...wurde am 22. Dezember 1874, also heute vor 140 Jahren, in Preßburg geboren. Über den großen österreichischen Komponisten (der quasi so »nebenbei« noch einer der besten Cellisten im damaligen Wien, und ein herausragender Konzertpianist war!) informiert — erstaulich objektiv — der betreffende
Wikipedia-Artikel, hier soll eigentlich nur mit einigen Tonbeispielen »Appetit« gemacht werden auf einen der profiliertesten und eigenständigsten Komponisten der Spätromantik, der sich — fast so stark wie der ca. zehn Jahre ältere
Richard Strauss — durch seinen ganz unverkennbaren Personalstil aus der »breiten Masse« seiner Zeitgenossen heraushebt. Wenden wir uns zunächst dem Symphoniker zu:
Schon die I. Symphonie (in E-Dur) des 25-jährigen, die natürlich noch von Vorbildern und Einflüssen geprägt ist, ist ein vielversprechendes Werk, das durch ebenso gediegene thematische Arbeit wie durch glänzende Instrumentation heraussticht:
Die II. Symphonie in Es-Dur, 1913 fertiggestellt, verrät die tiefreichende Entwicklung, die der junge Komponist in etwas mehr als einem Jahrzehnt vollzogen hatte. Frei von allen »Jugendschlacken« ist sie formal wie melodisch und von der vielschichtigen Instrumentation schlichtweg ein Meisterwerk:
Bis auf das für meinen Geschmack ein wenig zu schnell genommene erste Thema — man vergleiche damit die (tontechnisch leider mehr als »bescheidene«)
Aufnahme von Milan Horvath mit dem ORF-Orchester — bringt der unermüdliche Neeme Järvi mit dem Chicago Symphony Orchestra die Symphonie mit der ihr gebührenden klaren Brillanz zum Leuchten (Sätze
2 und
3 hier). Besser wurden Schmidt-Symphonien vielleicht nur noch von Ludovit Rajter interpretiert (sieht man von der Interpretation der IV. Symphonie durch Zubin Mehta ab, s.u.) ...
Die III. Symphonie in A-Dur, vollendet 1928, wurde beim
Internationalen Schubert-Wettbewerb mit einem ehrenvollen, aber doch etwas enttäuschenden 2. Preis ausgezeichnet — den 1. Preis erhielt
Atterbergs 6. Symphonie, lassen wir dahingestellt, ob zu recht angesichts der (allerdings mehrfach geänderten) Vorgaben der Ausschreibung:
Originalwerke „in romantischem Geist, aus welchem Schuberts Musik, insbesondere seine unvollendete Symphonie, lebt" (New York Times, 23. Oktober 1927) bzw. „symphonische Werke in einem oder mehreren Sätzen, dargebracht als eine Apotheose von Schuberts lyrischem Genie und seinem Gedächtnis gewidmet“ (New York Times, 30. Oktober 1927).
Auch hier lohnt sich ein Interpretationsvergleich, z.B. mit
Paavo Järvi, die die Vorliebe seines Vaters für schnellere Tempi bei Schmidt geerbt zuhaben scheint ...
Die in deutlich kürzerem Abstand folgende IV. Symphonie, 1932-33 komponiert, mit »irreführendem« C-Dur bezeichnet: sie ist sicherlich das größte und tiefste symphonische Werk, das Franz Schmidt geschaffen hat. Es ist ein Kosmos von schmerzlicher Tragik, ohnmächtiger Wut und schmerzlicher Resignation — ein Werk, mit dem sich Franz Schmidt die Trauer über seine bei der Geburt ihres Kindes verstorbene Tochter von der Seele schrieb:
Zubin Mehta interpretierte mit den Wiener Philharmonikern dieses ergreifende Werk bislang wohl am intensivsten (hier die Sätze
2,
3 und
4).
Daß Franz Schmidt heute im Bewußtsein vieler Musikliebhaber nicht als der großartige Symphoniker, nicht als Schöpfer ebenso
virtuoser wie
anspruchsvoller Klavierkonzerte und geradezu
stupend makelloser Kammermusik, auch nicht wegen der bahnbrechenden
Orgelwerke, oder seines späten, meisterhaften
Oratoriums »Das Buch mit sieben Siegeln« bekannt ist, sondern als Komponist eines zwar qualitätvollen, aber halt eben doch bloß »Ohrwurmes«, des
Intermezzos aus seiner Oper »Nôtre Dame«, ist eine Ironie des Schicksals.
So stehe am Ende dieses Gedenkartikels die vermutlich letzte Komposition aus der Feder des schwer kranken Komponisten, der Schlußsatz seines Quintettes für Klavier (für die linke Hand), Klarinette, Violine, Bratsche und Violoncello, in A-Dur (1938), welches er für den einarmigen Wiener Pianisten
Paul Wittgenstein schuf, der nach der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland nach den USA emigrieren mußte, und das in seiner Mischung aus kontrapunktischer Sprödheit und Herbe, mit süßem Melos, und einer Unzahl von ungarischen, slawischen und wienerischen Volksmusikanklängen den wohl geeignetsten Epitaph des vielschichtigen Komponisten an der Grenze von Zeiten, Völkern und Kulturen darstellt:
Wunderbar, die 4. Sinfonie! Und ich - alter Berufsmusiker - kenne diese Musik überhaupt nicht! (Leider ziemlich schlimm das Englischhornsolo ab 8:50 "mein" Instrument..)
AntwortenLöschenCher thysus,
AntwortenLöschendarf man fragen, was an besagtem Englischhorn-Solo so »ziemlich schlimm« ist?
Lieber Denker
AntwortenLöschenTatsächlich lässt sich mein Verdikt mit Worten schlecht begründen ('empfindungslos' - 'starr' - irgendwie so?).
Ein Vergleich mit den Detroitern unter Järvi zeigt es aber doch recht deutlich: https://www.youtube.com/watch?v=-BqRY5V0oRI (6:58).
Beide Musiker spielen übrigens ein offenbar notiertes Forte, welches zur eigentlich harmlosen Pizzicato-Begleitung wenigstens im ersten Teil nicht recht passen will..
Trotzdem: schöne Feiertage und alles Gute im neuen Jahr!
Cher thysus,
AntwortenLöschenNatürlich höre ich den Unterschied, nur teile ich Ihre Bewertung nicht ganz. Der Englischhornist der »Wiener« spielt, ja ... starr ist vielleicht durchaus ein richtiges wort, aber gerade die wie in einem Alptraum erstarrte (Selbst-)Vergessenheit wird m.E. von Mehta so erschütternd »rübergebracht«, und berührt mich zutiefst, weil ich sie als »Schmidt-gemäß« ansehe. wenn es später im Satz (bei 11:50) dann emotioneller, weicher wird, dann »können« die »Wiener« auch — mit Wehmut, aber doch — »singen«.
Vielleicht ist es meine Prägung durch Mehtas Interpretation, die mich (was Schmidt's Vierte betrifft) sozusagen in Jugendjahren »deflorierte«.
Aber ach, wohin geraten wir da unversehens ...
Ich finde Järvis Interpretation gelungen, aber Mehta gefällt mir bei dieser Symphonie einfach am besten (abgesehen vielleicht von einer Uralt-Aufnahme unter einem Dirigenten Franz (?) von Morolt (?), die mich vor vielen Jahren erschütterte)