Sonntag, 7. Mai 2017

Felix von Weingartner

... wird wenn überhaupt heute nur noch als bedeutender Dirigent der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegentlich erwähnt. Als langjähriger Chefdirigent der Wiener Philharmoniker ist er auch heute in "eingeweihten Kreisen" durchaus noch ein Begriff, auch ein paar Schallplatten, die seine Interpretationskunst belegen, sind als Tondokumente einer großen symphonischen Tradition erhalten geblieben. Daß er auch ein durchaus begabter Komponist gewesen ist, das freilich wußten noch Zeitgenossen, die insbesondere seine Symphonien durchaus zu schätzen lernten. War Weingartner zwar als Komponist alles andere denn ein Avantgardist, so ist doch seine Beherrschung der Kompositions- und Instrumentationstechnik, gemischt mit einer zumeist überaus glücklichen Gabe, Melodien zu ersinnen, die sich nachhaltig einprägten, mehr als anerkennenswert, und erhebt seine besten Werke weit über das Niveau bloßer "Kapellmeistermusik". Sicher, ein Mahler, ein Strauss war dort ein Genie, wo Weingartner eben "bloß" ein (allerdings großes!) Talent war – aber sollte man angesichts heutiger Talentlosigkeit sich nicht auch dankbar der früheren Talente entsinnen?

Felix Weingartner Edler von Münzberg
– so sein vollständiger Adelsname – hatte durchaus schon in jungen Jahren Werke komponiert, die eine Wiederentdeckung mehr als verdienten würden! Man nehme etwa die Tondichtung "König Lear" des 32-jährigen (1895), die gleichzeitigen Schöpfungen bspw. aus der Feder von Richard Strauss sicherlich ein wenig nachstehen – aber eben nicht wirklich viel!



Schon seine vier Jahre danach 1899 entstandene Symphonie Nr. 1 in G-Dur op. 23 verrät in ihrer schwelgend-romantischer Melodik den begabten Symphoniker, welcher zu sein in sieben Symphonien er dann mehr als überzeugend bewies:


Sicherlich, da ist manches noch tastend, unvollendet, aber schon in den folgenden Symphonien gewinnt der Komponist an stilistischer Sicherheit und Prägnanz, so in der nur ein Jahr späteren Symphonie Nr. 2 in Es-Dur op. 29:


Auch seine 3. Symphonie in E-Dur op. 49 (1910) weiß mit reicher, oft schwelgerisch melodischer Thematik zu bezaubern:


Die Vierte in F-dur op. 61 (1916) verrät wenig von der damaligen Kriegszeit, wohl aber in ihrer stärkeren Chromatik von den Einflüssen anderer Zeitgenossen wie bspw. Alexander von Zemlinsky:


Die Symphonie Nr. 5 in c-moll op. 71 (1924), die erste in einer Molltonart, noch dazu in derselben Tonart wie die berühmteste aller "Fünften", von Beethoven, die von Weingartner als Dirigent beispielhaft interpretiert wurde, mit deren exemplarischer Größe sie freilich völlig unvergleichbar bleibt ... und bleiben muß! Anklänge an Tschaikowski und Rachmaninow kommen dem Hörer bisweilen in den Sinn, das Seitenthema des ersten Satzes könnte, wenn man es ein wenig boshaft formulieren wollte, in einer (freilich fabelhaft qualitätvollen!) etwas tragisch umwehten ... Operette vorkommen ...


Die Symphonie Nr. 6, die "Tragische", in b-moll op. 74, ist bei aller deutlich "konservativer" Anlage und Thematik dennoch ein berührend anzuhörendes Werk:


Seine Symphonie Nr. 7 in C-Dur op. 88, in der Soli, Chor und Orgel zum großen Orchester treten, ist nicht nur von ihrer Länge (über eine Stunde) her, und von ihrer Position als Schlußwerk in der Reihe seiner Symphonien Weingartners "opus magnum" dieser Gattung: in vielerlei Hinsicht kehrt der Komponist zu früheren Stömungen der Romantik zurück – 1937 komponiert, wirkt diese fürwahr monumentale Symphonie irgendwie "aus der Zeit gefallen", so zwischen einer Schubert-Schumann-Romantik, Bruckner, Mahler und cum grano salis früher Moderne (d.h. in dem Sinne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstanden!), und mit somanch kontrapunktischer Rafinesse geziert, in einem zeitlosen Zwischenreich abendländischer Musiktradition angesiedelt:


Auch auf dem Gebiet der Kammermusik hat Felix von Weingartner beachtliche Werke geschaffen, so z.B. sein Sextett in e-moll, op. 33:


Es mutet wie Ironie an, daß ein Komponist, der sich selbst vor allem als Symphoniker sah, gerade mit einem frühen Lied seinen einzigen wirklichen "Hit" landete, mit der "Liebesfeier" op. 16 nach einem Gedicht von Lenau:

 

Doch neben seiner eigenen kompositorischen Tätigkeit beschäftigte sich Weingartner auch mit manchen uns heute vielleicht etwas "seltsam" vorkommenden Arbeiten, so arrangierte er z.B. Beethovens "Hammerklavier"-Sonate für Symphonieorchester, und lieferte in der folgenden Interpretation mit dem Royal Philharmonic Orchestra etwas, was ein Youtube-Poster durchaus zutreffend mit den Worten "... reminds me of Brahms' Variations on a Theme by Haydn'." beschrieb. In der Tat meint man oft einen sehr jugendlichen Brahms zu hören:


Auch mit der "Rettung" der fragmentarisch gebliebenen "7. Symphonie in E-Dur" von Franz Schubert (D 729) für die Konzertprogramme beschäftigte er sich, und erstellte eine in der Tat durchaus "schubertisch" klingende, auf jeden Fall aber mit Gewinn zu hörende Version:



Der für seine ebenso präzise wie elegante "Schlagtechnik" (wie sein Altersgenosse Richard Strauss benutzte er dazu fast nur die rechte Hand mit dem Taktstock) berühmte Dirigent Weingartner kann in seiner Bedeutung als Dirigent in einer selten Filmaufnahme, in der er 1932 Webers Freischütz-Ouvertüre mit dem Pariser Symphonieorchester aufführte, trotz der höchst bescheidenen Tonqualität erahnt werden:


Eine für Weingartners Ruhm als Dirigent ebenso wie für sein Selbstbewußtsein bezeichnende Anekdote zitiert Wikipedia in ihrem Artikel über den Komponisten:
Ein Wiener Kapellmeister hat den in der Zwischenkriegszeit sehr berühmten Felix Weingartner gefragt, wie schnell man die 5. Sinfonie von Beethoven spielen müsse. Felix Weingartner hat die Frage so beantwortet: „Herr Kollege, nächsten Sonntag spiele ich dieses Werk. Kommen Sie in den Musikverein, dort hören Sie das richtige Tempo.“

Interessant sind die Bemerkungen, die Otto Strasser, der langjährige Vorstand der Wiener Philharmoniker — die ja neben ihrer Tätigkeit als Staatsopernorchester ein unabhängiger und recht „basisdemokratisch“ organisierter Verein sind — und Verfassser zweier ebenso humorvoll wie überaus sachkundig-informativ geschriebenen Bücher*), über das Verhalten des Dirigenten Weingartner gegenüber „seinem“ Orchester, dem er doch für lange Jahre als Chefdirigent verbunden war:
Der Dirigent Weingartner war, zumindest zur Zeit, als ich ihn kennenlernte, das, was man eine „strahlende“ Persönlichkeit nennt. Groß und schlank, ein Mann von Welt, erschien er auf dem Podium, und der letzte Satz von Beethovens Fünfter schien eigens für ihn komponiert worden zu sein – vielleicht auch der dritte der Pathétique. Für die Orchestermusiker war er der ideale Dirigent. Seine Zeichengebung war einfach; seine Gebärde zweckmäßig, aber kein bloßes Taktschlagen, sondern der Phrase wie dem Ausdruck angepaßt; sein Gesichtsausdruck blieb ernst und natürlich; manchmal, wie in der Fünften, wirklich strahlend, doch nie hysterisch verzückt, und von ihm ging eine Sicherheit aus, die das Musizieren problemlos machte. Meist lagen seine Oberarme eng am Körper, sie lösten sich nur, wenn Dynamik und Agogik es erforderten; seine Linke mit ausgestrecktem Zeige- und kleinem Finger – eine für ihn typische Haltung – gab Einsätze und vermied es, gemäß der auch von seinem Feind Richard Strauss verfochtenen These, sich allzu aktiv zu beteiligen. Es war ein Genuß, ihm zuzusehen, obgleich er sich, wie in seinen Lebenserinnerungen zu lesen ist, sehr verbeten hat, seine dirigierweise elegant zu nennen
Seine unbestrittene Größe lag in der Interpretation der Werke Beethovens, und es hätte für meine gleichaltrigen Kollegen und mich keine bessere Schule geben können, als durch ihn in die Musik dieses Meisters eingeführt zu werden. Beethovens Fünfte, deren Anfang für manchen Dirigenten zum Problem wird, konnte man unter seiner Leitung so sicher und natürlich spielen wie bei wenigen seiner Kollegen. Als Schüler Franz Liszts bevorzugte er dessen Werk ebenso wie jenes von Berlioz; zu Bruckner hatte er leider wenig Beziehung, und daß er in Richard Strauss seinen Widersacher sah, empfand man, wenn er dessen „Don Juan“ dirigierte und den Abenteuern des Helden merkbar skeptisch gegenüberstand.

(in: "… und dafür wird man noch bezahlt", S 46 f.)

Neben seiner künstlerischen Tätigkeit als Komponist, Dirigent und Pianist war er noch Schriftsteller, mit Werken zu Dirigierkunst und Interpretation (z.B. Die Symphonie nach Beethoven. Leipzig 1897, und Ratschläge für Aufführungen klassischer Symphonien. 3 Bände, 1906–1923) und seinen Lebenserinnerungen (2 Bände, Zürich 1923/29).



Heute vor fünfundsiebzig Jahren, am 7. Mai 1942, ist Felix von Weingartner in Winterthur, Schweiz, verstorben.

Zu seinem Gedächtnis sei, passend zur Jahreszeit, dieser Artikel mit einer späten Symphonischen Dichtung, Weingartners opus 80, "Frühling" beschlossen:



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*) Strassers Memoiren „Und dafür wird man noch bezahlt. Mein Leben mit den Wiener Philharmonikern“, Wien 1974, sowie: „Sechse is. Wie ein Orchester musiziert und funktioniert“, Wien 1981 — letzteres betitelt nach dem freilich unverbürgt überlieferten Empörungsruf (für Piefkes: „Es ist sechs Uhr!“) eines Philharmonikers an die Adresse eines Dirigenten, der nach einer stundenlangen Probe ein Werk noch einmal durchgespielt haben wollte. Das „…zur Zeit, als ich ihn kennenlernte“ im Zitat bezieht sich auf die erste Hälfte der 1920er-Jahre.

2 Kommentare:

  1. Ein wirklich bemerkenswerter Komponist! War mir bisher völlig unbekannt, dass er auch Komponist war. Dank an den Denker, dass er mir mit diesem Blogpost eine Wissenslücke zu schliessen begonnen hat!

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  2. Cher (chère?) "Anonym",

    danke für die Rückmeldung: ich denke mittlerweile bisweilen, daß für die p.t. Leserschaft meine Gedenk-Artikel über Künstler und historische Persönlichkeiten völlig (wie der Wiener sagen würde) "für die Wetti-Tant"*) geschrieben sind ...

    LePenseur dankt für Ihre Interessensbekundung zurück!


    ---


    *) für Piefkes: wörtlich "für Tante Barbara" (Kosename "Wetti" = Barbara) - gemeint damit ist: "ganz vergeblich", "für den Abfalleimer".

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