Von 1947 bis 1960 war Klemperer an den Universitäten Greifswald, Halle und Berlin tätig. Im Jahr 1950 wurde er als Vertreter des Kulturbundes Abgeordneter der Volkskammer der DDR sowie ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften ...... weiß Wikipedia zu berichten. Nun wird niemand, der Anstand im Leibe hat, Victor Klemperer seine Hochachtung für seine unbeugsame Tagebuchführung während der ganzen NAzi-Zeit versagen: er bringt in ihnen viele Facetten des nationalsozialistischen Wahnsinns im täglichen Leben zu Tage, die unter dem Geröll weltgeschichtlicher Gewalteruptionen sonst verschüttet lägen.
Nur: Klemperer muß doch gewußt haben, welchem theoretischen Ideologiegebäude und welcher ganz realen Mörderbande er sich mit seinem KP-Beitritt in die Arme warf. Und er trat ja nicht bloß bei, um halt seine entzogene Professur leichter wiederzubekommen (das wäre, wenn auch nicht gerade edel, so doch verständlich gewesen!), sondern wurde auch noch KP-Funktionär im »Kulturbund« und Volkskammerabgeordneter. Was dachte er sich eigentlich dann in jenen Tagen des Juni 1953? Was dachte er sich bei der Beschlußfassung über das Paß-Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik (15. September 1954), das in seinem § 8 unter anderem unverblümt offenherzig formuliert: »Wer ohne Genehmigung das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland verläßt [...], wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.« Wer solchen Gesetzen seine Zustimmung nicht verweigert, macht aus seinem totalitären Herzen fürwahr keine Mördergrube.
Nein, ich mache Victor Klemperer nicht wirklich Vorwürfe aus dieser seiner Haltung — die als »gesinnungslos« zu bezeichnen nicht zutreffend wäre. Denn es braucht schon eine Gesinnnung zu solcher Haltung, wenngleich keine besonders sympathische. Aber vorbildliche Kämpfer für Menschenrechte sind aus anderem Holz geschnitzt.
Damit kein Mißverständnis aufkommt: nein, man kann und darf von niemandem »erwarten«, unter Risiko eigener Nachteile ein solcher vorbildlicher Kämpfer zu sein. Das verlang(t)en nur Alt-Altundsechziger und ihre heutigen Nachahmer, die durch die Gnade der späten Geburt jedes Nachweises eigenen Mutes risikolos enthoben sind, von ihren Vorfahren. Ich sehe bloß nicht ein, weshalb man jemandem, der evidentermaßen kein solcher »vorbildlicher Vorkämpfer« war applaudieren soll, nur weil er die rechte — will heißen: linke — »Gesinnung« hatte.
(Wilhelm Pieck verleiht an Victor Klemperer den »Vaterländischen Verdienstorden«, 14.1.1956)
Klemperer ist eine zweispältige Figur.
AntwortenLöschenStimmte er einerseits für das Passgesetz und die Todesstrafe, führte er andererseits in seinen Tagebüchern die Beobachtung des Sprachverfalls von der LTI zur LQI fort und notierte:
"Und die Kernähnlichkeit des Totalitären bleibt, les extrêmes se touchent." (02.09.1949)
Viele Grüße
Morgenländer
Das ist es ja, was ihn f+r mich so zum Rätsel macht! Wäre er nostalgisch zu seinem geliebten Häuschen zurückgekehrt, hätte er sich um seine vermißte Professur bemüht, und dafür halt ein Parteibuch »in Kauf genommen« — ja mei, nur wer 100% sicher ist, anders gehandelt zu haben (weil er nämlich nachweislich anders gehandelt hat!), hätte vielleicht noch Recht, den ersten Stein zu werfen. Und vermutlich nicht mal der ...
LöschenAber: in »den besten Mannesjahren« selbst im immer enger sich schließenden Würgegriff eines totalitären Regimes gelebt zu haben, und dann sich im Alter die Hände als Komplize eines ähnlich totalitären Regimes dreckig zu machen, das läßt mich ratlos werden!
P.S.: Danke übrigens für Ihren diskreten Hinweis zum letzten Posting. Mein »Beileid« ...
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Löschen"Das verlangen nur Alt-Altundsechziger und ihre heutigen Nachahmer, die durch die Gnade der späten Geburt jedes Nachweises eigenen Mutes risikolos enthoben sind,"
AntwortenLöschenEine wunderschöne Formulierung, werde ich mir merken - passt häufig zu Leuten, die heute so großartig wissen, wie einfach Widerstand ist, jaja :-)
Als die Weimarer Republik im Chaos versankt, hatten totalitäre Ansichten Hochkonjunktur. Eine schlechte Ordnung ist allemal besser als gar keine. Ich habe das Buch gerade nicht zur Hand, aber wenn ich mich recht entsinne, finden sich in der LTI durchaus positiv kommentierte Stalin-Zitate.
AntwortenLöschenAuch wenn es verrückt klingt, aber ich kann Klemperer verstehen. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der Sozialismus erschien gerade vielen Verfolgten des NS-Regimes als legitimer, ehrlicher Gegenentwurf. Und angesichts der NS-Verbrechen sahen die des Sozialismus in der DDR wie kleine Ordnungswidrigkeiten aus. Nicht schön, aber muss man nicht durchgreifen, gegen die alten Nazis und die Feinde der besseren Gesellschaftsordnung?
Der Aufstand 1953 ist u.a. gescheitert, weil die Intellektuellen nicht mitgemacht haben. In deren Augen war der Aufstand Verrat an der guten Sache. In den 60ern haben dann viele gemerkt, welchem Schwindel sie aufgesessen sind.
Zu spät.
@Volker:
LöschenAuch wenn es verrückt klingt, aber ich kann Klemperer verstehen.
We agree to disagree ...
»Verstehen« kann ich ihn in gewissem Sinne auch. Wer mal ganz unten war, der will unter neuen Herren einfach »dazugehören«, sich nicht schon wieder durch Abseitsstehen ins Abseits gedrängt fühlen. Psychologisch ist das natürlich schon nachvollziehbar. Aber, um ein plakatives Beispiel zu verwenden, es ist auch psychologisch nachvollziehbar, wenn ein von seinen Eltern durch ostentative Geringschätzung seiner echten Talente gedemütigter Jugendliche ausrastet und sie erschießt — trotzdem kann ich mich für derlei Vorgangsweisen nicht so wirklich erwärmen ....
Irgendwie muss ich an meinen Formulierungen arbeiten.
LöschenMit "verstehen" meinte ich nicht gutheißen. Es meinte psychologisch nachvollziehbar. Meines Feindes Feind ist mein Freund.
Ein hervorragender Fachmann jahrelang gedemütigt, in Todesangst lebend. Die Verbrechen hautnah miterlebt. Man muss kein Psychologe sein um zu begreifen, wie das traumatisiert und für radikale Gegenentwürfe anfällig macht.
Hammer oder Amboss sein.
Nein, kein oder. Nie wieder Amboss.
Dass es sachlich nicht richtig war (wir sind ja so klug heutzutage), habe ich mit dem "Schwindel" ausdrücken wollen.
+
Damit will ich es mit diesem Thema auf sich beruhen lassen.
[quote]Als die Weimarer Republik im Chaos versankt, hatten totalitäre Ansichten Hochkonjunktur. Eine schlechte Ordnung ist allemal besser als gar keine.
AntwortenLöschen[/quote]
Das Gegenteil ist der Fall, sofern man unter Ordnung staatliches Handeln versteht.
[quote]
Es war eine Zeit des Aufbruchs, der Sozialismus erschien gerade vielen Verfolgten des NS-Regimes als legitimer, ehrlicher Gegenentwurf.
[/quote]
Sozialismus als Gegenentwurf zum Sozialismus nationaler Färbung. Klingt logisch. :D Wie Narren sich bloß in graduelle Unterschiede verstiegen hatten, nur weil kein Genuzid drohte. :(
@freiheitistunteilbar
AntwortenLöschenWas wollen Sie mir eigentlich mitteilen?
Wenn Sie kritisieren wollen, bitte sehr.
Aber dann bitte den Text. Nicht was Sie reindeuten.
@Volker
LöschenSie kennen wohl ihre eigenen Konklusionen nicht. Anscheinend ist mein Textverständnis besser als Ihres, wenn Sie mir schon vorwerfen, irgendetwas "reinzudeuten."
"... verleiht an Victor Klemperer den Vaterländischen Verdienstorden."
AntwortenLöschenVATERLÄNDISCH !!! Klingt in heutigen Ohren "voll Nadsi". Damals aber beiderseits der Mauer ein ganz normales Wort. So wie überall in Europa, in den jeweiligen Sprachen.
Eigentlich unglaublich, wie sehr unser Wortschatz im Laufe der letzten 25 Jahre eingeschränkt und verändert wurde. Am meisten wundere ich mich, wie sehr diese Manipulation auch mich verändert hat: Beim Lesen dieses Wortes empfand ich ein ausgesprochenes Unbehagen.
Schuldbewußt duckte sich der Pawlowsche Hund in mir.
Nachdem ich "LTI" gelesen hatte, drängte sich mir die Frage, wie Klemperer zum Stalinismus der DDR stand, geradezu auf. Es ist recht einfach, darauf Antworten zu finden, denn er hat bis kurz vor seinem Tod eifrig TB mit politischen Beobachtungen geschrieben. Ich habe diese TB von 1945 bis 1960 gelesen. Die Antworten sind nachvollziehbar, finde ich.
AntwortenLöschenBis in die Nazizeit hinein war Kl. ein Deutschnationaler, der sich auf sein Deutschtum etwas zugutehielt (sein Judentum konsequent ignorierte) und auf die Tugenden der Deutschen höchstes Vertrauen setzte: DAS Kulturvolk schlechthin.
Wichtig waren ihm einzig seine Eitelkeiten als Autor, Professor und Sprachforscher - seine Stellung und Karriere.
Die Nazizeit belehrte ihn darüber, daß
- sein Deutschtum von den Nazis verlacht wurde
- er mit aller Gewalt als Nichtarier und Jude gekennzeicnet wurde
- die Deutschen aller Kultur verlustig gingen
- die linientreuen Akademiker ihn aus allen Ämtern entfernten und selber Karriere auf dem Parteiticket machten
- daß man ihm nach dem Leben trachtete
Nach dem Krieg hatte er zwei bis drei Hauptziele:
- selbst wieder in Amt und Würden zu kommen (angesehene Unistellung)
- unbedingt in jedem Falle die ihm als Nazis bekannten Akademiker an der Rückkehr ins Berufsleben zu hindern
- eine Gesellschaft/einen Staat zu etablieren, der radikal antifaschistisch ist
Kl. glaubte, die Ansätze in der sowj. Zone bis 1948 würden das garantieren. Er wollte nun (im Gegensatz zu früher) politischen Einfluß, um seine Ziele zu verfolgen, und trat in KPD(SED) und Kulturbund ein.
Sein Überzeugtsein vom Kommunismus war immer unvollkommen, und nach den ersten DDR-Jahren bis 1953 war ihm schon ziemlich klar, daß hier ein totalitäres System das andere abgelöst hatte. Er notierte LQI so gut wie LTI vorher. Nach dem Arbeiteraufstand 1953 wußte er vollends, daß das Volk nicht hinter der SE$D stand und die Besatzer geradezu haßte.
Aus opportunistischen Gründen blieb er jedoch bei seinen Ämtern und Mitgliedschaften - im Grunde siegte die Eitelkeit, die Postenjagd und der Wunsch nach Anerkennung.
Er zog sich auf den Standpunkt zurück, daß die DDR trotz allem von zwei schlechten Systemen das bessere wäre, und konnte nicht einsehen, daß jenseits der Grenze eine in der DDR unbekannte Freiheit herrschte. Und das, obwohl er ständig mit der Zensur zu kämpfen hatte.
Alles in allem dennoch ein erstklassiger Zeitzeuge und Chronist - getrieben von rastloser Schreib- oder Arbeitssucht.
Übrigens fand ich einen besonders wichtigen, stets ignorierten Punkt in Kl.s TB 33-45 in der Schilderung des Verhaltens der "normalen Deutschen". Wer behauptet, daß sich die NS-Ideologie flächendeckend im Volk ausgebreitet und so gut wie jeden infiziert hatte, befindet sich im Irrtum.
Kl. berichtet von jeder Menge Akten des Widerstands, der heimlichen Hilfe für Juden, der geäußerten Abscheu gg. Nazimethoden, gegen Staatspropaganda usw. Es wären demonstrativ fremde Menschen auf ihn zugekommen, um ihm die Hand zu schütteln mit den Worten:
"Sie kennen mich nicht - aber ich möchte Ihnen hiermit zeigen, daß ich mit den Repressionen gegen Juden nicht einverstanden bin." Zivilcourage war also weit verbreitet.
Kann es sein, daß Klemperer einfach (wie so viele) nur ein charakterarmer eitler Karrierist war, der gerne auch unter den Nadsis Karriere gemacht hätte - wenn sie ihn nur gelassen hätten?
Löschen- Und dann, als ihm der andere Sozialismus diese Karriere-Möglichkeit bot, diese dann einfach ergriff, weil seine Eitelkeit stärker war als seine Skrupel?
Naja, so einfach ist es nicht.
AntwortenLöschenEitler Karrierist: Ja. Sicher. Und mit verblüffend wenig Arbeit für verblüffend wenige Interessenten (Romansitik) gutes Geld und gute Bedingungen genießen, als Ordinarius an der Uni.
Ich bezweifle aber, daß er sich auch den Nazis angedient hätte, wenn er nicht zu den Verpönten und Verdammten gehört hätte. Dazu war er doch zu unabhängig und selbstständig denkend, zu gut "erzogen".
Bei seinem Verhalten in der sowj. Zone muß man gerechterweise die Jahre der Naziverfolgung einrechnen: 12 Jahre der permanenten, ausgeklügelten Demütigung und Enteignung, Beschimpfung und Todesgefahr. Haus und Grund, Stellung, Arbeitsmöglichkeiten, alles weg. Sowas hinterläßt bleibende Spuren.
Sicher - Kl. genoß in der sowj. Zone und erst recht in der DDR Privilegien: beste Lebensmittelkarten, später Auto mit Fahrer, Auftrittsmöglichkeiten etc. pp. Er sah das als billige Kompensation der vorherigen Leidenszeit an. Sehe ich ein, kann ich verstehen.
Von der Gier nach Anerkennung und Bedeutung ließ er sich natürlich auch in gewisser Weise kaufen, weil die DDR ihm dies garantierte - die ihrerseits wiederum sich gezwungen sah, jedem NICHT fahnenflüchtigen, halbwegs loyalen Akademiker nahezu die Füße zu küssen. War also ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.
Man kann Kl. nicht mit gutem Gewissen Charakterlosigkeit vorwerfen. Ich jedenfalls nicht. Auch nicht angesichts der devoten Verbeugung auf obigem Foto - der Mann hatte eben einfach einen alterskrummen Rücken. Und mit dem Nationalpreis war gut Kohle verbunden...
:-)
@Flash:
AntwortenLöschenMan kann Kl. nicht mit gutem Gewissen Charakterlosigkeit vorwerfen. Ich jedenfalls nicht.
Da bin ich durchaus bei Ihnen! Mir sind bspw. die Alt68er mit ihrer selbstgerechten Verdammung ihrer Vorfahren immer schon zuwider gewesen — und wie ich in meinem Artikel explizit schrieb:
Damit kein Mißverständnis aufkommt: nein, man kann und darf von niemandem »erwarten«, unter Risiko eigener Nachteile ein solcher vorbildlicher Kämpfer zu sein. Das verlang(t)en nur Alt-Altundsechziger und ihre heutigen Nachahmer, die durch die Gnade der späten Geburt jedes Nachweises eigenen Mutes risikolos enthoben sind, von ihren Vorfahren. Ich sehe bloß nicht ein, weshalb man jemandem, der evidentermaßen kein solcher »vorbildlicher Vorkämpfer« war applaudieren soll, nur weil er die rechte — will heißen: linke — »Gesinnung« hatte.
P.S.: schläft Ihr Blog eigentlich derzeit nur, oder ist er sanft verschieden?
@Flash:
AntwortenLöschenP.P.S.: mit »Ihrem« Blog meine ich natürlich nicht nur die »BlogFrogDays«, sondern auch die »Göttinnen«, bei denen sich auch schon lange nix mehr tat. Schade!
Begeistert war ich auch von Klemperers Sprachanalyse eines totalitären Regimes, die zeitlos ist, weil sie übertragbar auch auf das Heute ist.
AntwortenLöschenStutzig machte allerdings, als ich bei Klemperer über den Kunstbegriff "Nazismus" stieß. Nein, hier geht es gar nicht darum, Nazis nicht hassen zu dürfen, sondern in einer Sprachkritik analoge Termini für Gegner anzuwenden, wie dieser Gegner sie für seine Gegner benutzt. Stichwort: Katergorischer Imperativ.
Bei solchen Persönlichkeiten ist es auch konsequent, sich unter dem Gebimmel des Anti-Totalitarismus totalitären Strukturen anzuschließen. Und da ist er beileibe nicht der einzige.
Fazit: Klemperers Texte sind brauchbar, die Person ist gewöhnliches Mittelmaß.