Donnerstag, 28. Oktober 2010

Deutschland über alles

... ist, wie der chilenische Staatspräsident feststellen konnte, eine pöhse Naziformulierung, für die er sich prompt entschuldigen mußte. Also circa so ein Fettnäpfchen wie seinerzeit die Havanna-Zigarren, die Bundeskanzlerdarsteller Schröder dem US-Präsidenten Bill Clinton mitgebracht hatte (doppelt peinlich wegen des Kuba-Embargos und der Zigarren-Steck-Praktikantin Monica Lewinsky).

Er habe nicht gewußt, daß die von ihm auf Deutsch niedergeschriebene Zeile »Deutschland über alles« Erinnerungen an die NS-Zeit wachrufe, erklärte Piñera in Santiago de Chile. »Mir war es überhaupt nicht bewußt, daß dieser Satz in Verbindung mit einer dunklen Vergangenheit dieses Landes stehen könnte, und darum tut es mir leid und ich bitte in dem Fall um Entschuldigung«, schrieb der Präsident zerknirscht. Nun, wie hätte er das auch ahnen sollen. Daß eine Hymne das eigene Land über alles in der Welt schätzen läßt, ist ja eher die Regel als die Ausnahme.

Nur Deutschland ist seit 1945 natürlich anders — nämlich rückgratlos, ein Produkt perfekter Umerziehungsmaßnahmen der Siegermächte, die nicht nur dafür sorgten, daß Deutschland zwar immer zahlen darf, dafür jedoch nie wieder eine Rolle als Großmacht spielen wird, und auf diese weltpolitische Impotenz auch noch stolz ist, frei nach dem Motto: »Unsere Ehre heißt Reue«.

Eilfertig weiß Welt-Online zu vermerken:
Da in der ersten Strophe die Ausdehnung Deutschlands weit über sein heutiges Gebiet hinaus besungen wird und diese somit an die rücksichtslose Expansionspolitik der Nazis erinnert, besteht die offizielle Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland nur noch aus der dritten Strophe.
Tja, die »Welt« hat nur leider vergessen hinzuzufügen, daß 1841, d.h. zur Zeit der Abfassung des Deutschlandliedes, Deutschland tatsächlich von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt reichte. Und daß damals ein gewisser Alois Schicklgruber, später Alois Hitler genannter Zollbeamter und Vater eines weitaus bekannter gewordenen Sohnes, gerade einmal vier Jahre alt war. Und der bekanntere Sohn wohl noch nicht einmal in confuso geplant, geschweige denn gezeugt. Was bei Herrn Hoffmann von Fallersleben eine Erinnerung an die »rücksichtslose Expansionspolitik der Nazis« eigentlich ausschließen sollte, umso mehr jedoch am Verstand von Menschen zweifeln läßt, die sich dadurch an etwas erinnert fühlen, was denkmöglich überhaupt erst nach den Gebietsverlusten durch den I. Weltkrieg hundert Jahre später eine »rücksichtslose Expansionspolitik« genannt werden konnte.

Karl Kraus' Diktum, daß zwar nicht jeder Historiker ein rückwärtsgekehrter Prophet, dafür aber jeder Journalist einer sei, der im nachhinein alles schon vorher gewußt habe, verstand die »Welt« auf alle Fälle glanzvoll zu bestätigen ...

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