Sonntag, 18. Februar 2018

Faria ho

von Fragolin

Es war so schön, so eine aufgelegte Geschichte, um der xenophoben AfD und den fremdenhassenden Ewiggestrigen die wahre Fratze des ekligen gruppenvergewaltigenden Deutschen vorzuführen, praktisch den ultimativen Beweis zu erbringen, dass das Oktoberfest ein einziger Rudelbums ist und die gruppenschnackselnden Zugelaufenen dies nur tun, um sich hier so richtig zu integrieren. Da fallen also ein halbes Dutzend deutschbepasste Jungspunde regelmäßig über ahnungslose Maiden her, die sie erst heimtückisch in eine Falle locken um sie dann fröhlich und nicht ganz freiwillig, also ohne die in Schweden inzwischen benötigte schriftliche Einverständniserklärung, durchzumäuseln. Der Beweis schien erbracht, denn auch der tausendste eingewanderte Ausgreifer ist nur ein bedauerlicher Einzelfall, der eine schwere Kindheit hatte und eine traumatisierende Flucht und überhaupt ein hartes Leben, während der eine Deutsche, wenn man ihn dann endlich hat, sofort stellvertretend für diese ganze widerliche Volksgemeinschaft steht, die aufzulösen und einem Existenzende zuzuführen selbst glühenden Patrioten wie dem urdeutschen Türken Deniz Yücel, geheiligt sei sein Name und gebenedeit die Luxuscessna, mit der er heim in das Reich des organisierten Volkstodes von seiner schönsten Seite geflogen wurde, eine feuchte Phantasien produzierende Freude ist.

Und dann das.
Auch der letzte, sich in Begleitung seines Anwaltes der Polizei stellende, bevor er vielleicht von den Vätern der geschändeten Jungfern erwischt und mit handfesten Argumenten oder scharfen Gegenständen nachhaltig auf den Pfad der Tugend zurückgeführt wird, Jungspund mit dem glattgescheitelten biodeutschen Habitus entpuppt sich ebenso wie seine Rammelgenossen als, wie es heute so schön politisch korrekt heißt, Angehöriger der Volksgruppe der Sinti. Ich werde an dieser Stelle natürlich darauf verzichten, darauf hinzuweisen, dass unsere ungarischen Freunde ob dieser Umschreibungen jedesmal erheitert feststellen, dass wir nicht einmal wissen, dass das Zigeuner sind; ich will sie und mich ja nicht in Schwierigkeiten bringen. Also keine Zigeuner, vor denen man seine Töchter warnt, sondern Sinti, vor denen zu warnen natürlich rassistische Hetze wäre. Obwohl, wenn man an die Mädchen denkt, wäre etwas mehr rassistische Hetze im Elternhaus durchaus präventiv gewesen und ihnen dadurch eventuell einiges erspart geblieben. Ich persönlich stehe ja zu dem für aufrechte progressive Linke faschistischen und ultrarechten Standpunkt, dass der eine oder andere zu Unrecht diskriminierte nicht zum Stich gekommene Zigeuner- oder auch Sontwasjunge mir weit mehr egal ist als das Schicksal vergewaltigter Mädchen. Lieber eine vorsichtige (und für geisteskranke fremdenfokussierte selbsthassende Antifanten damit natürlich rassistische) Tochter als eine vergewaltigte. Vorurteile hat die Natur geschaffen, um genau so etwas zu vermeiden. Aber während das blöde Gaffen eines alten biogermansichen Geilings in den bereitwillig zur Schau gestellten Ausschnitt einer erwachsenen Frau ein Schwerstverbrechen darstellt, von dem man ableiten kann, dass man vor allen alten weißen Männern dringend warnen und sie mit Vorurteilen behängen kann, darf dies bei anderen Gruppen, vor Allem jung und fremd, natürlich niemals geschehen. Hetze Hetze bäh, da sei Kahane vor!

Jedenfalls hat sich mit dem unerwarteten Zusammenbruch des medialen Kartenhauses zum finalen Beweis der auch sexuellen Erbschuld der Deutschen auch der Tonfall in den Medien geändert. Nach dem anfänglichen Hinweis auf den deutschen Nachnamen und dem genussvollen Durchreichen des vermeintlichen Konfirmationsfotos wird nun plötzlich verständnisvoll über das arme Kind berichtet.

Am Ende war der öffentliche Druck zu groß: Nach den Vergewaltigungen mehrerer Schülerinnen im Ruhrgebiet hatte sich am Donnerstagabend mit Dean Martin L. der letzte Tatverdächtige bei der Polizei gemeldet.“

Merkt das jeder? Das arme Kind unterlag einem zu großen öffentlichen Druck. Nein, nicht dass ihm die Polizei auf den Fersen war und es wohl unausweichlich war, in Kürze mit Handschellen und vorgehaltener Waffe abgeführt zu werden, sondern der „öffentliche Druck“ auf den armen Knaben war zu groß. Es gibt Momente, da muss man sich die Formulierungen unserer Schreibkünstler wie ein After Eight auf der Zunge zergehen lassen, um nach dem Schmelzen der zarten bittersüßen Hülle der wohlgewählten Euphemismen den leicht widerlichen minzescharfen Kern zu schmecken. Man ahnt: ich mag kein After Eight. Und ich mag dieses manipulative Geschreibsel nicht, dessen Schöpfer bei jeder leisen Anmerkung einer unzulässigen Meinungsmanipulation empört aufkreischen, weil getroffene Hunde bekanntlich heulen.

Die Ermittler gehen von mindestens sechs Fällen in den vergangenen Monaten aus, in denen jugendliche Mädchen Opfer geworden sein sollen.“

Ach, „jugendliche Mädchen“. Normalerweise nennt man so etwas „Minderjährige“, und wenn der Günther oder der Klaus die nur an der Schulter berühren, ist das bereits eine Sexualstraftat. Früher gab es bei uns den blöden, aber treffenden Spruch: „Die hält der Staatsanwalt noch mit dem Daumen zu!“ Interessant, wie unterschiedlich das Alter bewertet wird, wenn man weiß, wer die Täter waren.
Denn nur wenige Stunden vorher hieß es in der gleichen Zeitung (und das habe ich mir alles gesichert, bevor es aus dem Netz verschwindet):

Das gemeine Volk rast, denn einem jungen Deutschen werden brutale Taten vorgeworfen. Seit Mittwoch kursiert das Fahndungsfoto eines 18-Jährigen aus Gelsenkirchen-Heßler. Darauf ist ein schlanker Teenager mit kurzem dunklem Schopf und ernstem Blick sehen. Er trägt ein blaues Sporttrikot: Dean Martin Lauenburger. Er soll mit vier weiteren Männern zwischen 16 und 23 Jahren minderjährige Mädchen vergewaltigt und sexuell genötigt haben.“

Da war er noch ein junger Deutscher, hatte einen kompletten Namen und ein unverpixeltes Foto und er hat wohl „minderjährige Mädchen vergewaltigt“.
Nur wenige Stunden später ist er ein Sinti und es gibt „Fälle, in denen jugendliche Mädchen Opfer geworden sein sollen“.
Merkt jeder, wie sich der Tonfall ändert? Und es geht, zurück zum neueren Artikel, so weiter:

L. wurde beim Betreten der Polizeiwache in Gelsenkirchen gestern Abend von Passanten erkannt und beschimpft.“

Ach, der arme Junge! Da ist das böse Dunkeldeutschland, das er nur Stunden vorher noch selbst verkörpern sollte, was nur durch die unglückliche Tatsache der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, die selbst darauf besteht, absolut nicht deutsch zu sein, misslang, über dem armen Kind zusammengeschwappt und hat – mutmaßlich allein getrieben durch Xenophobie und Fremdenhass der AfD – seinen Unmut über dem armen generalverdächtigten Diskriminierten ergossen.

Er war im Abiturjahrgang der Gesamtschule und sollte dieses Jahr Abitur machen, ist aber vor einigen Wochen von der Schule geflogen, weil es Ärger gab.“

Das muss man kurz vor dem Abi noch schaffen, wo möglichst noch jeder durchgezerrt wird bis zum bitteren Ende. Was kann das nur für „Ärger“ gewesen sein, den ein solches Engelchen verursacht hat?

Sein Anwalt Hans Reinhardt sagt im Gespräch mit WELT: „Die treibende Kraft kann er nicht gewesen sein.“ Er hat seinen Mandanten als höflich, zurückhaltend und introvertiert kennen gelernt.“

Ach. Die treibende Kraft kann er nicht gewesen sein, weil er „höflich, zurückhaltend und introvertiert“ scheint. Deshalb ist er wahrscheinlich auch von der Schule geflogen. Deutsche Schulen sind bekannt dafür, Kinder, die durch zu viel Stille auffallen, zu selten aufzeigen und die Lehrer immer höflich grüßen, rausschmeißen, weil sie ein so schlechtes Beispiel ewiggestrigen Gedankengutes von Knigge abgeben. Immer wieder müssen besonders Angehörige geschenkter oder zugelaufener Gruppen die schwere Diskriminierung erfahren, wegen zu viel Bescheidenheit und Höflichkeit massivem Hass ausgesetzt zu werden.

Warum die „Welt“ die vollkommen unmaßgebliche Meinung eines Anwaltes, dem gegenüber sein Mandant ja wohl nicht so bescheuert sein wird, ihn blöd anzurotzen und seinen Stern zu zerkratzen, für erwähnenswert hält, sei dahingestellt, aber es riecht immer wieder nach dem Versuch, ab sofort ein etwas positiveres, besseres Bild von dem Jüngling und seinen Kameraden zu malen; der Verdacht, das könne damit zusammenhängen, weil nach der Bekanntgabe der demonstrativen Undeutschheit des vermeintlich Deutschen das zu erwartende Gerichtsurteil nicht ganz so hart ausfallen wird, wie man es für einen Horst oder Erwin mit gleicher Faktenlage erwartet hätte. Und man will auf die Stimmungsmache vorbereiten, dass eventuelle Unmutsäußerungen gegen diese übermütigen Früchtchen selbstverständlich nichts Anderem als reinem Hass gegen die gesamte Volksgruppe der Zigeuner Sinti entspringen muss. Man instrumentalisiert bereits jetzt jedes begangene Verbrechen und jedes gefallene Wort zum Pflügen des Ackers, auf dem propagandistisch die Reinwaschung der Goldstückchen gesät werden soll.
Dazu gehört dann auch das:

L. ist bei seinen Großeltern aufgewachsen.“

Schwere Kindheit, alles klar? Muss man strafmindernd berücksichtigen, solange jemand keine Hakenkreuze schmiert. Vielleicht macht der „kika“ auch noch eine Reportage für die Kleinen daraus.

Die mutmaßlichen Täter sollen über soziale Netzwerke oder Bekannte Kontakt zu den Mädchen aufgenommen haben. (...)
Bei den Ermittlungen wurden unter anderem Handy-Chats ausgewertet.“

Fertig. Ganz anders als noch ein paar Stunden vorher, als der vermeintlich Deutsche noch einen Namen hatte:

Im Internet sollen die Vergewaltiger detailliert mit ihren Sex-Verbrechen geprahlt haben. (...) Ein Imbissbuden-Besitzer erinnert sich an Lauenburger als unauffällig. Im Internet fiel der 18-Jährige dagegen als verbal rüde auf. Auf seinem Facebook-Account sind alte Einträge mit dem Wort „ficken“ zu finden.“

Ach, hat er vielleicht alte Programme von Ingo Appelt transskribiert? Oder ist es nicht eher normal, dass Pubertierende in ihren Fratzenbuchgruppen auch übers Vögeln oder Ficken schreiben? Das hat genau gar nichts zu sagen, ich möchte nicht wissen, bei wie vielen jungen Männern man sowas finden würde, wenn man sucht. Deshalb zog man es auch an den Haaren herbei, als er noch ein Deutscher war, und verzichtete generös darauf, nachdem er zum Sinti mutierte. Erstaunlich, oder?

Und damit das Bild rund wird, schließt das Ganze nochmal mit einer dezenten Erwähnung der wohlwollend die Tatsachen verdrehenden und den realen Opfern nach der Vergewaltigung auch noch medial ins Gesicht spuckenden Anwaltsmeinung:

Er sagt, eher Opfer als Täter zu sein.“

Na dann, auf zum Gedenkmarsch für das arme Opfer, und vergesst nur nicht, liebe aufrechte Bürger, ein wachsames Auge darauf zu halten, dass nicht irgendwelche rechten Nazischlampen die angeblichen Opfer für ihre Hetze gegen die wirklichen Opfermonopolisten instrumentalisieren. Immerhin sind die ja freiwillig zu dem gelackten Schnösel mit dem berühmten Namen in seine Karosse geklettert und haben sich zu dem Erdloch im Wald fahren lassen, das wir aus dem alten romantischen Lied über das schöne Zigeunerleben kennen...


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