Montag, 13. Mai 2013

In Memoriam Alois Hudal

Vielleicht hat es einer der Leser dieser Artikelserie (Quantum refert ... – Teil ITeil IITeil IIITeil IV) bereits vermutet: jener »katholische Geistliche« in Rom war niemand anderer als der jahrzehntelange Rektor  der deutschen Nationalkirche in Rom, der »Santa Maria dell'Anima«, Dr. theol et rer.bibl. Alois Hudal, Titularbischof von Æla (oft auch nach italienischer Schreibweise »Ela«) und Träger des Ehrentitels »päpstlicher Thronassistent«, der heute vor genau 50 Jahren, also am 13. Mai 1963 (und nicht, wie die deutsche Wikipedia – wenigstens bis dato – unrichtig vermerkt: am 19. Mai 1963) 78-jährig verstorben ist.

Wer war aber dieser Mann? Jahrzehntelang galt er einfach als eine der dunkelsten Gestalten im katholischen Klerus, als »Nazi-Bischof«, als Organisator der »Rattenlinie« — eine durch und durch sinistre Erscheinung, der gegenüber sich die anderen umso heller abhoben: ob Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Priester oder katholische Laien – sie alle konnten dank des odiosen Bischofs gewissermaßen vor Gott treten und beten: »Herr, ich danke Dir, daß ich nicht bin wie jener ...«.

Nun — war Bischof Hudal wirklich jener Dunkelmann, für den er so gerne gehalten wurde und wird? Wohl nicht ganz, denn sogar die neonazistischer Neigungen recht unverdächtige deutsche Wikipedia kommt nicht umhin einzuräumen, daß eine Reihe von Vorwürfen (so z.B. eine Parteimitgliedschaft in der NSDAP oder die Fluchthilfe für Bormann oder Eichmann) reine Erfindung waren, mittlerweile längst durch Archivforschung widerlegt. »Zwar seien pauschale Verurteilungen nicht mehr zulässig, doch dürfe „Hudal nun ebenso wenig zum unverstandenen Märtyrer einer aussichtslosen, aber edlen Sache hochstilisiert werden“«, wird natürlich eilig (aus einer inzwischen nicht mehr zugänglichen Quelle von Radio Vatikan) hinzugesetzt.

Sehen wir uns einmal das Leben dieses Geistlichen an: es verlief bis zum Jahr 1933 ebenso erfolgreich, wie unspektakulär. Geboren in Graz am 31. Mai 1885, als Sohn eines Schuhmachers, studierte er Theologie und wurde 1908 zum Priester geweiht. 1911 promovierte er in Graz zum Dr. theol., daran schloß sich ein Studium am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom, wo er 1913 mit einer Dissertation über »Die religiösen und sittlichen Ideen des Spruchbuches« ein weiteres Doktorat für Bibelwissenschaften erlangte. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges habilitierte er sich als Privatdozent für alttestamentliche Bibelwissenschaft in Graz, wo er 1919 die entsprechende Lehrkanzel als ao. Professor, und ab 1923 als Ordinarius übernahm. Aus dieser Zeit stammte auch seine wiederholt aufgelegte »Einleitung in die heiligen Bücher des Alten Testaments«.

Im selben Jahr 1923 übersiedelte Hudal (unter Karenzierung von seiner Professur in Graz), zum päpstlichen Hausprälaten ernannt, nach Rom an die »Anima«, zunächst als Vizerektor, dann als Rektor-Koadjutor cum jure successionis, wo er sich erfolgreich um die wirtschaftliche, kulturelle und spirituelle Belebung dieser durch die Wirren des Ersten Weltkrieges sehr in Mitleidenschaft gezogene Institution bemühte, und wurde 1933 zum Titularbischof von Æla erhoben. Damit endete freilich seine kirchliche Karriere (mit Ausnahme der Verleihung des reinen Ehrentitels »päpstlicher Thronassistent«) — denn Hudal war mittlerweile in die Mühlen der vatikanischen Politik gegenüber Hitler geraten, als er 1937 ein Buch über »Die Grundlagen des Nationalsozialismus« veröffentlichte.

Dieses wird heute zwar gerne als Jubelpostille für eine Zusammenarbeit von Katholischer Kirche und NS-Regime dargestellt, doch ist es das denkmöglich? Hudal war immerhin jener Konsultor des »Heiligen Offiziums«, der Rosenbergs »Mythus des XX. Jahrhunderts« sowie weitere Bücher von diesem und Bergmann (von der »Deutschgläubigen Bewegung«) auf den damals noch bestehenden Index der verbotenen Bücher brachte, und verschiedene Sätze aus Hitlers »Mein Kampf« durch den Papst explizit zu verurteilen vorschlug! Weiters unterbreitete er (wie bereits in Teil II erwähnt) dem Papst den Vorschlag zu einem neuen »Syllabus der Zeitirrtümer«. »Nazis« sehen wohl anders aus ...

Hudal selbst machte allerdings — gestützt auf seine reichen Erfahrungen als Anima-Rektor, als der er ja Priester und Weihekandidaten aus dem ganzen deutschen Sprachraum zu betreuen hatte — eine deutliche Unterscheidung zwischen jenen (im Einfluß schwächer werdenden) Teilen des Nationalsozialismus, die aus konservativ-nationalgesinnten Bewegungen (also frühere DVP, DNVP, Nationalliberale etc.) kamen, und einem (seiner Meinung nach insbesondere ab 1933 immer stärker werdenden) »national-bolschewistischen« Flügel, der rabiat kirchenfeindlich und totalitär war, und schließlich einem Flügel um germanisierende Neu-Heiden vom Schlage Himmlers oder Rosenbergs, die zur Kirchenfeindschaft noch exzessive Rassengedanken vertraten. Die von ihm gezogene Konsequenz — nämlich: den konservativ-bürgerlichen Flügel zu stärken, indem die durch einen modus vivendi gesicherte Position der Kirche diese auch zu einer Stärkung desselben befähigte — mag als zu gutgläubig, ja als illusionär bezeichnet werden, aber sie ist sicher nichts, weshalb Bischof Hudal die Schmähung als »Nazi-Bischof« verdient hätte. Er selbst schreibt dazu in seinen »Römischen Tagebüchern« (S 149):
Es ist in letzter Linie die Form der Synthese der Religion — die ferne von rein politischen Zielen nur Dienerin der Seelen ist — mit dem nationalen und vom Marxismus geläuterten sozialistischen Programm für eine Wiedergeburt Europas; mit wenigen Worten, die Entpolitisierung von Religion und Kirchen und gleichzeitig des Entreligionisierung politischer Bewegungen und Parteien (Labour Party, Nordamerika), die ihr Programm auf sozial- und staatspolitische Aufgaben beschränken, die religiöse Einstellung aber dem Gewissen der einzelnen überlassen.

Sich für eine moderne Lösung der religiösen Frage innerhalb des NS eingesetzt zu haben, gilt heute nicht wenigen, die von der Niederlage Deutschlands Vorteil gehabt haben, als ein Verbrechen gegen die von ihnen verteidigte »Demokratie«. Allein in diesem Versuch sich geirrt zu haben, ist jedenfalls ehrenvoller als die Haltung so vieler Feide des großdeutschen Reiches, die hinter den Kulissen gearbeitet haben, um die militärische Front zu untergraben, den einheitsgedanken der Deutschen zu zerstören und schließlich ganz Deutschland in das größte Unglück hineinzustoßen. Welchen Dank haben sie geerntet? Und trotz allem wird die Synthese von Nation, Sozialismus und Autonomie der religiösen Bekenntnisse, welcher Form und Farbe auch immer, Programm, Problem und Frage der kommenden Jahre sein.
So wie Bischof Hudal nicht nur seitens des Vatikans für dieses Buch, wenn auch wegen seines bischöflichen Ranges nicht namentlich in der Öffentlichkeit, kritisiert wurde, auch mehr als deutlich die Ungnade des Heiligen Stuhles zu spüren bekam, so wurden auch seitens der Nazis seine damit verbundenen Bemühungen um eine Befriedung der kirchenpolitischen Situation vollständig unterlaufen, und darüber hinaus das Buch selbst faktisch aus dem Verkehr gezogen. Hudal war persona non grata im Vatikan nicht weniger als in Deutschland, und nur der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte wohl, daß er von seinem Posten in Rom abberufen wurde.

Doch Hudal wird nicht nur dieses Buch zum Vorwurf gemacht — es ist auch seine sicherlich nicht leicht nachvollziehbare Rolle als »Fluchthelfer von Nazis«.
Alle diese Erfahrungen haben mich veranlaßt, nach 1945 meine ganze karitative Arbeit in erster Linie den früheren Angehörigen des Nationalsozialismus und Faschismus, besonders den sogenannten Kriegsverbrechern zu weihen, die von Kommunisten und »christlichen« Demokraten verfolgt wurden. ... Hier zu helfen, manchen zu retten, ohne opportunistische und berechnende Rücksichten, selbstlos und tapfer, war in diesen Zeiten die selbstverständliche Forderung eines wahren Christentums, das keinen Talmudhaß, sondern nur Liebe, Güte und Verzeihung kennt.
... schreibt Hudal in seinen Erinnerungen, und genau dieses Zitat wird bspw. auch in der deutschen Wikipedia genüßlich angeführt, um zu insinuieren, daß Hudal ja doch ein Nazi war, wenigstens aber ein Nazi-Kollaborateur! Nun — wie so oft haben Zitate den Nachteil, aus dem Zusammenhang gerissen und verstümmelt zu sein. So auch hier, denn der fehlende Text bei den drei Punkten des Zitates lautet:
... und »christlichen« Demokraten verfolgt wurden, oft mit Mitteln, deren Methoden sich nur wenig von manchen ihrer Gegner von gestern unterschieden haben; obwohl diese Angeklagten vielfach persönlich ganz schuldlos, nur die durchführenden Organe der Befehle ihnen übergeordneter Stellen und so das Sühneopfer für große Fehlentwicklungen des Systems waren. Hier zu helfen ...
Man mag diese Einschätzung nicht teilen — aber will man denn ernstlich behaupten, daß es die Aufgabe eines Seelsorgers wäre, auch dann, wenn er durch persönliche Vergewisserung in konkreten Falle zu dieser Überzeugung gelangte, einen Verfolgten zu denunzieren, oder ihn gar auszuliefern? Und außerdem gehen dem Zitat im Original folgende motivierende Bemerkungen voraus, die den Absatz noch stärker in einem anderen Lichte sehen lassen:
So hatte der Krieg der Alliierten gegen Deutschland in letzter Schau sehr wenig mit Idealen zu tun. Er war kein Kreuzzug, sondern nur die Rivalität wirtschaftlicher Großkomplexe, um deren Sieg gekämpft wurde, ein sogenanntes »business«, während die Schlagworte Demokratie, Rasse, Religionsfreiheit und Christentum als Köder für die Massen benutzt wurden.
Alle diese Erfahrungen haben mich veranlaßt ...
(weiter s.o.)
Nun, so genau will man das alles doch überhaupt nicht wissen, oder? Da könnte doch der Gründungsmythos des Nachkriegseuropa, ja der Nachkriegs-Weltordnung, ins Wanken geraten — aber wie sehr die Schlagworte eben bloß Schlagworte waren, wurde von den Alliierten während des Krieges, wie auch nach diesem hinlänglich bewiesen. Wo war denn die »Demokratie« für jene Staaten und Völker, die von den Westalliierten der Sowjetunion als Kriegsbeute überlassen wurden? Wie glaubwürdig ist ihr Kampf gegen »Rassismus«, wenn in den USA und in britischen Kolonien bis in die 60er-Jahre eine Rassentrennungspolitik bestand, inklusive Mischeheverboten, die eine fatale Ähnlichkeit mit den Nürnberger Gesetzen unseligen Gedenkens aufwiesen? Wen scherte (und schert) in Washington oder an der Themse die Religionsfreiheit, sobald ein verbündeter Potentat im Nahen Osten durch solche Bemerkungen vergrätzt werden könnte? Ach, die Bitterkeit des alten Bischofs ist nur zu gut nachvollziehbar — wenn man sich bloß traut, den Blick ein wenig über den Tellerrand der offiziell kanonisierten — will sagen: machtpolitisch zurechtgelogenen — Geschichte jenes Zeitalters zu richten!

Alois Hudal wurde 1952 aus seinem Amt gedrängt, mit einfach hinterhältigen, letztklassigen Intrigen, bei denen sich das Staatssekretariat hinter den Episkopaten Deutschlands und Österreichs versteckte, und diese sich wieder aufeinander ausredeten, und allesamt auf »die Kreise im Vatikan«, »die Weltöffentlichkeit« und was dergleichen Nebulositäten mehr sind. Man stellte ihn zur Rede, weil er den todkranken und schließlich an einer Vergiftung (mutmaßlich durch den US-Geheimdienst) sterbenden Vizegouverneur von Polen Generalleutnant Freiherr v. Wächter betreut hatte, der ihm vor dem Tod sein tiefes Bedauern über die nicht gelungene Verständigung der Nazis mit der Kirche bekannte — der Substitut im Staatssekretariat, Mons. Montini (der spätere Papst Paul VI) zuckte peinlich berührt zurück, als Hudal ihm ins Gesicht sagte: »Wenn diese meine Handlung im Fall Wächter nicht Christentum, und zwar ein heroisches, darstellt, dann habe ich mich in der Wahl dieser Religion geirrt!«

Bischof Hudal selbst stürzte sich in Arbeit als Konsultor des »Heiligen Offiziums«, für welches er in eineinhalb Jahren ca. 300 Gutachten verfaßte, er schrieb daneben ein vielbeachtetes Buch über die »Österreichische Vatikanbotschaft 1806-1918« — um schließlich am Weihnachtsabend 1953 ein zutiefst verbittertes und zugleich überaus mutiges Schreiben an Pius XII zu schicken, in dem er zum Schluß hinsichtlich seiner Behandlung die offene Frage stellte:
Ist das also die Sprache des Evangeliums? Was haben einfache Priester von einem solchen System der Willkürherrschaft zu erwarten, wenn Bischöfe dieser Behandlung ausgesetzt werden? Ich zweifle aber nicht, daß ein letzter ewiger Richter einst gerecht und barmherzig alles beurteilen wird, was ich geirrt haben sollte, und jenes, was ich auch an positiven Leistungen in den langen Jahren meines Priestertums mit schwachen Kräften und reiner Absicht getreu meinem Wahlspruch »Ecclesiæ et Nationi«(1) zu vollbringen wenigstens bestrebt war. Schmerzerfüllt denke ich an die letzten Worte von Bonaiuti: »La Curia non ha un cuore«(2). Ich persönlich muß auch eigener Lebenserfahrung noch dazufügen: »Tante volte anche non giustizia«(3).

(1) »Der Kirche und der Nation«
(2) »Die römische Kurie hat kein Herz«
(3) »und oft auch keine Gerechtigkeit«
Bischof Hudals in diesem Abschiedsschreiben geäußertem Wunsch, ihn als Bischof und päpstlicher Thronassistent aus dem »Päpstlichen Jahrbuch« zu streichen, wurde nicht entsprochen, denn offenbar schreckten die maßgeblichen Stellen dann doch vor dem darin offen zutage tretenden Skandal zurück. Er zog sich in sein Landhaus in Grottaferrata, etwas außerhalb Roms, zurück, um seine Erinnerungen zu schreiben, die erst 1976 veröffentlicht werden konnten.

Sein unmittelbarer Nachfolger an der »Anima«, der spätere Weihbischof und Generalvikar von Wien, Dr. Jakob Weinbacher, der als Sekretär von Kardinal Innitzer unmittelbarer und leidtragender Zeuge der Stürmung des Wiener Erzbischöflichen Palais' am 8. Oktober 1938 durch HJ-Horden war und nun wirklich nicht als Freund der Nazis gelten konnte, schrieb ein herzliches Vorwort zu den »Römischen Tagebüchern« (aus denen hier zitiert wurde), in dem er u.a. meint: »... das Wertvolle dieser Lektüre liegt darin, daß ein Mensch aus unmittelbarer Erfahrung spricht. Manchmal überschwenglich, manchmal kritisch schildert er unbewußt das Milieu, in dem er jahrzehntelang stand.«

»Quantum refert, in quæ tempora vel optimi cujusque virtus incidat« — dieser Plinius-Satz, den Bischof Hudal in seinen Erinnerungen zitiert, traf wohl auf ihn zu, wie auf wenige andere ...

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