Aus Anlaß eines Artikels über Jean Sibelius' Symphonie No. 7 (die damals recht exakt den 100. Geburtstag feierte) erhielt ich von Kollegen Lechner ein ungehaltenes
Hauptsache ist, dass nur ja nicht der Jahresregent zum Zug kommt.
... als Antwort. Nun ja, ich gelobe Besserung und nehme das Jahr 2024 als 150-Jahresjubiläum der ersten Fassung (1874) der Symphonie No. 3 des "Jahresregenten" zur Gelegenheit, den Hörern dieses Blogs diese Erstfassung vorzustellen. Eliahu Inbal dirigiert die "Frankfurter" ...
Da ich mich weder allfälligen Erläuterungen aus zweifellos weit berufenerem Kollegenmunde vordrängen möchte, setze ich hier nur die Anmerkungen zu Werk und Entstehungsgeschichte, wie sie sich unter dem YT-Video finden darunter:
Anton Bruckner's Symphony No. 3 in D minor, WAB 103, was dedicated to Richard Wagner and is sometimes known as his "Wagner Symphony". It was written in 1873, revised in 1877 and again in 1889.
The work has been characterised as "difficult", and is regarded by some as Bruckner's artistic breakthrough. According to Rudolf Kloiber, the third symphony "opens the sequence of Bruckner's masterpieces, in which his creativity meets monumental ability of symphonic construction." The work is notorious as the most-revised of Bruckner's symphonies, and there exist no fewer than six versions, with three of them being widely performed today.
Bruckner wrote the first version of the symphony in 1873. In September 1873, before the work was finished, Bruckner visited Richard Wagner, whom he had first met in 1865 at the premiere of Tristan und Isolde in Munich. Bruckner showed both his Second and Third symphonies to Wagner, asking him to pick one he preferred. To Bruckner's delight, Wagner chose the Third, and Bruckner dedicated the symphony to the master he highly respected. After arriving home, Bruckner continued to work on the symphony, finishing the finale on 31 December 1873.
According to an anecdote, Bruckner and Wagner drank so much beer together that, upon arriving home, Bruckner realized he had forgotten which symphony Wagner had chosen. He wrote a letter back to Wagner saying "Symphony in D minor, where the trumpet begins the theme?" Wagner scribbled back "Yes! Best wishes! Richard Wagner." After this, Wagner often referred to Bruckner as "Bruckner the trumpet" and the two became firm friends. In the dedication, Bruckner referred to Wagner as "the unreachable world-famous noble master of poetry and music".
The 1873 version was rehearsed by the Vienna Philharmonic in June or July 1874, but it was not accepted for performance. The premiere of the Symphony (1877 version) was given in Vienna on 16 December 1877. The conductor was meant to be Johann von Herbeck, though his death a month before the concert forced Bruckner himself to step in and conduct. The concert was a complete disaster: although a decent choral conductor, Bruckner was a barely competent orchestral director: the Viennese audience, which was not sympathetic to his work to begin with, gradually left the hall as the music played. Even the orchestra fled at the end, leaving Bruckner alone with a few supporters, including Gustav Mahler. (The score of the first three movements was later owned by Mahler; his widow Alma Mahler ensured she took it with her when fleeing the Nazi invasion of France in 1940 for the United States.)
Stunned by this debacle, Bruckner made several revisions of his work, leaving out significant amounts of music including most quotations from Wagner's Tristan und Isolde and Die Walküre. The original 1873 score was not published until 1977.
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P.S.: nicht zu erwähnen möchte ich vergessen, daß der kenntnisreiche David Hurwitz über diese Symphonie ein informatives Video veröffentlicht hat ...
Ich glaube, das ist eine Premiere auf dem Penseur-Blog... Und gerade die Dritte... Bruckners "Third Symphony is the least perfect of his great nine symphonies, though not the least magnificent" schrieb Deryck Cooke, und er hat damit recht. Man könnte das weiter zuspitzen: Die gängigen Fassungen (grob gesagt 2 und 3) sind als formal misslungen anzusehen. Für Bruckners Reputation war es zweifellos höchst abträglich, dass die Dritte gerade in ihrer verstümmelten Letztfassung weltweite Verbreitung fand. Kunstmusik lässt sich eben nicht so einfach "zusammenstreichen" iSv "kürzen". Bruckner sah sich, was seine relativ frühen Symphonien anbelangte, vor die ungute Wahl gestellt, entweder unverstanden zu bleiben, oder schmerzliche Kompromisse zu machen. Im Übrigen weist auch die Erstfassung eine kleine kompositorische Schwachstelle auf, nämlich einen harmonischen Rücklauf in der Episode des auslaufenden Durchführungshöhepunktes. Glücklicherweise ließ sich diese in der (als solchen nicht gezählten) Zwischenfassung von 1874 leicht und sogar nur durch eine rein instrumentationstechnische Maßnahme beheben. Dieser Zustand sollte in die Gesamtaufnahme aufgenommen und als der "eigentlich gültige" angesehen werden - jeder Komponist hat das Recht, seine Partitur zur verbessern, und eine solche Verbesserung sollte man auch so als "letzten Willen" akzeptieren. (Die eigentlichen späteren Fassungen waren "neue Partituren", die aufgrund diverser äußerer Umstände aufgezwungen wurden. Die Revision von 1874 hingegen war völlig freiwillig, und sie verkürzte nichts). Ich bin sehr froh, dass diese Revisions-Fassung von W. Carragan wiederhergestellt werden konnte, diese hat mich mit der Dritten, die ich früher als nicht ganz vollwertig ansah, vollends versöhnt. Die Dritte von 1873/74, die, was die Anzahl der niedergeschriebenen (nicht die der gespielten) Takte anbelangt, längste aller Brucknersymphonien, war auch für mich als "lebenslangen Brucknerianer" nicht leicht zu verstehen. Sie vermag gerade in ihrer Länge eine ganz eigene Qualität zu entwickeln, und damit verbunden eine ganz einzigartige Emotionalität. So zählt der Kopfsatz, in welchem nichts anderes als ein gründliches Scheitern auskomponiert wird, zum Tragischsten, das Bruckner jemals geschrieben hat. Dieses Scheitern vollzieht sich nicht erst am Schluss, sondern bereits in der Durchführung. Dadurch wird die Reprise trotz aller Farbenpracht zu einem todtraurigen Abgesang, der in den Spätfassungen dem hohlen Pathos des immer wiederkehrenden allzu pompösen Hauptthema weichen muss. Der Langsame Satz überrascht am Ende mit seinem "mahleresken Volkston", und das Finale mit seiner Koppelung von Tanz und Choral vermag nur in der Überlänge der Erstfassung wirklich zu überzeugen.
Als Einstiegswerk für Brucknerinteressenten ist die Dritte dennoch, gerade in dieser Fassung, grundsätzlich eher ungeeignet, aber das heißt nicht, dass man es mit ihr gar nicht erst probieren sollte...
aliquando bonus dormitat Homerus, wußte schon Horaz. Was ich jetzt nicht auf unseren geschätzten Kollegen Lechner, sondern auf Ihr Idol Bruckner bezogen sehen möchte.
Ich halte mich da als - wie allseits bekannt - eindeutiger "Brahmine" aus diesem Streit heraus, den Sie mit dem Kollegen offenbar anzetteln wollen, und sage nur soviel: mir persönlich fallen aus den Symphonien Bruckners (soweit ich die Geduld aufbrachte, sie mir komplett anzuhören) genug Stellen ein, die ich als durchaus verbesserungsfähig betrachte und manchmal entringt sich mir bspw. bei der achten oder dreizehnten Wiederholuntg einer Akkordfolge der Stoßseufzer: "Was hätte doch ein Brahms daraus gemacht!"
So, und jetzt verlasse ich blitzartig die Arena, die bei Lechner vs. Rennzech blutig zu werden verspricht ...
Herr Lechner: Was die Fassungsfrage betrifft, so vertreten Sie den schier gegenteiligen Standpunkt von Hurwitz, der meint, dass die 1. Fassung unerträglich lang ist und nicht gespielt werden sollte. Mir kommt die 1. Fassung auch zu lang und zu leer vor, die späteren Fassungen sind dichter. Was sagen Sie dazu? Was werfen Sie den späteren Fassungen vor?
Rennzech: Ich bin mir dieser Problematik durchaus bewusst… Aber was soll s, ich hab mein Leben lang ua damit verbracht, Bruckner zu studieren und meine Meinung zu bilden. Es geht um T 417f im Kopfsatz, in dieser Aufnahme bei 13‘04‘‘. Nach As-dur folgt Es-dur. Man erwartet an dieser modulierenden Stelle ein Fortschreiten nach B-dur, stattdessen kommt wiederum As-dur, was wie ein „Rückfall“ in Überkommenes, ev auch, geht man vom gedachten B-dur aus, wie ein harmonischer Rücklauf wirkt. Diese Redundanz ist einfach schwach. Ich muss zugeben, dass dieses Problem angesichts des hohen Tempos in Inbals hervorragender Interpretation eigentlich kaum auffällt. Bruckner dürfte dieses Problem auch erkannt haben, somit steht meine Meinung nicht im Widerspruch zum Genie: In der 1874er Variante behilft er sich, indem er den T 417 stärker instrumentiert, womit die Stelle wie ein Neuansatz klingt, der die Wiederholung als solche erkenntlich und plausibel macht. Penseur, so billig können Sie sich da nach Ihren polemischen Auslassungen nicht aus der Affaire stehlen. Zunächst schleudere ich Ihnen ein bildungsbürgertümelndes. Aber machtvolles Si tacuisses entgegen. Ich steig Ihnen nicht auf Ihre Polemik ein, indem ich schriebe, dass Brahms die Brucknerischen Sphären niemals zu betreten im Stande war und dass sich die von Ihnen erdachte Problemstellung einfach fernab der Realität ist. Brahms ist Brahms und Bruckner ist Bruckner. Beide sind in sich perfekt, nur ist Bruckner ein klein wenig schwer zu verstehen. Der Reflex, bei Bruckner Defizite zu finden, ist ein typischer Anfängerfehler. Das ist nicht beleidigend gemeint, denn es ist rein auf das Bruckner-Hören zu beziehen, das wie eine fremde Sprache einfach erlernt sein will. Bruckner „funktioniert“ anders als Brahms und Mahler. Auch zB Schönberg muss man sich erarbeiten, und auch Xenakis pflegt einen ungeübten Hörer zu verstören. Bei Bruckner tritt heutzutage keine Verstörung mehr ein, aber ein trügerisches Gefühl, mehr zu verstehen als tatsächlich der Fall ist. Das hab ich auch oft genug bei mir selbst beobachtet. Bruckner ist klüger als wir alle, er macht keine Fehler (den oben beschriebenen hat er selbst ausgemerzt).
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Ich glaube, das ist eine Premiere auf dem Penseur-Blog...
AntwortenLöschenUnd gerade die Dritte...
Bruckners "Third Symphony is the least perfect of his great nine symphonies, though not the least magnificent" schrieb Deryck Cooke, und er hat damit recht. Man könnte das weiter zuspitzen: Die gängigen Fassungen (grob gesagt 2 und 3) sind als formal misslungen anzusehen. Für Bruckners Reputation war es zweifellos höchst abträglich, dass die Dritte gerade in ihrer verstümmelten Letztfassung weltweite Verbreitung fand. Kunstmusik lässt sich eben nicht so einfach "zusammenstreichen" iSv "kürzen". Bruckner sah sich, was seine relativ frühen Symphonien anbelangte, vor die ungute Wahl gestellt, entweder unverstanden zu bleiben, oder schmerzliche Kompromisse zu machen.
Im Übrigen weist auch die Erstfassung eine kleine kompositorische Schwachstelle auf, nämlich einen harmonischen Rücklauf in der Episode des auslaufenden Durchführungshöhepunktes. Glücklicherweise ließ sich diese in der (als solchen nicht gezählten) Zwischenfassung von 1874 leicht und sogar nur durch eine rein instrumentationstechnische Maßnahme beheben. Dieser Zustand sollte in die Gesamtaufnahme aufgenommen und als der "eigentlich gültige" angesehen werden - jeder Komponist hat das Recht, seine Partitur zur verbessern, und eine solche Verbesserung sollte man auch so als "letzten Willen" akzeptieren. (Die eigentlichen späteren Fassungen waren "neue Partituren", die aufgrund diverser äußerer Umstände aufgezwungen wurden. Die Revision von 1874 hingegen war völlig freiwillig, und sie verkürzte nichts).
Ich bin sehr froh, dass diese Revisions-Fassung von W. Carragan wiederhergestellt werden konnte, diese hat mich mit der Dritten, die ich früher als nicht ganz vollwertig ansah, vollends versöhnt.
Die Dritte von 1873/74, die, was die Anzahl der niedergeschriebenen (nicht die der gespielten) Takte anbelangt, längste aller Brucknersymphonien, war auch für mich als "lebenslangen Brucknerianer" nicht leicht zu verstehen. Sie vermag gerade in ihrer Länge eine ganz eigene Qualität zu entwickeln, und damit verbunden eine ganz einzigartige Emotionalität. So zählt der Kopfsatz, in welchem nichts anderes als ein gründliches Scheitern auskomponiert wird, zum Tragischsten, das Bruckner jemals geschrieben hat. Dieses Scheitern vollzieht sich nicht erst am Schluss, sondern bereits in der Durchführung. Dadurch wird die Reprise trotz aller Farbenpracht zu einem todtraurigen Abgesang, der in den Spätfassungen dem hohlen Pathos des immer wiederkehrenden allzu pompösen Hauptthema weichen muss. Der Langsame Satz überrascht am Ende mit seinem "mahleresken Volkston", und das Finale mit seiner Koppelung von Tanz und Choral vermag nur in der Überlänge der Erstfassung wirklich zu überzeugen.
Als Einstiegswerk für Brucknerinteressenten ist die Dritte dennoch, gerade in dieser Fassung, grundsätzlich eher ungeeignet, aber das heißt nicht, dass man es mit ihr gar nicht erst probieren sollte...
Lechner, Sie nehmen sich heraus, ein Genie wie Bruckner maßregeln zu wollen? Wo genau meinen Sie, einen Fehler in der Dritten zu erblicken?
AntwortenLöschenCher M. Rennzech,
AntwortenLöschenaliquando bonus dormitat Homerus, wußte schon Horaz. Was ich jetzt nicht auf unseren geschätzten Kollegen Lechner, sondern auf Ihr Idol Bruckner bezogen sehen möchte.
Ich halte mich da als - wie allseits bekannt - eindeutiger "Brahmine" aus diesem Streit heraus, den Sie mit dem Kollegen offenbar anzetteln wollen, und sage nur soviel: mir persönlich fallen aus den Symphonien Bruckners (soweit ich die Geduld aufbrachte, sie mir komplett anzuhören) genug Stellen ein, die ich als durchaus verbesserungsfähig betrachte und manchmal entringt sich mir bspw. bei der achten oder dreizehnten Wiederholuntg einer Akkordfolge der Stoßseufzer: "Was hätte doch ein Brahms daraus gemacht!"
So, und jetzt verlasse ich blitzartig die Arena, die bei Lechner vs. Rennzech blutig zu werden verspricht ...
Herr Lechner: Was die Fassungsfrage betrifft, so vertreten Sie den schier gegenteiligen Standpunkt von Hurwitz, der meint, dass die 1. Fassung unerträglich lang ist und nicht gespielt werden sollte. Mir kommt die 1. Fassung auch zu lang und zu leer vor, die späteren Fassungen sind dichter. Was sagen Sie dazu? Was werfen Sie den späteren Fassungen vor?
AntwortenLöschenRennzech: Ich bin mir dieser Problematik durchaus bewusst… Aber was soll s, ich hab mein Leben lang ua damit verbracht, Bruckner zu studieren und meine Meinung zu bilden. Es geht um T 417f im Kopfsatz, in dieser Aufnahme bei 13‘04‘‘. Nach As-dur folgt Es-dur. Man erwartet an dieser modulierenden Stelle ein Fortschreiten nach B-dur, stattdessen kommt wiederum As-dur, was wie ein „Rückfall“ in Überkommenes, ev auch, geht man vom gedachten B-dur aus, wie ein harmonischer Rücklauf wirkt. Diese Redundanz ist einfach schwach. Ich muss zugeben, dass dieses Problem angesichts des hohen Tempos in Inbals hervorragender Interpretation eigentlich kaum auffällt.
AntwortenLöschenBruckner dürfte dieses Problem auch erkannt haben, somit steht meine Meinung nicht im Widerspruch zum Genie: In der 1874er Variante behilft er sich, indem er den T 417 stärker instrumentiert, womit die Stelle wie ein Neuansatz klingt, der die Wiederholung als solche erkenntlich und plausibel macht.
Penseur, so billig können Sie sich da nach Ihren polemischen Auslassungen nicht aus der Affaire stehlen. Zunächst schleudere ich Ihnen ein bildungsbürgertümelndes. Aber machtvolles Si tacuisses entgegen. Ich steig Ihnen nicht auf Ihre Polemik ein, indem ich schriebe, dass Brahms die Brucknerischen Sphären niemals zu betreten im Stande war und dass sich die von Ihnen erdachte Problemstellung einfach fernab der Realität ist. Brahms ist Brahms und Bruckner ist Bruckner. Beide sind in sich perfekt, nur ist Bruckner ein klein wenig schwer zu verstehen. Der Reflex, bei Bruckner Defizite zu finden, ist ein typischer Anfängerfehler. Das ist nicht beleidigend gemeint, denn es ist rein auf das Bruckner-Hören zu beziehen, das wie eine fremde Sprache einfach erlernt sein will. Bruckner „funktioniert“ anders als Brahms und Mahler. Auch zB Schönberg muss man sich erarbeiten, und auch Xenakis pflegt einen ungeübten Hörer zu verstören. Bei Bruckner tritt heutzutage keine Verstörung mehr ein, aber ein trügerisches Gefühl, mehr zu verstehen als tatsächlich der Fall ist. Das hab ich auch oft genug bei mir selbst beobachtet. Bruckner ist klüger als wir alle, er macht keine Fehler (den oben beschriebenen hat er selbst ausgemerzt).