Montag, 25. November 2013

Gründe, warum sich der ernsthafte politische Liberalismus gar so schwer im deutschen Sprachraum tut

... benennt — in bekannter Unverblümtheit — der österreichische Iwrtschaftsjournalist Christian Ortner in seinem soeben erschienenen Buch »Hört auf zu heulen« und zitiert darin u.a. Dieter Schnaas aus der »Wirtschaftswoche«:
[Der Liberalismus] ... beinhaltet weder irgendwelche Heilsversprechen auf eine bessere Welt noch irgendwelche Krücken für den Einzelnen, sondern will bloß den Freiraum und die Autonomie des Einzelnen möglichst weit abstecken – und es dann diesem Einzelnen überlassen, wie er diese Freiheit nutzt oder auch nicht.

„Der Konservativismus und die Sozialdemokratie kennen derlei Probleme nicht“, diagnostizierte der Autor Dieter Schnaas jüngst in der „Wirtschaftswoche“. „Beide politischen Stilrichtungen verfügen über akklamationsfähige Inhalte, beide haben den Menschen etwas Bejahbares anzubieten, eine Projektionsfläche – eine Identität. Die Konservativen schöpfen aus dem reichen Reservoir der (nationalen) Kultur und Geschichte. Sie bauen auf Bewährtes, hüten die Tradition und pflegen die alten Werte, sie achten die Erfahrung, hegen überlieferte Ordnungen und vertrauen auf die zivilisierende Kraft gewachsener Institutionen.

Noch besser liegen die Dinge bei den Sozialdemokraten. Sie haben immer die Zukunft, den Fortschritt und das große Ganze im Blick, die Gesellschaft, den Staat und den Weltfrieden. Sie erheben Utopia zum allgemeinen Menschheitsziel und dienen sich uns als Navigatoren auf dem Weg dorthin an; sie erobern täglich eine bessere Welt und eine schönere Zeit, immer unterwegs für uns und die gute Sache, angetrieben von der erneuerbarsten aller politischen Energien, der ,sozialen Gerechtigkeit‘.

Allein der Liberalismus, der lässt uns im Stich. Der hält uns hinein in die Welt, wie sie ist und wir sie vorfinden – und gibtuns einen Stups. Der erteilt uns keine Ratschläge und weist uns keine Richtung, der gibt uns keinen Wink, kennt weder Herkunft, Weg noch Ziel. Der Liberalismus ist eine einzige Zumutung. Er zwingt uns die Freiheit auf, irgendwas aus ihr zu machen. Sie zu nutzen oder nicht.“
(Hier weiterlesen)
Wobei ich Schnaas bezüglich des Konservativismus (ein Dank an Schnaas, daß er nicht das unsägliche »Konservatismus« gebraucht!) ein wenig widersprechen muß: dieser ist — wenigstens in meiner Sichtweise — v.a. eine Geisteshaltung der pragmatischen Skepsis gegenüber Patentrezepten, und weniger ein bloßes sentiment »... aus dem reichen Reservoir der (nationalen) Kultur und Geschichte«. Das kann zwar auch darin enthalten sein (und ist es hoffentlich auch bis zu einem gewissen Grad!), aber es ist letztlich nicht das Essentiale des Konservativismus. Und damit steht der Konservativismus eigentlich einem (libertär verstandenen) Liberalismus sehr nahe, und unterscheidet sich von diesem v.a. darin, daß er auch das »Konstruktivistische« eines liberal-libertären »Gesellschaftskonstrukts« — daß nämlich das Individuum an und für sich und seine jeweilige Freiheit der einzige Anknüpfungspunkt aller sozialen Interaktion sei, aus welchem Punkt heraus die kollektivistische Welt aus den Angeln zu heben wäre — als das enttarnt, was es ist: als Ideologie.

Der echte Konservative ist eben genau das nicht: Ideologe! Das macht ihn freilich auch so anfällig für die Vereinnahmung durch religiöse oder sonstige weltanschauliche »Systeme«, die seine Ungeprägtheit ausnutzen, und so wenig »attraktiv« für viele Jüngere macht (die meist ein »Ziel« vor Augen haben wollen — und, biologisch gesehen, auch haben müssen!), wogegen die Älteren (oder wenigstens die intelligenteren unter ihnen) den Selbstbetrugs-Charakter der meisten »Ziele« schon erfahren haben, und daher der — zugegebenermaßen wenig enthusiasmierenden — Skepsis eines »Was ist, wie es ist, ist immerhin — doch es kommt selten was Besseres nach« zuneigen.

Der Libertäre, der glaubt, daß aus der Abschaffung aller staatlichen Verfaßtheit auf einmal die große individuelle Freiheit erblühen werde, ist also ebenso mit (wenn auch anderen) ideologischen Scheuklappen unterwegs, wie der Sozialist, der alle Hoffnung aufs Kollektiv setzt, oder der Nationale, der sein Heil in der Volksgemeinschaft sucht, oder der Liberale, der im laissez-faire des Marktes das Schibboleth des richtigen Lebens erblickt.

All das ist auch wichtig. Und all das muß — trotz all seiner teilweisen Unvereinbarkeit! — zu verwirklichen getrachtet werden, in ständigen Kompromissen und Halbheiten. Und um das zu ertragen, braucht es einen gesunden Konservativismus, der bei jeder Änderung, bei jeder »Maßnahme«  fragt, ob sie wirklich nötig ist. Ein minimalistischer Ansatz, fraglos. Und nur »attraktiv« für den, der sich in seinem Leben eingebettet sieht in eine Vergangenheit, die ihn trägt, und eine Zukunft, von der er hofft, daß sie ihre Vergangenheit, d.h. unsere Gegenwart, nicht verfluchen muß.

5 Kommentare:

  1. "Kollektiv" u. "Volksgemeinschaft" meint (im Ergebnis) das Gleiche. Somit Sozialistisch. Das krasse Gegenteil von konservativ und liberal.

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  2. "Iwrtschaftsjournalist"

    Wechselstaben verbuchtelt?

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  3. Se its cshon zmielchi ägrerlchi, dass es Kmommnetatorne gbti, die nxi bsseeres zu tnu habne, asl sloche lppäshcine Tppifleher anzumckereen. - Udn knein Slibe zmu Inhlatlichne.

    :-(

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  4. "Schibboleth"

    O-o-oh!
    Woher muß man als Bildungsbürger diesen auserwählten Fachbegriff kennen?

    Wisssen Sie etwa auch, was der "geheime Garten" ist? ...
    :-)

    Fragt sich schon länger der kryptische
    Krzws

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