von Fragolin
Was treiben sich da schon wieder für tiefbraune Ungeheuer in den
dunkeldeutschen Untiefen herum? Da hat der Hessische Landtag noch
schnell vor der Wahl ein paar kleine Änderungen in der
Landesverfassung vorgeschlagen und, typisch Naziland, komplett darauf
vergessen, den Begriff „Rasse“ aus dem Artikel 1 zu streichen. Da
steht dann wirklich:
"Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, ohne Unterschied
des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der
politischen Überzeugung."
Na gut, das steht da schon seit 70 Jahren, und all die Jahre hat das
auch keinen gekratzt, auch nicht den 80-jährigen Wichtigtuer, der
just jetzt seine Berufung
zum Nazijäger entdeckt hat. Fast sein ganzes Leben konnte er
unter dieser naziverseuchten Landesverfassung roter Kommunalpolitiker
sein, aber heute erst hat er, wie es scheint, deren Text zum ersten
Mal wirklich gelesen.
Und weil dieser Nazibegriff den armen Senior zu sehr an die finsteren
Zeiten erinnert, in denen er aufgewachsen ist - er war immerhin
sieben, als sich der Rotzgebremste in einen Teppich wickeln ließ,
also ein typischerweise politisch interessiertes Alter. Deshalb kann
er bis heute auch den inhaltlichen Unterschied nicht erfassen; ich
kenne die Reichsverfassung nicht, aber ich glaube kaum, dass dort ein
Verbot von Diskriminierung wegen Rasse vorkam, der Begriff also
sicher in anderen Zusammenhängen benutzt wurde. Aber egal, das
Aufkreischen ist ein pawlowscher Reflex, da interessieren keine
Inhalte. Wer allein das Wort benutzt, ist ein Rassist, da kennt die
Sprach- und Gesinnungspolizei keine Gnade.
„...hat jetzt den Landeswahlleiter angezeigt, der die
Wahlbenachrichtigung mit dem Entwurf des neuen Texts verschickt
hatte. Weil Rasse in Bezug auf Menschen ein hetzerischer Begriff sei,
der Menschen herabwürdigt und von den Nazis benutzt wurde.“
Dass ein lebenslanger Politiker nicht weiß, dass es nicht der
Landeswahlleiter ist sondern der Landtag, ein demokratisch gewähltes
Parlament, der die Verfassung ausarbeitet und darüber beschließt,
scheint mir ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich bei besagtem
Lokalpolitiker um einen mit den Sitten der Demokratie nicht allzu
vertrauten Menschen handelt. Seine Kompetenz sieht man ja auch daran,
dass er diesen Begriff in der Landesverfassung erst nach 70 Jahren
entdeckt hat. Welcher Politiker liest schon die Verfassung? Was kommt
als nächstes? Dass jemand erwartet, er würde sich auch noch daran
halten? (Dazu am Schluss noch ein paar Gedanken.)
Aber die Frage, die ich mir von der ersten Sekunde nach dem Lesen
dieses Artikels stellte ist eine ganz andere, und die kann mir keine
der ergoogelten Medien beantworten: Welchen Straftatbestand soll der
Landeswahlleiter erfüllt haben, weswegen genau wurde er angezeigt,
wenn er einen Verfassungstext verschickt, in dem seit Jahrzehnten der
Begriff „Rasse“ steht?
Wegen Volksverhetzung?
Was für ein NAZI!!!
P.S.
Es bleibt sogar noch eine Frage, denn im letzten Absatz des
verlinkten Artikels belehren uns die Medienpädagogen:
„In
Frankreich zeigten sich die Politiker weniger ratlos und schritten
zur Tat. Am 12. Juli beschloss die Nationalversammlung einstimmig,
das Wort Rasse aus der Verfassung zu ersetzen. Im ersten Artikel der
Verfassung heißt es jetzt, Frankreich garantiere "allen Bürgern
die Gleichheit vor dem Gesetz, unabhängig von ihrem Geschlecht,
ihrer Herkunft oder Religion". Keine Rasse mehr, dafür
Herkunft. Klingt eigentlich ganz einfach.“
Abgesehen davon, dass sie doch sonst ständig behaupten, es gäbe
keine einfachen Lösungen und jeder, der solche verspricht, wäre ein
böser populistischer Rattenfänger (womit sie Menschen auch noch zu
Ratten erklären, aber sei‘s drum), kann ich da keinen Ersatz
finden.
Denn wenn ich zum Beispiel als Hesse jemandem mit dunkler Hautfarbe,
dessen Familie in der dritten Generation in Hessen lebt und der in
Hessen geboren ist, mit der Begründung „Neger bediene ich nicht“
aus meinem Geschäft werfe, habe ich ihn weder wegen seinem
Geschlecht noch seiner Religion und auch nicht wegen seiner Herkunft
– er ist ja ebenfalls Hesse - irgendwie diskriminiert. Von
Hautfarbe oder Rasse steht da nix. Und wie viele Generationen jemand
„Herkunftsbürger“ ist, steht ja auch nirgends. Kann ich mich
dann auf Diskriminierung berufen, wenn ich nachweisen kann, dass mein
Urururururgroßvater mit Attilas Reitern aus der Mongolei kam?
Zusatz zum Thema Verfassung:
Ich muss mich als Privatperson und Bürger sowieso nicht an diesen
Artikel 1 halten, weil die Verfassung eben nicht die Gleichheit vor
dem Verkaufstresen oder beim Bewerbungsgespräch sondern die
Gleichheit vor dem Gesetz fordert und eine Schutzklausel gegen
Missbrauch der Staatsgewalt gegen Bürger darstellt und der Schutz
der Bürger untereinander in Gesetzen geregelt ist. Auch wenn Merkels
Stiefelknechte, die dem Michel seit Jahr und Tag einpauken, die
Verfassung wäre eine Handlungsanleitung für Bürger und Bürger,
die gegen die Regierung demonstrieren, wären Verfassungsfeinde, was
genau betrachtet eine bewusst verhetzende Lüge ist, etwas anderes
behaupten. Ich will mich nicht mit denen auf eine Stufe stellen, ich
verzichte auf Augenhöhe mit anderen wenn ich mich dafür flach
hinlegen muss, aber es ist irgendwie mühsam, immer und immer wieder
zu versuchen, Menschen klarzumachen, dass es geradezu ein Verbrechen
am demokratischen Rechtsstaat und der eigentlich schwerste
Verfassungsbruch ist, wenn ein Staat seine Verfassung gegen
die Bürger einsetzt, denn Sinn der Verfassung ist es, den Bürger
vor einem die Bahnen der demokratischen Regeln verlassenden Staat zu
schützen und nicht umgekehrt. Deshalb kann man als Privatperson auch
eine verfassungsfeindliche Einstellung haben, aber man kann die
Verfassung nicht brechen, weil sie einfach nicht für Privatpersonen
gültig ist.
Dass man in Österreich zum Beispiel jeden Blödsinn bis hin zur
Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Fahrtregelungen für Wiener Taxis
in den Verfassungsrang hebt, zeigt nur, dass es Parlamente gibt, die
die einfachsten Grundregeln der Demokratie nicht begriffen haben und
die auch keinen Genierer haben, demokratische Werkzeuge zum Vorteil
einer eigenen Klientel zu missbrauchen.
Aber das ist ein anderes Thema...
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