von Fragolin
Unvaccinated lives matter.
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„Seitdem der Glaube aufgehört hat, daß ein Gott die Schicksale der Welt im großen leite und trotz aller anscheinenden Krümmungen im Pfade der Menschheit sie doch herrlich hinausführe, müssen die Menschen selber sich ökumenische, die ganze Erde umspannende Ziele stellen. Die ältere Moral, namentlich die Kants, verlangt vom einzelnen Handlungen, welche man von allen Menschen wünscht: das war eine schöne naive Sache; als ob ein jeder ohne weiteres wüßte, bei welcher Handlungsweise das Ganze der Menschheit wohlfahre, also welche Handlungen überhaupt wünschenswert seien…“
Also sprach Friedrich Nietzsche in seinem Werk „Menschliches, Allzumenschliches“, und sah voraus, was uns heute widerfährt, nämlich den Ersatz des verlorenen Glaubens durch neue Götzen, die mangels Kenntnis des Einzelnen darüber, was „der Menschheit wohlfahre“ ihnen von „Weisen“, „Experten“ und selbsternannten ideologischen Moralaposteln vorgeworfen wird, auf dass sich jeder seinen Krumen herauspicken kann, über den er sich wieder zum Mitglied der Gruppe der Einzig Wahren Gläubigen gesellen und über den ungläubigen, zweifelnden, fehlgeleiteten Rest erheben kann. Und so schütten sie das Füllhorn an Selbsterhöhungsbegründungen aus, mit dem man sich zum moralischen Herrenmenschen, wahren Gläubigen und mit geradezu göttlicher Aufgabe versehenen Kämpfer anschließen kann den Sturmtruppen der Fanatiker, die sich über allem Gesetz wähnend auch vor Straftaten nicht Halt machen bis zur letzten Konsequenz im Namen ihrer Moral und ihres neuen Gottes, heiße er nun Wokismus, Progressivität, Pandemie oder Klima.
Gott ist nicht tot, er ist austauschbar geworden, zu einem „today I identify myself as a…“-Gott, ein Transgott, den sich jeder zusammenbasteln kann wie er will und wie er es braucht, um sich als Besitzer der Einen Wahrheit zu wähnen. Und als Besitzer der Einen Wahrheit steht man ja automatisch über dem ungläubigen fehlgeleiteten oder gar renitent falschglaubenden Gewürm, das macht diese Position so erstrebenswert.
Nietzsche hat im Kern recht behalten. In seiner Zeit sah er nur die Ersatzreligionen des Kaiseranhimmelnden Nationalstolzes und des glühenden Judenhasses der Antisemiten, aber die Zeit ist weiter geeilt und hat weitere Faschisten jeglicher Regenbogenfärbung geboren: Rassefaschisten, Klassenfaschisten, Soziofaschisten, Kapitalfaschisten, Ökofaschisten, Gesundheitsfaschisten, Klimafaschisten, Transfaschisten – und alle mit dem Minimalanspruch, die ganze Menschheit, den Planeten oder gleich das Universum zu retten. Sie schießen wie die Pilze aus dem muffigen Mulch, den eine sterbende Religion und ihr vermoderndes Bodenpersonal hinterlassen haben, und sie fühlen sich besser als je, weil sie im Namen von etwas komplett Neuem doch nur das gleiche wie immer machen: sich eine Religion zur moralischen Selbsterhöhung suchen, fanatisieren, radikalisieren, über andere erheben und letztendlich als Gotteskrieger in die Schlacht ziehen. Zur Not mit Pattex, Baseballschläger oder aktuell einer Giftspritze. Der frei denkende und lebende Mensch ist ihnen ein Gräuel und ihr Todfeind, denn niemand darf den Beweis antreten, dass es keines Gottes und keiner Religion bedarf – und schon gar keines Kollektivs der Wahren Gläubigen, egal ob es sich jetzt Volk, Klasse oder letzte Generation nennt. Da sei die Inquisition vor!
Das Mittelalter ist noch lange nicht vorbei. Der aufgeklärte Humanismus war nur eine temporäre Erscheinung zwischen herunterrasselnden Guillotinen und modernen „Kollateraltoten“, die aktuell dem Transhumanismus und einem neuen, noch allumfassenderen Globalfaschismus weicht. Die Industrialisierung hat offensichtlich nur technologische Veränderungen gebracht, aber keine wirklich geistigen. Der Geist, der die steinzeitliche Keule gegen die Nachbarsippe schwingen ließ, spielt heute mit dem Gedanken, „die Russen atomar auszulöschen“ – die Dimensionen haben sich verändert, die zugrundeliegende Geisteshaltung nicht.
Die Menge der Individualisten und Freidenker ist weiterhin marginal. Der Rest hängt weiter an irgend einem Transgott.
Der "aufgeklärte Humanismus" konnte nur im christlich kultivierten Umfeld gedacht werden. Auf sich allein gestellt führte die Aufklärung zu den genannten Verirrungen. Siehe Nietzsche, oder Herrn Böckenförde.
AntwortenLöschen@Gerry
AntwortenLöschenWelche "Verirrungen" meinen Sie im Zusammenhang mit Böckenförde zu erkennen? Seine zentrale Aussage "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann" ist nichts anderes als die staatsrechtsphilosophische Formulierung von Kurt Gödels Unvollständigkeitssätzen, besonders dem zweiten, wonach "die Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems nicht aus dem Axiomensystem selbst ableitbar ist".
Herr Böckenförde?? Der war allerdings erzkatholisch...
AntwortenLöschenDie Absicht des Künstlers war primär, die gesamtgesellschaftliche Komplexität in heterogener Partizipät maximal evident zu machen. @ Rizzo
AntwortenLöschen@Anonym: Können Sie dasselbe auch in autochthonem Deutsch formulieren? Nett wärs schon.
Löschen@Anonym 18:58
AntwortenLöschenNein, kann er nicht. Seine Absicht war offensichtlich eine satirische Paraphrasierung philosophisch-logischer Aussagen. Ist etwas in die Hose gegangen, weil er es sowieso nicht ganz verstanden hat.
@Jürgen
AntwortenLöschen"Herr Böckenförde?? Der war allerdings erzkatholisch..."
Na und? Widerlegt oder entwertet das seine zentrale Aussage? Das wäre so, als ob man Hegel einzig und allein daran misst, dass sein dialektisch sich entwickelnder Zeitgeist bloss den aufgeklärten preussischen Absolutismus meint.
Nett wärs schon.
AntwortenLöschenDann will ich einmal nett sein: Der Kaiser ist pudelnackt.
@Rizzo: Hegel war ein dialektisierender irrlichternder Schwachkopf, dessen einziger "Verdienst" es war, Karl Marx und dessen Wahnsinn erst möglich gemacht zu haben.
AntwortenLöschen@Anonym 10:03
AntwortenLöschenGratuliere! Wie man in einem einzigen Satz seine völlige Ignoranz eingesteht und noch stolz darauf ist.
Rizzo, warum so aufgeregt? Nietzsche und Böckenförde, aus unterschiedlichen Lagern, beleuchten das Desaster der nach-Aufklärung.
AntwortenLöschen@Chueninge: statt billiger Polemik wäre ein vernünftiges Gegenargument erforderlich, wenn Sie der Meinung sind, dass der Poster „ignorant“ ist. Was den entscheidenden Einfluss des schwäbischen Weltgeistflüsterers auf den Verbrecher aus Trier betrifft, liegt er jedenfalls richtig.
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