue Zeit danach.

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  6. 'Itsi bitsy Teenie Weenie' ...06 Januar, 2017 10:42

    Ha ha ...
    Die 'seehr bunten Bilder' meinen wohl die breite Mischung, die man bei Ihnen findet.
    Das reicht von Landschaftsaufnahmen, Gemälden, Zeitungstitelseiten, Youtube-Videos, Skulpturen, historischen und privaten Porträts von Künstlern, Politikern usw. usf. bis zu den Momentaufnahmen holder weiblicher Schönheiten (mal anmutig lächelnd, mal sich aufreizend räkelnd, mal übertrieben den Popo reckend), die Ihnen beim Kreuzknappen den Spitznamen "Bikini-Blogger" eingebracht haben.
    kreuzknappe.blogspot.de/Bikini Blogger Le Penseur bittet um Streichung
    Die Bilder sind [seit einem Fehlgriff] alle ästhetisch und nicht zu beanstanden (außer vielleicht das Popo-Bild vom 31.12.16 ein bißchen).
    Aber manchmal sind es einfach ein, zwei Bilder zuviel, wissen Sie. Für ein politisch-ambitioniertes-künstlerisches-libertäres Blog.
    Ich sitze auch mit meinem Kind vor dem Computer und wir lesen interessante politische Ausführungen, gerade abseits vom Mainstream. Bloß sie wundert sich dann, was die ganzen Bikini- und Dessous-Schnappschüsse dazwischen sollen.
    Ich scrolle dann immer ganz schnell zum nächsten Text ;-)

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  7. Chère (vermute ich mal) 'Itsi bitsy Teenie Weenie',

    nun, ich muß gestehen, daß ich beim Befüllen meines Blogs an alle möglichen Leser (und Leserinnen, damit sich diese nicht semantisch geringgeschätzt fühlen) gedacht habe, aber an die Konstellation "Mutter mit (früh-)jugendlicher Tochter" habe ich einfach nicht gedacht ... ... Wird schwierig!

    Bis zum Ende meines Urlaub (leider recht bald!) werden Sie halt weiterhin ganz schnell scrollen müssen, denn derzeit bastle ich an einem Gedenkartikel für einen vor 90 Jahren verstorbenen - und natürlich höchst "umstrittenen"! - Schriftsteller und Denker, den ich nächste Woche reinstellen will, und habe wenig Zeit und Animo, jetzt nebenbei auch noch auf "politisch-ambitioniertes-künstlerisches-libertäres Blog" zu machen. Man wird halt älter (Gott sei Dank! Das Gegenteil wäre weitaus unerfreulicher, wenigstens für mich, vermutlich auch für LaPenseuse ...), die Arbeitskraft bedarf der Erholung etc. etc.

    Ich fürchte, da müssen Sie noch einige Tage durchhalten. Aber es wird sicher wieder besser!


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