Freitag, 26. Januar 2018

Der kleine Richter

von Fragolin

Es war einmal ein kleiner Junge, der wollte einmal etwas wirklich Großes vollbringen, etwas so richtig Mutiges und Wegweisendes, dass ihm alle Menschen zujubeln und um Autogramme bitten und so.
Mit diesem Traum ging er in die Schule. Dort lernte er fleißig, denn wenn er einmal Autogramme geben wollte, dann musste er Schreiben lernen, und Lesen und Rechnen können bei guten Taten auch hilfreich sein.

Leider stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass er nicht viele Talente zum Helden mitbrachte, aber das Strebern in der Schule zahlte sich aus. Blöd war nur, dass er zwar exakt berechnen konnte, wieviel Gramm Butter ihm die Mama aufs Jausenbrot schmierte, aber nichts davon hatte, weil es ihm der dicke Willi immer abknöpfte, dieser miese dumme Verbrecher. Wenn er groß wäre, so schwor der kleine Junge, dann würde er es dem dicken Willi und der ganzen miesen Brut so richtig zeigen!

In der Schule passte er auf. Wer will, dass man ihm zujubelt, muss auf der positiven Seite stehen. Positiv ist, so lernte er, Eisbären zu retten und für eine Tombola zu Gunsten armer Robbenbabies Preise zu basteln. Positiv ist, immer tolerant zu sein, auf alle Rücksicht zu nehmen außer auf Typen wie den dicken Willi. Positiv ist, so zu tun, als würde man alles ganz toll finden, was die Mädchen toll finden, dann finden einen auch die Mädchen toll und sind eher zum Zujubeln bereit. Intolerant zu sein, keine Empathie zu zeigen, Irgendwasphob zu sein, das ist negativ. Ganz schlimm. Außer gegen den dicken Willi. Und alle, die so sind wie er. Jungs, weiß, deutsch, Ministrant, Nazigroßeltern, wäääh.

Da es mit den Talenten nicht besser, aber der Drang, es dem Willi heimzuzahlen, größer wurde, wurde er Richter. Das mit dem Zujubeln, naja, das wurde wohl nichts mehr, Aber trotzdem, er wollte immer auf der Seite der Positiven stehen, der Guten, der Besseren, der Gerechten. Da bot sich das mit dem Richter ja wohl an.

Und eines Tages stand der arme, äh, nennen wir ihn Achmed, vor dem kleinen Jungen, der zum mächtigen Richter geworden war. Denn Achmed hat Probleme gemacht. Aber anders als der dicke Willi, denn der Achmed kann da nichts dafür. Der wurde eben so sozialisiert, das muss man Verstehen und da muss man Rücksicht nehmen. Deutsche Jungs wie Willi wurden nicht sozialisiert, die sind böse geboren, weil sie deutsche Jungs sind, deshalb sind die auch für alles, was sie tun, allein verantwortlich. Nichtdeutsche sind da empfindlicher, zarter, moralisch nicht so fest wie Deutsche. Den Rassismus hinter diesem Gedanken erkannte der kleine Junge nicht, aber auch Richter sind eben nicht ganz perfekt. Aber fast.

Der Achmed hatte wohl ein Problem damit, dass es Menschen gibt, die einen anderen Glauben haben als er. Er soll einen Menschen mit anderem Glauben mit dem Umbringen bedroht haben, was nun einmal den religiösen Regeln seines Friedensglaubens entspricht. Das muss man verstehen.
Und da ward der kleine Richter unsicher.
Was, wenn der Achmed auch mit einem Problem zu kämpfen hat, wenn im Gerichtssaal ein Kreuz hängt? Was, wenn es ihn innerlich martert und er sich nicht beherrschen kann, wenn er denkt das wäre jetzt ein religiöses Urteil und kein rechtsstaatliches? Was, wenn der Achmed das Gefühl bekäme, der kleine Richter würde ihm nicht ausreichend Respekt erweisen? Der kleine Richter konnte nächtelang nicht mehr schlafen, denn das Problem, dass der arme Angeklagte negativ von ihm denken könnte, machte ihn fertig. Dann fällte er eine Entscheidung.
Und nahm das Kreuz im Gerichtssaal von der Wand.

Das war die Lösung! Jetzt war alles gut!
Der arme Achmed erschien vor Gericht und beteuerte seine Unschuld.
Und stellte klar, dass es ihm wurscht ist, ob da was an der Wand hängt oder nicht.
Aber die Menschen, denen das Kreuz etwas bedeutet, haben jetzt eine schlechte Meinung.
Der kleine Richter ist traurig.
Wie konnte es nur so schief gehen?
Er hatte doch alles richtig gemacht!

Ähnlichkeiten mit realen Vorkommnissen sind rein zufällig und überhaupt nicht unbeabsichtigt.
Oder so.

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