… sind heute vor sechzig Jahren, am selben 14. August 1956, gestorben: der vormalige Diplomat und Reichsaußenminister
Konstantin Freiherr von Neurath auf seinem Landgut in Württemberg — und der Schriftsteller und Regisseur
Bertolt Brecht in Ost-Berlin. Zwei Männer, wie sie auf den ersten Blick hin unterschiedlicher kaum gedacht werden können, und doch in manchem ähnlicher, als es ihnen wohl lieb gewesen wäre herauszufinden …
Beider biographische Daten wiederzukäuen, ist wohl überflüssig — wer in Zeitgeschichte und Literatur bewandert ist, wird sie hinreichend kennen; was einem darin fehlt, kann man jederzeit nachschlagen. Deshalb nur einige lakonisch hingeworfene Gedankensplitter, zunächst zu
Konstantin von Neurath
|
Als Botschafter in Rom (1929) |
Was hatten sich die Alliierten eigentlich gedacht, den von Hitler recht ostentativ kaltgestellten Neurath in der Riege der »Hauptkriegsverbrecher« vor das Nürnberger Tribunal zu stellen, und zu der absurd hohen Gefängnisstrafe von fünfzehn Jahren zu verurteilen?
Neurath war schon im Kabinett Papen, und unter Hitler nur bis Anfang 1938 Außenminister (ab 1936 bereits durch Ribbentrop und dessen »Dienststelle Ribbentrop« zunehmend entmachtet); danach gehörte er formell der Reichsregierung als Minister ohne Geschäftsbereich an, doch konnte er diese Funktion mangels Kabinettssitzungen ebenso wenig erfüllen, wie seinen Vorsitz im »Geheimen Kabinettsrat«, welcher denselben Schönheitsfehler hatte, nie zusammengetreten zu sein. Ihn daher zu den Punkten
- Verschwörung gegen den Weltfrieden,
- Verbrechen gegen den Frieden,
- Planung und Durchführung eines Angriffskrieges,
- Kriegsverbrechen, und
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
vor ein Tribunal zu zerren, und dann auch noch in allen Punkten zu verurteilen, war daher völlige Willkür, zumal die Strafhöhe deutlich über der anderer, oft weitaus schuldiger gewordener NS- Amtsträger lag.
Wenn man Neurath einen — freilich eher moralischen, als rechtlichen — Vorwurf machen kann, dann den: aus Bequemlichkeit, Feigheit oder Opportunismus sein Amt nicht zur Verfügung gestellt zu haben, sondern mit dem Regime seinen billigen Frieden gemacht zu haben.
Aber seine Position als Reichsprotektor? Nun, nicht einmal in dieser Position hielt ihn Hitler für entschlossen genug, den tschechischen Widerstand zu brechen, weshalb er schon 1941 offiziell »beurlaubt« und faktisch durch seinen »Stellvertreter«, Reinhard Heydrich (bzw. nach dessen Ermordung: Kurt Daluege) ersetzt wurde.
Und worin wäre nun die Ähnlichkeit mit
Bertolt Brecht
zu finden? Nun: in ebendiesem billigen Frieden, den auch Bertolt Brecht mit dem Regime, bei ihm eben nicht das Hitlers, sondern das Ulbrichts (bzw. Stalins). Wenn der Brecht-Apologet und linke Schweizer Schriftsteller Muschg dazu herumschwadroniert:
Der von der Feigheit und Dummheit der Zeit frei Gebliebene führte das Doppelleben, das ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ darstellt, und befleckte sich mit Zugeständnissen, um sich halten zu können. Es half ihm nichts, daß seine für offizielle Anlässe gelieferten Verse, absichtlich oder nicht, erstaunlich schlecht waren, Schweyks Schläue im Umgang mit der Diktatur konnte ihn innerlich nicht beruhigen. Er mußte sich als Gespenst seiner selbst vorkommen, weil er, zur Flucht zu stolz, unter der ihm längst fragwürdig gewordenen Fahne ausharrte. Nur ein besseres Ende des Krieges hätte ihn vor dieser Zwangslage bewahren können. Er war kein Verräter, aber ein Gefangener. Er wurde wieder zum Außenseiter, sein Gesicht bekam einen leichenhaften Zug. Der schlimmste Mißbrauch seiner Person war die Unterschlagung seiner kritischen Stellungnahme zur Unterdrückung des Berliner Juniaufstandes von 1953, von der die Öffentlichkeit nur die verbindliche Schlußformel zu sehen bekam. Nach seinem frühen Tod, der wohl mit dem Gram darüber zusammenhängt, kamen Gedichte ans Licht, die zeigen was er litt.
… dann läßt er völlig die aggressive Standardfrage aller Berufs-Antifanten vermissen, die doch sonst jeden mit der Ungnade der früheren Geburt inquisitorisch befragten: »Und warum hast du geschwiegen? Warum hat du nichts dagegen unternommen?«
Es ist nun nicht so, daß Brecht nicht darunter gelitten hätte. So, wie einem alten Diplomaten und Adeligen wie Neurath die ganze Hitlerei sicher auch contre cœur ging. Aber alle beide schwiegen sie — aus Feigheit? Bequemlichkeit? Angst?
Brechts Biographie ist allerdings auch unabhängig von diesem Einknicken gegenüber der (bei ihm eben: sozialistischen) »Obrigkeit« moralisch problematisch genug. Seine zahllosen Liebschaften, die er teils schamlos für sein Werk ausnützte, sein Verhalten gegenüber literarischen Konkurrenten — nein: »edel, hilfreich und gut« war dieser Mensch wirklich nicht!
Die chamäleonhafte verbale Anpassung an das Regime habe ihm ermöglicht, seine wirklichen Interessen zu verfolgen. (»the self-perserving chamelon-attitude which enabled him, like his own Galileo, to pay lip-service to authority while quietly getting on with his own serious interests, remained predominant«)
... zitiert Wikipedia Ronald Gray. Nobel umschrieben, fürwahr! Darf man’s auch »eigennützigen Opportunismus« nennen? Man darf. In einer seiner Balladen textete Brecht einmal eine Zeile, die aufhorchen läßt:
»Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug«
Brecht hat diesen Vers durch das Beispiel seines Lebens erfolgreich zu widerlegen gewußt.
Lieber Penseur,
AntwortenLöschenich mag Sie. Zum Beispiel wegen Ihrer Reminiszenzen an ungewöhnliche Männer.
Gestern hat einer meiner Nachbarn den alten Grabstein seiner Eltern in den Garten gesetzt. Rundum fand man das eher befremdlich. Ich nicht (wir haben uns sofort solidarisiert). Mein Garten ist nämlich voll von kleinen Steinen der Erinnerung. Vivat memoria et reminiscentia!
(Ich hoffe, dass das jetzt korrekt geschrieben ist)