Sein Vater war der zu seiner Zeit als einer der virtuosesten Hornisten und sensible Interpret anspruchsvoller Solopartien allgemein — auch von seinem »Feind« Richard Wagner! — geschätzte Franz Strauss (der selbst für sein Instrument einige mehr als bloß »hübsche« Kompositionen verfaßt hatte). Seine Mutter, kränklich, und oft in Sanatorien zu langen Erholungsaufenthalten abwesend, entstammte hingegen der zwar fraglos vermögenden, aber eher kunstfernen Bierbrauer-Dynastie Pschorr — eine Genmischung, wie sie disparater kaum gedacht werden kann.
Es ist wohl nicht nötig, hier ein biographisches Porträt dieses Komponisten vorzulegen. Leben und Werk sind (mit den üblichen wertenden Voreingenommenheiten, wie sie fast allen, die in Deutschland zwischen 1933 und 1945 lebten, zugedacht werden) als bekannt vorauszusetzen. Weshalb also dieser Artikel? Nun — zwei Gründe: einerseits natürlich (wie so oft in solchen Fällen), um die Berechtigung der weitverbreiteten Voreingenommenheiten zu hinterfragen, andererseits aber (und das sei hier offen zugegeben): um einem der größten »Götter« meiner Jugendzeit ein gebührendes Opfer zu zinsen. Denn seine Musik war’s, die den Halbwüchsigen — der bislang mit monomanischer Besessenheit alle Oratorien, Kantaten, Konzerte, Orgel-, Cembalo- und sonstigen Instumentalwerke des großen Johann Sebastian Bach bis zum Abwinken, bis zum aufflackernden Familienkrach sich »hineinzog«, und alles, was nach 1750 komponiert worden war, mit geringschätzigem Achselzucken abtat — auf eimal überwältigte mit etwas ganz neuem, ganz anderem: es war nicht die (im gymnasialen Musikunterricht damals als Tonbeispiel für Spätromantik lehrplanmäßig vorgesehene) Begegnung mit dem »Till Eulenspiegel«, ja, ganz nett, aber doch irgendwie banal und plakativ im Vergleich zu einem x-beliebigen Bach’schen Contrapunctus aus dessen »Kunst der Fuge« …
Und dann, weil auf derselben Langspielplatte eingespielt, die Begegnung mit dem »Don Juan« op. 20.
Im Lebenswerk von Richard Strauss ist es schwierig, unter den vielen großartigen Beispielen nur einige herauszusieben, die für seine Kunst »typisch« sind, denn es gibt wohl nur wenige Komponisten, die einen so ausgeprägten, unverwechselbaren Personalstil aufweisen. Vom »Don Juan« des 24-jährigen bis zu den »Vier Letzen Liedern« des 84-jährigen zieht sich eine unverkennbare musikalische Linie, die in jedem Takt ihren Komponisten verrät, so sehr sich sein Stil von nervöser, hypersensibler Spätromantik des ausklingenden 19. Jahrhunderts, über die grenztonalen Experimente der Opern »Salome« und »Elektra« hin zu neoklassizistischer Abgeklärtheit sublimiert: es klingt immer nach »Strauss« — und dennoch (fast) immer überraschend anders.
Doch beginnen wir mit einem Frühwerk, das der große Sohn seinem Vater zu Ehren komponierte: noch nicht in seinem späteren Personalstil freilich, sondern in den gesicherten Bahnen einer deutlich konservativeren Romantik: beginnen wir also mit dem 1. Hornkonzert, das mit Richard Specht, dem bedeutenden Richard-Strauss-Biographen und großen Musikliebhaber und -experten, als »gehobene Kurkapellenromantik« zu charakterisieren, wohl etwas gehässig genannt werden darf:
So eine »Kurkapelle« — im konkreten Fall das NHK Symphony Orchestra mit dem einzigartigen Barry Tuckwell (bloß ein einziger minimaler »Gickser« zu Beginn des 2. Satzes dieses sauschweren Stücks!) als Solist — kann man sich wohl gefallen lassen (weiter geht's mit Sätzen 2 und 3) ...
Hier vielleicht ein kleiner Einschub aus Jugenderinnerungen: damals wurden die Konzerte von den Salzburger Festspielen immer groß aufgemacht auf Eurovision weltweit im Rundfunk gesendet, und zu Beginn und Ende der Übertragung wurde stets die imponierende Liste der Sender genannt, und zwar auf Deutsch, Englisch und Französisch (!), und an ihrem Ende ertönte stets feierlich: »... und Nippon Hōsō Kyōkai, der Japanische Reichsfunk« bzw. »... and Nippon Hōsō Kyōkai, the Japan Broadcasting Corporation« (an seine offizielle französische Bezeichnung kann ich mich nicht mehr erinnern) — das ist das »NHK« im Namen des obigen Orchesters. »Japanischer Reichsfunk« — imperialer Glanz strahlte aus dem bloßen Namen ...
Ein Solitär in Strauss' Schaffen ist seine »Burleske für Klavier und Orchester« (spätere Nebenwerke wie der Panathenäenzug, oder das Parergon zur Symphonia Domestica zählen nicht wirklich mit!), der er sogar eine »offizielle« Opus-Zahl verweigerte, und an die er später nicht so gern erinnert wurde — obwohl: all das, was den echten Richard Strauss ausmachen wird, das war da schon (und in Perfektion!) zu hören, und ganz unverwechselbar, trotz mancher »brahminischer« Anklänge da und dort.
Die Tondichtungen, die den Ruhm des jüngeren Richard Strauss begründeten und festigten, haben alle ihre Reize und Besonderheiten — manche erschließen sich dem einen leichter oder schwerer. Alle sind sie faszinierende Stücke eines Bogens: vom tastenden Versuch »Aus Italien«, op. 16, über die frühe, von Strauss nie wieder wirklich überbotene Meisterschaft des »Don Juan«, op. 20, das düster-heroische, stärker an Liszt gemahnende Pathos des »Macbeth«, op. 23, die Melodienseligkeit von »Tod und Verklärung«, op. 24, hin zum Übermut des »Till Eulenspiegel«, op. 28. Und weiter spannt sich dieser Bogen in die luftigen Höhe der Philosophie (»Also sprach Zarathustra«, op. 30) und der Windmühlen-Kämpfe (»Don Quixote«, op. 35), um aus diesen in die Sphäre erdnäherer Kämpfe um die geliebte Frau und gegen gehaßte Kritikaster (»Ein Heldenleben«, op. 40) einzutreten. Ganz auf dem Boden der Realität landen die »Sinfonia Domestica«, op. 53, und schließlich der Nachzügler »Eine Alpensinfonie«, op. 64 — aber da war Strauss schon längst zum gefeierten Opernkomponisten mutiert. Ein Nachzügler, in der Tat, und geringgeschätzt von Musikexperten (bzw. was sich dafür hält) — und doch ausgezeichnet durch eine der wenigen authentischen Aussagen des Komponisten über eines seiner Werke: »Ich wollte einmal so natürlich komponieren, wie eine Kuh Milch gibt« — und wie ihm das gelungen ist! Natürlich ist es ein Werk ohne »Tiefgang«, aber von einer fast bezwingenden Schönheit des Lobpreises der Alpenwelt:
Der Sensationserfolg der Salome — es wurden Extrazüge von Berlin nach Dresden geführt, um dem Berliner Publikum diese Oper bieten zu können, weil die königliche Oper in Berlin aus prüder Scheu, sich weigerte, ein »biblisches« Thema in modern-frei(zügig)er Gestaltung (noch dazu durch einen wegen »widernatürlicher Unzucht« verurteilten Textdichter) aufzuführen (an der Wiener Hofoper war es freilich trotz des engagierten Einsatzes von Operndirektor Gustav Mahler nicht anders).
Strauss war musikalisch unzweifelhaft »Avantgarde«, schaffte es aber auch in dieser Oper wieder, durch einige in Wohllaut schwelgende Themen (z.B. das »Kinder will ich haben …« der Chrysothemis) auch das nicht ganz so dissonanzfreudige Publikum anzusprechen. Dennoch: Strauss fühlte offenbar, daß er jetzt entweder den Schritt zum endgültigen Verlassen der tonalen Bindung seiner Musik setzen müsse, oder aber »ganz was anderes« …
Er entschied sich, in fruchtbarer Symbiose mit dem bei der Komposition der »Elektra« gefundenen, und ihm wahrlich »kongenialen« Textdichter Hugo von Hofmannsthal, einen anderen Weg zu beschreiten: zurück zu einer sangbareren Melodik, zurück zu einer Wiederbelebung der Klassik — eine Tendenz, die dann in den 1920er-Jahren durch damals unzweifelhaft »avantgardistische« Komponisten wie Igor Strawinski oder Sergei Prokofjew aufgenommen wurde. Das erste Werk, das Strauss und Hofmannsthal gemeinsam als Oper schufen (die Elektra war ja ein bereits fertiges Drama Hofmannsthals, das von Strauss quasi »mit Haut und Haaren« komponiert wurde), war 1911 (wieder in Dresden uraufgeführt) der »Rosenkavalier, op. 59. Wenn es auf einen Überraschungseffekt angelegt war — er hätte nach der schwülen Erotik der Salome, und der bluttriefenden, von den grellen Blitzen des Hasses und der Leidenschaft durchzuckten Düsterkeit der Elektra-Partitur nicht drastischer ausfallen können: eine in Walzern schwelgende, nostalgisch ein Wien der Epoche Maria Theresias beschwörende, heiter-oberflächlich scheinende Musik-Komödie.
Strauss war sich in seinem Briefwechsel mit Hofmannsthal jedenfalls alles andere als sicher, daß dieses Werk bei Publikum und Kritik auf positive Resonanz stoßen würde. Er rechnete mit einer Abfuhr durch die Kritik, die sich nach der Elektra wohl auf ein noch kühneres (das sie dann genußreich natürlich verreißen konnten!) Werk eingestellt hätte, und auf Verwirrung im Publikum, das von Richard Strauss (im Gegensatz zu Johann Strauß) keine schwungvollen Wiener Walzer erwartete.
Dennoch: die Uraufführung war wieder ein glänzender Erfolg, den Strauss nur mit der Ächtung durch die »progressive« Musikwelt zu bezahlen hatte. Arnold Schönberg & Co. schoben den bis dahin als »Avantgardisten« angesehenen Strauss verächtlich in die Kategorie der »Konservativen« ab. Der etwa gleichzeitige Tod Gustav Mahlers, der als quasi Säulenheiliger der sich bildenden »Neuen Wiener Schule« hier hätte vielleicht vermitteln können, besiegelte den eingetretenen Bruch. Wer weiß, wie bei einem längeren Leben Mahlers die Musikgeschichte weitergegangen wäre ... Ab nun aber war Strauss, wenigstens in den Augen der jüngeren Komponistengeneration, ein Exponent der alten Schule — um nicht zu sagen: des alten Eisens.
Und wieder ein kurzer Einschub, diesmal aus der Gegenwart: nichts Neues unter der Sonne! Im Rosenkavalier ist Oktavian eine Hosenrolle (»Weil Tenöre so schrecklich sind«, wie Strauss in einem Brief einmal meinte, und er hat in der Tat eigentlich keine einzige wirklich »große« Tenorpartie in seinen Opern geschrieben), also eine Frau, die als junger Mann sich im zweiten Akt als Kammerzofe verkleidet, um den gamsigen alten Baron Ochs auf Lerchenau zu ver-, und damit zu überführen: also eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Die Bartwurst (das ist kein Tippfehler für Bratwurst, bitteschön!), die unlängst die Botschaft von Kopenhagen verkündete und damit einen politisch korrekten Medienhype auslöste, ist im Grunde dasselbe, nur andersrum (pun intended): ein Mann, der eine Frau spielt, die einen Männerbart trägt. Freilich: die Musik ist bei Strauss besser. Und die ergreifende Botschaft des Schlußterzetts gültiger, als das TransLesBiSchwulen-Manifest, zu dem ein Schlagerwettbewerb unfunktioniert werden sollte.
OCTAVIAN unschlüssig, als wollte er ihr nach
Marie Theres'!
Marschallin bleibt in der Tür stehen. Octavian steht ihr zunächst, Sophie weiter rechts.
MARSCHALLIN vor sich, zugleich mit Octavian und Sophie
Hab' mir's gelobt, Ihn lieb zu haben in der richtigen Weis'. Daß ich selbst Sein Lieb' zu einer andern noch lieb hab! Hab' mir freilich nicht gedacht, daß es so bald mir aufgelegt sollt' werden!
seufzend
Es sind die mehreren Dinge auf der Welt, so daß sie ein's nicht glauben tät', wenn man sie möcht' erzählen hör'n. Alleinig wer's erlebt, der glaubt daran und weiß nicht wie - da steht der Bub' und da steh' ich, und mit dem fremden Mädel dort wird er so glücklich sein, als wie halt Männer das Glücklichsein verstehen. In Gottes Namen.
OCTAVIAN zugleich mit der Marschallin und Sophie, erst vor sich, dann Aug' in Aug' mit Sophie
Es ist was kommen und ist was g'schehn, Ich möcht' Sie fragen: darf's denn sein? und grad' die Frag, die spür' ich, daß sie mir verboten ist. Ich möcht' Sie fragen: warum zittert was in mir? - Ist denn ein großes Unrecht geschehn? Und grad' an die darf ich die Frag' nicht tun - und dann seh' ich dich an, Sophie, und seh' nur dich und spür' nur dich, Sophie, und weiß von nichts als nur: dich hab' ich lieb.
SOPHIE zugleich mit der Marschallin und Octavian, erst vor sich, dann Aug' in Aug' mit Octavian
Mir ist wie in der Kirch'n, heilig ist mir und so bang; und doch ist mir unheilig auch! Ich weiß nicht, wie mir ist. (ausdrucksvoll) Ich möcht' mich niederknien dort vor der Frau und möcht' ihr was antun, denn ich spür', sie gibt mir ihn und nimmt mir was von ihm zugleich. Weiß gar nicht, wie mir ist! Möcht' alles verstehen und möcht' auch nichts verstehen. Möcht' fragen und nicht fragen, wird mir heiß und kalt. Und spür' nur dich und weiß nur eins: dich hab' ich lieb.
Marschallin geht leise links hinein, die beiden bemerken es gar nicht. Octavian ist dicht an Sophie herangetreten, einen Augenblick später liegt sie in seinen Armen.
OCTAVIAN zugleich mit Sophie
Spür' nur dich, spür' nur dich allein und daß wir beieinander sein! Geht alls sonst wie ein Traum dahin vor meinem Sinn!
SOPHIE zugleich mit Octavian
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, daß wir zwei beieinander sein, beieinand' für alle Zeit und Ewigkeit!
OCTAVIAN ebenso
War ein Haus wo, da warst du drein, und die Leut' schicken mich hinein, mich gradaus in die Seligkeit! Die waren g'scheit!
SOPHIE ebenso
Kannst du lachen? Mir ist zur Stell' bang wie an der himmlischen Schwell!
Halt' mich, ein schwach Ding, wie ich bin, sink' dir dahin!
Sie muss sich an ihn lehnen. In diesem Augenblick öffnen die Faninalschen Lakaien die Tür und treten herein, jeder mit einem Leuchter. Durch die Tür kommt Faninal, die Marschallin an der Hand führend. Die beiden jungen stehen einen Augenblick verwirrt, dann machen sie ein tiefes Kompliment, das Faninal und die Marschallin erwidern. Faninal tupft Sophie väterlich gutmütig auf die Wange.
FANINAL
Sind halt aso, die jungen Leut'!
MARSCHALLIN
Ja, ja.
Faninal reicht der Marschallin die Hand, führt sie zur Mitteltür, die zugleich durch die Livree der Marschallin, darunter der kleine Neger, geöffnet wurde. Draußen hell, herinnen halbdunkel, da die beiden Diener mit den Leuchtern der Marschallin voraustreten. Octavian und Sophie, allein im halbdunklen Zimmer, wiederholen leise.
OCTAVIAN zugleich mit Sophie
Spür' nur dich, spür' nur dich allein und daß wir beieinander sein! Geht all's sonst wie ein Traum dahin vor meinem Sinn!
SOPHIE zugleich mit Octavian
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, daß wir zwei beieinander sein, beieinand' für alle Zeit und Ewigkeit!
Sie sinkt an ihn hin, er küßt sie schnell. Ihr fällt, ohne daß sie es merkt, ihr Taschentuch aus der Hand. Dann laufen sie schnell, Hand in Hand, hinaus. Die Bühne bleibt leer, dann geht nochmals die Mitteltür auf. Herein kommt der kleine Neger, mit einer Kerze in der Hand, sucht das Taschentuch, findet es, hebt es auf, trippelt hinaus.
Ein großartiger Text, Danke!
AntwortenLöschen"...von unseren Zeitgenossen, die durch die Gnade einer späteren Geburt nie in die Verlegenheit kamen ... ihren Untertanengeist, ihre Obrigkeitshörigkeit und ihre Dienstbeflissenheit gegenüber dem Zeitgeist in Frage stellen zu müssen."