Das Gefühl der Geborgenheit, das Sie uns vorausgesagt haben, wenn wir erst einmal die Schwierigkeiten des Umzugs überwunden hätten, will sich durchaus nicht einstellen, im Gegenteil:
auch EndenichWas in den letzten Monaten gegen die Juden geschehen ist, erweckt begründete Angst, dass man uns einen für uns erträglichen Zustand nicht mehr erleben lassen wird.
Ist noch vielleicht das Ende nich!
Doch nicht dem Mathematiker, den gebührend zu würdigen mir die Fachkenntnis fehlt, gelten diese Zeilen, sondern dem Philosophen und Aphoristiker, auch dem Lyriker Paul Mongré, wie er sich bereits 1897 in seinem ersten nicht-fachwissenschaftlichen Werk „Sant' Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras“ nannte.
Zwar mochte der Titel den Verdacht auf einen Nietzsche-Epigonen wecken, zumal das Werk in Form einer Aphorismensammlung geschrieben war, aber schon eine kurze Lektüre dieses Buches macht klar: hier wandelt ein durchaus unabhängiger Geist durch, zugegeben, eine Landschaft Zarathustras. Nicht jeder, der einem Vorgänger nachgeht, ist bloß schattenhafter Wiedergänger! Wie es in einer Rezension des Werkes richtig heißt: „Von Nietzsche-Nachahmung keine Spur“.
Nahezu unheimlich prophetisch ist ein Satz, den der junge Philosoph über Nietzsches Nachlaßwerk „Der Wille zur Macht“ schrieb:
In Nietzsche glüht ein Fanatiker. Seine Moral der Züchtung, auf unserem heutigen Fundamente biologischen und physiologischen Wissens errichtet: das könnte ein weltgeschichtlicher Skandal werden, gegen den Inquisition und Hexenprozeß zu harmlosen Verirrungen verblassen.Sicher: manche Gedanken schließen an Nietzsche an, doch auch diese sind durchwegs originell entwickelt und verblüffen oft durch die paradoxe Brillanz ihrer Stilisierung, wenn Mongré etwa ausruft:
Auch das perpetuum immobile ist noch nicht erfunden, ihr Herren Reactionäre!oder kritisch gegen die Schulphilosophie und ihr wichtigtuerisches Brimborium ironisch anmerkt:
Beweise sind, bei allen Philosophen, das Verdächtige und überdies Langweilige, eine bloße Stubenhockerei aus mißverstandener Gewissenhaftigkeit, ein gelehrt sein sollender Formalismus, den der Autor sich so wenig schenken zu dürfen glaubt, so gern ihn der Leser schenken würde. Geistreich, unterhaltend, bisweilen grandios sind höchstens die philosophischen Gedanken, die aufblitzenden und schon wieder verschwindenden Perspektiven, jene Plötzlichkeiten und Abgrundsblicke, die uns mitten im Nebel etwas vom Hochgebirge verraten; aber der Nebel — die sogenannten Beweise — taugt nichts.Literarisch-stilistisch sind diese Gedanken irgendwo zwischen Nietzsche und Karl Kraus „verortet“, und damit ist einem Aphorististiker nun wahrlich keine niedrige Vergleichslatte gelegt!
Ein vorzüglicher Einführungs-Essay zum Band VII der großen Hausdorff-Edition, die vor einigen Jahren erschienen ist, und die das gesamte mathematische, aber eben auch philosophisch-essayistische und literarische Werk des Autors umfaßt, sei jedem zur Lektüre empfohlen, der sich mit der Gedankenwelt dieses ebenso originellen wie kritischen Denkers näher befassen will.
Als Schriftsteller verfaßte Hausdorff-Mongré eine Reihe von Essays, ein satirisches Theaterstück („Der Arzt seiner Ehre“), das in den 1920er-Jahren mehrfach erfolgreich aufgeführt wurde, und neben den in den Sant' Ilario eingestreuten Gedichten veröffentlichte er noch einen Lyrikband Ekstasen, aus welchem bspw. der junge österreichische Komponist Joseph Marx zwei Gedichte vertonte. Es ist die durchaus zeittypische Auseinandersetzung mit der Welt des Eros, mit „dem Weibe“, und mag heute in mancher Wendung epigonal und phrasenhaft erscheinen; doch damals hätte ein selbst literarisch so feinsinnig wählender (und bisweilen selbst dichtender) Komponist wie Marx wohl nicht etwas vertont, das es ihm nicht wert erschienen wäre, vertont zu werden. So sei eines dieser Gedichte, ein Sonett, an den Schluß des Gedenkartikels gesetzt:
Dein Blick
Dies Augenpaar von dunklem Glanz betaut,
Zu dem mich Liebe so erschütternd faßte,
Daß ich verdorrt gleich blitzgetroff'nem Aste:
Was ist's, das mir aus ihm entgegenschaut?
Das war kein Gruß, wie Gast ihm beut dem Gaste,
So glühend innerlich, so tief vertraut,
Ein Blick, der auf geheimstes Bündnis baut,
Erkennungszeichen der verwandten Kaste.
Denn eh' ich lebte, hatt' ich Brüder, Schwestern:
Wärst deren eine du mir beigegeben
Und weckt dem Blick mir ein verschollnes Gestern?
Ach, oder strahlt aus ihm ein fernes Morgen
Und eines Ungebor'nen Drang zu leben
Quält mich aus deinem Blick mit Liebessorgen?
Wieder so ein Apercu, das einen mit vielem versöhnt. Merci! Ihre literarische Bildung ist, mit Verlauf, für einen Juristen phänomenal und bewundernswert. Ich verdanke Ihnen viele wertvolle Anregungen.
AntwortenLöschenCher Monsieur Holtz,
AntwortenLöschenwomit "versöhnt"? Mit der Lage der Welt? Mit diesem Blog?
Nun, auch dieser Blog ist nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert*) ... damit muß man halt leben, wenn man hier lesen will.
Aber bisweilen bringt dieser Blog auch nette Artikel (optisch nette, vorzugsweise). Und das ist einigen auch wieder nicht recht ...
Und, übrigens: das "... für einen Juristen ..." möchte ich mal überhört haben! ;-)
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*) für möglicherweise mitlesende geheime Flatbrainer: das ist ein ironisch gemeintes freies Jesus-Zitat.