Samstag, 17. November 2012

1001. — Eine Geschichte der selbigen Nacht

Joseph Roth braucht dem Leser dieses Blogs wohl nicht vorgestellt zu werden. Wer — wie LePenseur — über diese unsere Welt und ihre mannigfachen Irrgänge nachdenkt, der wird wohl auch bei Autoren wie Roth landen — bzw. wohl schon längst gelandet sein, bevor er jemals diesen Blog ansteuererte ...

Beginnen wir daher die Geschichte der 1001. Nacht mit einem Zitat aus Roths letztem Roman, der »Geschichte der 1002. Nacht«:
Nach alter Gewohnheit ließ der Schah am Morgen den Obereunuchen rufen. Die Majestät schlürfte den gewohnten Karluma-Tee. Die Pfeife lehnte am Tisch, lang wie ein Wanderstab; sie schien von selbst zu rauchen.
»Gestern hast du die Welt gesehn!« begann der Schah. »Was meinst du? Ist sie verändert seit dem letztenmal, da wir hier waren?«
»Alles verändert sich, Herr«, antwortete der Eunuch. »Und alles bleibt sich dennoch gleich. Dies ist meine Meinung!«
»Hast du alte Bekannte vom letzten Besuch her wiedergesehen?«
»Nur einen, Herr, eine Frau!«
»Was für eine?«
»Herr, sie war deine Geliebte, eine Nacht. Und ich hatte die unermeßliche Ehre, ihr dein Geschenk zu überbringen.«
»Denkt sie noch an mich? Hat sie von mir gesprochen?«
»Ich weiß es nicht, Herr! Sie hat nicht von dir gesprochen.«
»Was hast du ihr damals geschenkt?«
»Die schönsten Perlen, die ich in den Kisten gefunden habe. Es war ein würdiges Geschenk. Aber...«
»Aber?«
»Sie hat es nicht behalten. Ich habe die Perlen gestern im Schaufenster eines Ladens gesehn. Ich habe sie zurückgekauft.«
»Und wie ist die Frau?«
»Herr, sie ist nicht wert, daß von ihr gesprochen werde.«
»Und damals? War sie damals mehr wert?«
»Damals, mein Herr, war es anders. Eure Majestät waren jünger, auch damals sah ich, wer sie war. Ein armes Mädchen. Nach den Sitten des Westens eine käufliche Ware.«
»Sie hat mir aber damals gefallen!«
»Herr, es war nicht dieselbe; es war nur eine ähnliche!«
»So bin ich also blind?«
»Wir sind alle blind«, sagte der Obereunuch.
Dem Schah ward es unbehaglich. Er schob den Honig, die Butter, die Früchte beiseite. Er dachte nach, das heißt, er gab sich den Anschein, als dächte er nach, aber sein Kopf war leer, ein ausgehöhlter Kürbis.
»So, also, so!« sagte er. Und dann: »Sie hat mir dennoch Freuden gegeben!«
»Wohl, wohl, das ist so!« bestätigte der Eunuch.
»Sag mir noch«, begann der Schah wieder, »sag's mir aufrichtig: glaubst du, ich irre mich, ich irre – in andern – wichtigeren Dingen auch?«
»Herr, wenn ich aufrichtig sein muß: es ist gewiß! Du irrst, denn du bist ein Mensch!«
»Wo gibt es Sicherheit?« fragte der Schah.
»Drüben!« sagte der Obereunuch, »drüben, wenn man tot ist.«
An dieses, das 32. Kapitel des Romans mußte ich denken, als ich mich daran machte, meine Geschichte der 1001. Nacht zu schreiben — oder, eigentlich: es ist keine Geschichte, und schon gar keine nächtliche, sondern eine Tagträumerei, segelnd auf den Wogen, wie der deutsche Reichskanzler Fürst Bülow es einmal ausdrückte, des blauen Meeres der Konjunkturistik, ich weiß ... ... also doch eine Geschichte, nämlich die

Geschichte der EUdSSR

Nicht freilich in dem Sinne, in dem das Kürzel »EUdSSR« nicht nur auf diesem Blog oft Verwendung fand! Als pejoratives Signet jener bedrohlichen Entwicklung der EU zu einem ebenso totalitären wie ineffizienten Gebilde, das seine Vorbilder in der Nomenklatura der Sowjetunion sucht und findet — einer Entwicklung, die jeder, der sehen will (oder vielmehr: der seine Augen nicht krampfhaft verschließen will), erkennt, wenn er nach Brüssel blickt. Oder auf eine der lokalen Satrapien dieses Systems. doch nicht darum solle es heute gehen, sondern um einen — kühnen, vielleicht allzu kühnen! — Entwurf. Um die Möglichkeit, eine

Europäische Union der Souveränen Staaten und Regionen

zu denken. Denn sie muß wohl zuerst gedacht werden, ehe sie — denkmöglich — Realität werden kann — also denken wir , träumen wir ...

Man kennt das alte Wort vom »Europa der Vaterländer«, scheinbar hoffnungslos überholt durch Maastricht-Kriterien und Brüsseler Politruk-Phantasien von irgendwelchen »United States od Europe«, die im Kern doch nur eines bedeuten sollen: mehr Macht für Brüsseler Apparatschiks, möglichst ohne lästige Wahlen und derlei Firlefanz. Die flotte Einsetzung von »Expertenregierungen« in Italien und (zwischendurch) Griechenland gab uns schon den rechten, will heißen: links-etatistisch-korporatistischen Vorgeschmack: Big Business Meets Big Government — die einen finanzieren die Machtstrukturen, die anderen schützen die Bankster dafür vor der Revolte der Abgezockten.

Manches — doch bei weitem nicht alles! — dieser meiner Überlegungen hat bereits vor über zwanzig Jahren der österreichische Liberale und erste Obmann des »Verbandes der Unabhängigen«, Herbert Kraus, in der Euphorie des Jahres 1990 vorgedacht, als er ein schmales, doch umso lesenswerteres Büchlein unter dem griffigen Titel »Großeuropa. Eine Konföderation vom Atlantik bis Wladiwostok« veröffentlichte. Das Buch verschwand blitzartig in der Versenkung: ein selbstbewußtes, ein seiner Traditionen und Werte bewußtes Europa unter Einschluß von Rußland, vom Atlantik bis nach Wladiwostok — das war nun wirklich nicht nach dem Geschmack des amerikanischen East-Coast-Establishments. Und wenn Politik die Fortsetzung der Bankgeschäfte von Goldman Sachs und Morgan Stanley mit anderen Mitteln sein soll — und das soll sie nach dem erkennbaren Willen der Eurokraten offensichtlich sein, wie die Einsetzung von Goldman Sachs Managern à la Monti & Co. in Regierungsämter beweist —, dann sind Europa und seine Untertanen eben bloß der — erhofft — fruchtbare Ackerboden, auf dem die Dividenden jener reifen, die »das Geschäft Gottes« besorgen. Oder eben, was dasselbe ist, denn ihr Gott ist das Geld, ihr Geschäft machen wollen. Und das nicht zu knapp ...

Sicherlich: in manchem muß ich Herbert Kraus entschieden widersprechen, so z.B. wenn er für eine Einbeziehung der Türkei in dieses »Großeuropa« plädiert, wobei freilich anzumerken ist, daß die Türkei — damals noch immer irgendwie kemalistisch geprägt, und mußte Kraus die inzwischen so bedenkliche Entwicklung damals schon vorhersehen können? —, die Türkei also des Jahres 1990 nicht entfernt mit der heraufdräuenden islamischen Republik des GröTAZ verglichen werden kann. Herbert Kraus ist freilich, was seine wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen betrifft, für mich (und wohl nicht nur für mich) viel zu sehr »Ordoliberaler« und »Sozialliberaler«, als daß er auf meine bedingungslose Zustimmung rechnen dürfte!

Dennoch: sein Konzept eines »Großeuropa« verdient Beachtung. Ist es doch mit seinem geradezu obstinaten Beharren auf »Subsidiarität« der weitaus erfreulichere Gegenentwurf zu alldem, was uns die Eurokraten in den letzten zwanzig Jahren Stück für Stück aufs Auge zu drücken verstanden!

Vergessen wir weiters auch nicht, daß bei allen Schwächen des sozialistischen Systems (die wir im »Westen« durch Sowjet- und DDR-sozialisierte Regierungschefs der Sorte Merkel längst schon implementiert bekamen) eine Reihe von Überlegungen einen von der Theorie her durchaus prüfenswerten Ansatz enthalten — so z.B. in der Staatslehre (die freilich in der Praxis durch die Alleinherrschaft einer KPdSU mit ihrem »demokratischen Zentralismus« völlig ausgehöhlt und bedeutungslos wurde). Erinnern wir uns doch daran, daß bspw. die Doktrin der sowjetischen Saatslehre ganz selbstverständlich von einem Einstimmigkeitsprinzip bei internationalen Organisationen ausging (auch wenn in der Praxis die »eine Stimme« dann aus dem Kreml erklang — doch müssen wir das denn übernehmen?) und so vorteilhaft vom Zug zur Mehrheitsentscheidung absticht, der die EU immer mehr zum Spielball von populistischen Mehrheitsinteressen, die gezählt, jedoch nicht gewogen werden, macht.

Wie also könnte ein solches »Großeuropa«, dem ich gern den provokativen Namen »EUdSSR« in positiv gewendetem Sinne geben möchte, aussehen?

1. Umfang und Grenzen:

Daß »Europa« mehr ist als die EU, braucht nicht lange begründet zu werden: die gemeinsame — friedliche wie kriegerische — Geschichte beweist es. Und es ist eben (so anstößig es für heutige Ohren klingen mag!) eine Geschichte der gemeinsamen christlichen Tradition. Wer das leugnet, der möchte offensichtlich gezielt ein Multikultistan etablieren — mit geschichtslos atomisierten Einzelindividuen, die ebenso leicht zu beherrschen wie zu manipulieren sind. Man verstehe mich nicht falsch: meinem skeptischen Rationalismus liegt eine Schwärmerei für ein »christliches Abendland« fern! Aber das heißt doch nicht, das Offensichtliche übersehen zu wollen. Und das ist nun einmal die gesellschaftsbildende (sic!) Individualethik (sic!), die sich in dieser Form eben im Christentum über die Jahrhunderte herausbildete, und die sich fundamental bspw. vom Konzept der Umma, aber auch von den ethisch-gesellschaftspolitischen Systemen Buddhas oder Konfuzius' unterscheidet. Wer politisch korrekt nun neben dem Christentum auch noch das neuzeitliche Judentum anführen möchte, mag das tun — nur wedelt hier, angesichts der eindeutigen Beeinflussung dieses Judentums, das sich seit der Aufklärung durch die Entwicklungen der christlichen Gesellschaft von seinen talmudistischen Wurzeln emanzipierte, wohl der sprichwörtliche Schwanz mit dem Hund.

Die Grenzen Europas sind also dort zu ziehen, wo eine (mittlerweile oft schon post-)christliche Gesellschaft geistesgeschichtlich prägend wirkt. Und das ist eben in Wladiwostok ebensosehr der Fall, wie in Istanbul (leider!) eben nicht mehr. Daß kleine Einsprengsel (man denke etwa an Moslems in Bosnien oder lamaistische Kalmücken), dabei mit inbegriffen sein mögen, tut dem Prinzip keinen Abbruch: ein Europa, das die Alexander Newski-Kathedrale in Nowosibirsk ausschließt, aber dafür Maghrebstaaten via »Mittelmeerunion« inkorporieren soll, wäre ein Wechselbalg ohne Zukunft. Man könnte also einen sinnvollen — ja: wünschenwerten! — Umfang dieser EUdSSR über die derzeitige EU hinaus bei den verbliebenen Balkanstaaten, den orthodox geprägten GUS-Staaten (also: Rußland, Moldavien, Ukraine und Weißrußland) und vielleicht einigen Kaukasusstaaten, die wenigstens in Georgien und Armenien uralte christliche Kulturlandschaft sind, finden.

2. Konföderative Gestalt:

Begriffe wie »Union« oder »(Kon-)Föderation« sind schillernd und letztlich nicht entscheidend (die »more perfect union«, die bspw. einem George Washington vorschwebte, hat mit dem überbordenden Zentralismus von Washington D.C. wenig gemeinsam)! »Subsidiarität« wird zwar ständig von Brüssel beschworen, doch wenn es um so offensichtlich weltuntergangsverhindernde Dinge wie Umsatzsteuersätze, Gurkenkrümmungen, Glühbirnen oder Polizistenuniformen geht, ist es damit augenblicklich vorbei. Was also ist unter solchen Prämissen die Subsidiarität wert? Nichts!

Das einzige Mittel, Subsidiarität zu fördern ist: Beschränkung der Zentralbürokratie und striktes Einstimmigkeitserfordernis für alle (sic!) Beschlüsse. Sofort höre ich den Aufschrei: »Dann geht doch nichts mehr weiter!« So what?! Was muß den »weiter« gehen? Bricht die Anarchie aus, wenn Gurkenkrümmungen nur dann europaweit geregelt werden, wenn alle Staaten darin ein sinnvolles Bedürfnis erblicken? Ist nicht vielmehr die Stimme auch nur eines einzigen Staates (und wir wollen doch hoffen: sogar mehrerer!), der sich derartigen Blödheiten regulierungsfanatischer Eurokraten widersetzt, ein Garant für Freiheit des Einzelnen? Was muß über die grundlegenden »vier Freiheiten« denn großartig »weitergehen«, um den Bürgern dieser Staaten Europas ein gedeihliches Zusammenleben zu ermöglichen? Wäre nicht vielmehr eine möglichst diversifizierte EUdSSR geradezu ein Motor für sinnvollen Wettbewerb und damit: für möglichst effiziente Entwicklung aller? Steht nicht weit eher zu erwarten, daß ohne vereinheitlichte Glühbirnenrichtlinien die unterschiedlichsten Beleuchtungssysteme in Wettbewerb träten und sich das ökonomisch sinnvollste und von den Käufern geschätzteste durchsetzt?

Noch ein Detail: das »R« in meinem vorgeschlagenen Namen »EUdSSR« bedarf noch einer Erläuterung: es steht für »Regionen«, also die Möglichkeit für Bürger kleinerer Gebiete, die für ein eigenes, sinnvoll organisierbares Staatswesen einfach zu klein wären, sich in einer durch die Gesamtheit Europas geschützten und gewährleisteten (und nicht durch den jeweiligen Staat mehr oder weniger gnädig »gewährten«) Autonomie zu organisieren. Ich denke da etwa an Südtirol, das Baskenland (das dann z.B. neben dem spanischen auch seinen altangestammten französischen Teil umfassen könnte), Katalanien — und viele mehr! Im Kleinen macht uns doch seit Jahrhunderten die Schweiz derartiges vor und beweist, daß es funktionieren kann! Und zwar: über Sprach- und Religionsgrenzen hinweg funktionieren kann.

3. Organisation und Verfassung:

Auch hier könnte die etatistisch verknöcherte westeuropäische Rechtstradition durchaus wertvolle theoretische Anregungen aus der Staatslehre der ehemaligen Sowjetunion aufnehmen — und nochmals betont: wer verpflichtet uns, die kommunistisch-zentralistisch-planwirtschaftliche Deformation solcher Verfassungstheorien zu übernehmen, statt diese in schöpferischer Neugestaltung in ihren sinnhaften Grundstrukturen als wertvolle Gedankenanregung zu betrachten? Deng Hsiao-ping, dem man staatsmännisches Format kaum absprecchen kann, meinte bekanntlich: »Es spielt keine Rolle, ob eine Katze schwarz oder weiß ist, solange sie Mäuse fängt« ...

Also: das kollektive Staatsoberhaupt der UdSSR war bekanntlich das Präsidium des Obersten Sowjets, dem u.a. die Präsidenten der Obersten Sowjets aller Gliedstaaten der UdSSR ex offo angehörten. Wäre das nicht ein treffliches Modell für eine Konföderation wie solch eine »EUdSSR«? Vielleicht mit einer Anleihe bei der Schweiz mit ihrer jährlichen Rotation des Bundespräsidentenamtes? Warum sollten sich die Staatsoberhäupter der Mitgliedstaaten nicht alljährlich treffen, um einen (oder bspw. auch ein Triumvirat) aus ihrer Mitte zu designieren mit der Aufgabe, jene (wenigen!) gemeinsamen Staatsoberhauptsfunktionen in ihrer aller Namen wahrzunehmen? Ist das nicht weitaus sinnvoller, als über irgendwelche, angeblich »integrationsfördernde« EU-Präsidenten nachzudenken, die dann doch nur Ober-Apparatschiks irgendwelcher Brüsseler Kungel-Kreise wären?

Weitere zentrale Organe wären natürlich eine »EUdSSR-Regierung«, ein Parlament und ein gemeinsamer Gerichtshof — alles jedoch ganz anders zu organisieren als jetzt, wo eine faktisch schon durch ihre schiere Größe entscheidungsunfähige EU-Kommission und ein durch und durch politisierter EuGH, der sich als Flaggschiff der Eurokratie betrachtet, mit einem durch seine Größe und politische Impotenz ausgezeichneten EU-»Parlament« um die Palme der monströsesten Fehlentweicklung ringen.

Eine Regierung, die sich auf die wenigen europaweit politisch zu regelnden Belange beschränkt, käme mit einer Handvoll Mitgliedern aus:
1. Auswärtiges (für die Vertragsbeziehungen, die die EUdSSR mit Nichtmitgliedssstaaten unterhält)
2. Inneres (für die Beziehungen mit den Mitgliedssstaaten)
3. Justiz (legistischer Dienst für EUdSSR-Normen)
4. Finanzen (EU-Haushalt)
5. Sicherheit (Koordinierung von Polizei- und Verteidigungsagenden)
6. Infrastruktur (Energie-, Daten- und Verkehrskoordination)
7. Bildung (Koordinierung der Bildungsstandards und Informationsfreiheit)

Auch der EuGH müßte verkleinert werden (sieben Mitglieder wäre auch hier eine schöne Zahl!) und sollte nicht durch Brüsseler Nomenklaturisten, sondern durch Wahl (oder Rotation) aus den Reihen der Höchstgerichtspräsidenten der Mitgliedsländer besetzt werden.

Das Parlament wiederum müßte neben einer drastischen Verkleinerung auch noch völlig anders berufen werden: beispielsweise durch direkte Volkswahl je eines Abgeordneten pro Million Wahlberechtigter eines Landes (wobei jedes Land und jede Region allerdings einen Mandatar als »Minderheitenrecht« haben müßte). Und wenn wir schon beim Träumen sind: eine Gewichtung der Stimmen der Wahlberechtigten nach ihrer Steuerleistung wäre dabei ebenso sinnvoll wie auf Einzelstaatsebene.

Daneben hätten die Einzelstaaten (und, vielleicht eingeschränkt, die Regionen) in einer nach dem deutschen Bundesratsprinzip (d.h.: Vertreter der Staatsregierungen, nicht »Senatoren« à la USA, sind die Teilnehmer) organisierten »Staatskammer« ihre Vetofunktion durch ein dort unverzichtbares Einstimmigkeitsprinzip. Das führt automatisch zu weniger Gesetzen, was ja kein Nachteil wäre ...

4.Kompetenzverteilung:

Hans Kelsen rotierte vermutlich im Grab, wenn er mitansehen müßte, wie die Normsetzung in der EU gehandhabt wird. Da werden irgendwelche Richtlinien in Brüsseler Generaldirektionen ausbaldowert, die einzelstaatlichem Verfassungsrecht (!) vorgehen, da judiziert ein EuGH nach dem Motto »Hauptsache EU-Kompetenz!«, als ob Kelsen seine tiefschürfenden Überlegungen über den Stufenbau der Rechtsordnung oder den dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff nie publiziert hätte! Da wird mit einem »EU-Recht bricht Staatenrecht« primitiv dahinargumentiert, als lebten wir noch im juristischen Mittelalter! Hat von diesen Dilettanten noch keiner den Begriff »Kompetenzartikel« gehört? Ich will hier nicht österreichischen Verfassungschauvinismus verbreiten (auch das BV-G hat seine Schwächen, die allerdings weniger Kelsen als den Politikern, die sein Werk verunstalteten, anzulasten sind!) — aber manchmal denke ich fast, daß wenigstens am österreichischen Staatsrechtswesen die Welt genesen könnte ...

Inhaltlich gesprochen: nur das Allernötigste auf EU-Ebene, aber das ist ohnehin klar. Praktisch umgesetzt hieße das: alle EU-Richtlinien treten (damit kein Chaos ausbricht: sukzessive erst nach ein, zwei Jahren) außer Kraft und werden — nur auf den Bereichen, in denen die Kompetenzartikel es zulassen — durch ein Parlamentsgesetz ersetzt, soferne ein solches beschlossen wird. Andernfalls treten die Richtlinien einfach außer Kraft.

5. Sonst noch was?

Ach ja: das wichtigste hätte ich fast vergessen (weil es sich eigentlich von selbst verstehen sollte): jedes Mitglied der EUdSSR hat das freie Sezessionsrecht. Sollte sich auf seinem Territorium eine autonome Region befinden, kann diese über ihr Ausscheiden bzw. ihren Verbleib ebenso frei bestimmen.

Hand aufs Herz: wäre das alles nicht ein Traum? Oder irre ich mich in diesen — wichtigen — Dingen wie der oben zitierte Schah ... weil ich ein Mensch bin? Weil Europa nicht für Menschen gedacht ist ...?

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diesen gedankenreichen kleinen Essay; ein Beweis mehr - obwohl es dessen nicht bedurft hätte-, dass es doch sehr schade wäre, wenn Le Penseur des Schreibens überdrüssig würde.

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  2. @Hans Karl Bühl:

    Lob aus der Feder eines Schwierigen wiegt doppelt ;-)

    Danke!

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