Sonntag, 18. Juni 2017

Stereotype (?)

Von San Casciano

Völkermentalitäten, Völkereigenheiten, Völkercharaktere waren schon im Mittelalter ein Thema. In der Frühen Neuzeit und insbesondere ab der Aufklärung setzte ein größeres Interesse für diesen Teilbereich ein, womöglich einhergehend mit den wissenschaftlichen Bestrebungen dieses Zeitalters. Wenn man in der Physik und der Chemie Tabellen anfertigen, Maße schätzen, Dichte bestimmen, Pflanzen kategorisieren konnte – wieso dann auch nicht die verschiedenen Menschen? Im führenden deutschen Lexikon des 18. Jahrhunderts, dem Zedler, beeindrucken die Kapitel über verschiedene Völker stets damit, diesen gewisse Gewohnheiten zu unterstellen. Interessant dabei, dass die Geographie und das Wetter eine Rolle spielten. So unterstellte der Zedler bereits, das anmutige Landschaften und mildes Wetter auch gute Menschen hervorbrächten.

In diesem Kontext ist auch die Steirische Völkertafel (ca. 1720) zu betrachten. Sie brachte damaliges „Wissen“, bzw. das Bild der jeweiligen Völker zum Ausdruck. Wer die Schrift nicht lesen kann, der sei auf den Wikipedia-Artikel verwiesen. Dort steht auch das Wort von den „Stereotypen“. Ein leidiges Thema, das ich hier nicht anschneiden will. Die Trunksucht der Deutschen mag zwar heute noch ein Thema sein, aber wer assoziiert den Italiener denn heute noch mit dem hinterlistigen Bankier, der nur auf Gold aus ist?

An letzterem Beispiel wird im Übrigen deutlich, dass das damalige „Italien-Bild“ noch nicht von der Berlusconi-Zeit, der Mafia oder Müllproblemen geprägt wurde – sondern wohl für die damaligen „Welschen“ insbesondere die Norditaliener, also Mailänder, Genuesen, Florentiner und Venezianer Pate standen. Den Italiener zeichnet weniger Lebensfreude oder dolce vita aus, als vielmehr List, machiavellistischer Opportunismus, gute Kleidung und Bezug zur Römischen Kirche, deutlich gemacht an der Bevorzugung des Kirchenrechts und am Lebensende im Kloster. Das einzige, was der Italiener wohl nie los wird, ist der Vorwurf der lüsternen Untugend; Casanova lässt grüßen.

Dennoch erscheint diese Aufzählung umso interessanter, wenn man den Deutschen dagegen stellt. Offenherzig, guter Charakter, verschwenderisch, fromm und ein trinkfester Kumpan, der sein Ende im Wein findet. Das ist der alte deutsche Michel; und in seiner Gemütlichkeit so gar nicht erinnernd an das spätere preußische Zerrbild. Vergleicht man die Welschen und Germanen, mag man für Sekunden sogar glauben, der Deutsche sei leichtlebiger. Dabei auch ein kurzer Blick auf die Religion: der Italiener ist zwar gelehrter, der Deutsche aber frommer.

Spannend auch das zeitgenössische Franzosenbild, wohl nicht zuletzt aus den vielen Konflikten zwischen dem Reich und Frankreich resultierend. Letzteres hatte unter Louis XIV. erheblich in den Reichsraum expandiert, auch der Spanische Erbfolgekrieg, der Europa zwei Jahrzehnte lang prägte, hallte hier noch nach. Dass die Kriegskunst die Wissenschaft der Franzosen sei – das empfänden heute viele Deutsche, die nur an 1940 denken, wohl höchst amüsant. Doch damals besaßen die Franzosen eine der besten und größten Armeen Europas, mit einem vorzüglichen und angesehenen Ruf. Der Franzose ist daher bewandert im Krieg, liebt den Krieg und stirbt im Krieg. Dabei spielt auch das „betrügerische“ Element gleich doppelt eine Rolle, was sich zuletzt auch in seiner Charakterisierung als „Fuchs“ manifestiert.

Im Gegensatz zu einigen Forschern mag ich allerdings keine prinzipielle Abstufung der Völker von links nach rechts erkennen. In der Tat: der Spanier gilt mit allen seinen Eigenschaften wohl als „edelster“ Europäer, doch machen zwischendurch Nuancen klar, dass es nicht nur abwärts geht. Die Kleidung des Italieners ist besser als die des Franzosen; der Deutsche ist „immer dabei“, der Italiener aber „eifersüchtig“; die Ungarn sind im Glauben „tatkräftig“ und stehen besser da als die Polen. Eher fällt auf, dass bis zum Schweden die Völker zwar Nuancen bezüglich ihres Charakters aufweisen, aber nicht so schlecht wegkommen wie die letzten vier Völker, die weit negativer geschildert werden.

Am schlimmsten trifft es den Türken, nicht zuletzt, da gerade Österreich noch vor einigen Jahren mit Prinz Eugen an vorderster Front gegen die Osmanen gekämpft hatte. Peterwardein hallt nach. Von Natur aus ein Lügenteufel, gelehrt in betrügerischer Politik als Wissenschaft, verstandslos, selbstverliebt, im Krieg faul, mit einem Tyrannen als Herrscher und in der Religion ein Ungläubiger – stirbt der Türke zuletzt beim Betrug.

Das muss wohl diese gemeinsame europäische Geschichte sein, die das Abendland mit den Osmanen teilt, wie man so oft behauptet. Die Türkei gehört nur zu Europa, wenn man sie dann richtig beleidigen darf…

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