Mittwoch, 13. Februar 2019

Die Post-Leistungs-Elite

von Fragolin

Eigentlich bin ich ja bei Danisch über diesen Spiegel-Artikel gestolpert, der von ihm bekannt meisterlich als der Unsinn zerlegt wurde, der er ist. Trotzdem möchte ich noch ein paar Gedanken dazufügen, weil mich bereits die ersten Sätze fast aus dem Sessel gehoben haben.

Stellen Sie sich vor, Sie würden in einer Welt leben, in der Sie sich frei entwickeln können.“

Wieso? Wieso soll ich mir das vorstellen?
Ich lebe immerhin in einer Welt, in der ich mich frei entwickeln kann.
Meine Eltern waren einfache Arbeiter.
Ich habe einen einfachen Beruf erlernt.
Ich habe mich freiwillig nebenher weitergebildet, die Technische Universität belästigt, Büchereien durchgraben, Weiterbildungen, Schulungen und Seminare besucht. Das hat kein Arbeitgeber von mir gefordert, keine „Gesellschaft“ von mir erwartet, sondern das ist das, was ich selbst wollte. Heute bin ich selbständiger Unternehmer mit Haus und Auto, ernähre eine vierköpfige Familie, unternehme mit meinen Lieben Reisen und kann meinen Kindern einen guten Start ins Leben ermöglichen. Also was soll ich mir besseres vorstellen, bitteschön?

In einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung einen höheren Stellenwert hat als Produktivität. In der Sie weniger arbeiten und dafür Ihren Sehnsüchten nachgehen.“

Wir leben in einer Welt mit 40- bis 35-Stunden-Wochen und einer Höchstzahl an Teilzeitarbeitsplätzen. Viele Frauen arbeiten – durchaus auch auf eigenen Wunsch – nur Teilzeit. Im öffentlichen Dienst boomt der Sabbatical, also nach drei Jahren mit 75% Verdienst ein freies Jahr zuhause. Ich als Unternehmer kann mich, durchaus saison- aber auch eigeninteressenabhängig, auch mal ein paar Tage oder Wochen ausklinken; der „Papamonat“ war bei meinen Kindern kein Thema, denn ich habe einfach ein paar Wochen meine Termine abgesagt, auf Verdienst verzichtet und die Zeit lieber meinen Kindern geschenkt.
Und ja, ich höre schon das Gemaule, dass das der einfache Arbeiter eben nicht kann, mimimi.
Irrtum. Kann er. Wenn er seine Freiheit wahrnimmt und sich für einen Weg wie meinen entscheidet, der vielleicht mühsam ist, mir aber mehr gebracht hat, als er kostete. Jeder entscheidet selbst, was und wieviel und in welchem Dienstverhältnis er arbeitet; genau wir leben genau jetzt in der einzigen Gesellschaftsform, die genau das ermöglicht.
Jeder kann lernen, studieren, leisten oder eben lieber selbstverwirklichen oder weltreisen was und wie er will. Er muss nur wollen. Als Erstes sich entscheiden wollen.
Denn meine Kollegen von früher, die mich beim Abendbier in der Kneipe auslachten, weil ich derweil auf eigene Kosten die Schulbank drückte, haben mich zwar später als Glückskind und Abtrünnigen betrachtet, aber deren Neid kann mir egal sein, denn jeder von denen hatte exakt die gleichen Möglichkeiten wie ich. Keine Gesellschaft ist (noch) so frei wie unsere und kein Gefängnis kerkert so fest ein wie das der eigenen Überzeugungen. Der dickste Käfig befindet sich zwischen unseren Ohren.
Doch noch ein Satz zur „neuen Welt“:

Und in der Ihre Mitmenschen Sie nicht nur tolerieren, sondern annehmen, wie Sie sind - mit Ihrem Lebenskonzept, Ihrer Hautfarbe, Ihrer sexuellen Orientierung.“

Ich will von meinen Mitmenschen aber nicht „angenommen“ sondern eben „toleriert“ werden. Sie sollen mich ertragen, wie ich bin (besonders linke Menschenformer und Gesellschaftsklempner können ja gerade genau das nicht), müssen mich aber weder in ihre Cliquen, Clans oder Kegelvereine aufnehmen. Mein „Lebenskonzept“ geht schlicht keinen was an und ich kehre das auch nicht permanent nach außen, da ich mich nicht darüber definiere. Auch nicht über meine Hautfarbe oder gar über meine sexuelle Orientierung, die einfach keinen Menschen was angeht. Ein weißer männlicher Hetero-Unternehmer zu sein wird mir permanent von anderen vorgeworfen, und zwar ausnahmslos ausgerechnet von den Parteigängern jener, die sich auch in diesem Spiegel-Machwerk als die höchstentwickelte Lebensform, den moralischen Herrenmenschen und Großmeister der Progressivität und Toleranz selbstbeweihräuchern.

Ich habe ja in jüngeren Jahren neben all den Perry-Rhodan-Heftchen und den dicken Science-Fiction-Schwarten amerikanischer Raumschlacht-Autoren sehr gerne sowjetische Autoren wie die Gebrüder Strugazki oder Sergej Snegow gelesen. Dort konnte man sehr gut sehen, was die staatliche Zensur für ein Zukunftsbild um die Handlung gelegt wissen wollte.
Das zukünftige Menschen- und Gesellschaftsbild des Kommunismus war grundsätzlich das Gleiche: Maschinen erledigen alle Arbeiten und Menschen müssen nur noch das tun, was sie gerade lustig sind. Und der kommunistische Mensch hat kein größeres Vergnügen als sich zu bilden, zu entwickeln und all sein Können freudig der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Einer der Punkte, warum der Kommunismus nicht so funktioniert, selbst wenn die Automatisierung fortschreitet. Denn der Mensch, „befreit“ von Arbeit und wohlversorgt mit allem, was er braucht, wird faul. Er degeneriert zum Haustier seiner Alexa, lässt sich füttern und streicheln, kommt nicht mehr aus der Couch hoch. Er wird das, was man im Kinderfilm „Wall-E“ passend beobachten kann: die in einem seit Generationen auf einem 5-Sterne-Vergnügungs-Raumschiff roboterversorgt dahindümpelnde Rest-Menschheit hängt nur noch faul in schwebenden Sesseln und hat einen Bildschirm vor die Nase geklappt. Anders als im Happy-End-verpflichteten Film würden diese verfetteten Stoffwechselklumpen auch nie mehr aus dem Schwebesessel steigen; würde man sie rausschmeißen, täten sie einfach verhungern wie ein verfetteter kastrierter Hauskater, den man im Wald aussetzt. Darwin ist gnadenlos.

In dem dümmlichen Spiegel-Pamphlet wird genau dieses sowjetisch-kommunistische Jubellied gesungen: Die geradezu faschistoid-rassistische Einteilung der Menschen in die niederen Entwicklungsstufen des dumpfen Konservativen und ewiggestrigen Progressivitätsbremsers, der maximal als in enge Schranken gewiesene Arbeitsbiene gehalten werden darf aber dem man möglichst die Zunge amputieren sollte, und die gottähnlich erhöhte allseits gebildete sozialistische Persönlichkeit als Krone der klassenkämpferischen Evolution, die überall die Führung übernehmen und die dumpfen Massen leiten muss, weil nur sie dazu überhaupt in der Lage ist. Fehlt nur der Hinweis, dass einige wenige eine noch höhere Stufe erreichen und dann als Große Vorsitzende, Väter der Nationen, Sonne des Balkans oder was auch immer für pharaonengleiche Erhöhungen dafür vorgesehen sind, die Lenkung der Massen übernehmen sollen.
Solche dumpfen faschistoiden Klassifizierungen stehen am Anfang einer Entwicklung, an deren Ende schon immer ein Stalin, ein Mao oder ein Kim gestanden haben.
Das ist das Niveau des „Spiegel“ heute. Die jetzige liberale Gesellschaft der unendlichen Möglichkeiten schlechtreden um sie mit kommunistischen Traumwelten und der Sehnsucht nach einer Gesellschaftsform zu füllen, die bisher jedesmal in Ozeanen aus Blut jämmerlich ersoffen ist.
Das sollte jedem klar sein, der diese Relotius-Schleuder überhaupt noch anschaut.

Ach ja, was mir zu der komischen Einteilungs-Tabelle im Artikel neben der Scientology-ähnlichen Schubladisierung der Menschen noch einfällt: Wie kommt diese komische Tussi überhaupt darauf, dass der „relativierende“, also eigentlich alles für bedeutungslos erklärende und ohne jeden Denk- und Zeithorizont einfach in den Tag hineinlebende Tachinierer die höchste Entwicklungsstufe darstellt? Dem einfach alles und jeder vollkommen gleichgültig ist? Ich habe ja schon eine Menge kläglicher Versuche erlebt, wie sich verkiffte Geisteswissenschaftlerdarsteller ihre geistig-moralische Überlegenheit selbst zurechtdefiniert haben, um nicht an der Erkenntnis der realen eigenen Bedeutungslosigkeit zu zerbrechen, aber das stellt wirklich eine besonders g‘schmackige Methode dar: statt wenigstens einen Nutzen der eigenen Existenz herbeizufabulieren, irgendwas mit angeblich für Wirtschaft und Gesellschaft überlebenswichtiger Genderinklusionsdiversitätsintegration, erklärt man sich selbst einfach mal so aus dem Handgelenk zur höchsten Entwicklungsstufe des Menschen.
Das ist wirklich pittoresk. Was muss man alles rauchen, dass einem sowas einfällt?
Was muss man sich spritzen, damit man das für ernst nimmt?
Und was erst, dass man es abdruckt?

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